Sozialdemokraten liebäugeln mit Hilfe von Kommunisten. | Konservatives Lager legte kurz vor der Wahl zu. | Prag. Pünktlich um 14 Uhr werden die tschechischen Wahllokale geöffnet, die Bürger sind Freitag und Samstag aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen. Bereits vor einem Jahr hat der konservative ODS-Premier Mirek Topolanek im Handstreich die Mehrheit im Parlament verloren, seitdem regiert ein Kabinett unter dem partei- und farblosen Beamten Jan Fischer.
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Jetzt sollen wieder Vollblutpolitiker das Ruder übernehmen - die Tschechen wissen, was auf sie zukommt, und nehmen es mit Humor. So mokiert man sich etwa darüber, dass die genaue Zahl der Wahlberechtigten nicht eruierbar sei - und das, obwohl just Premier Fischer ehemals Leiter des tschechischen Statistikamtes war. Im Prager Szenelokal "U vystrelenyho oka" wird wie üblich bis spät in die Nacht Bier gebechert, das Wahlereignis ruft auch hier nur hämische Reaktionen hervor. Die Situation erinnere an Kafka, meint einer der Gäste, ein skurriles Schauspiel.
Tatsächlich entbehren die politischen Rahmenbedingungen in Tschechien fallweise der Logik. So sitzen im Parlament exakt 200 Abgeordnete, es kann also passieren, dass sich das linke und das konservative Lager mit jeweils 100 Mandataren gegenüberstehen und das Land über Monate politisch gelähmt ist. Die merkwürdige Sitz-Anzahl stammt noch aus der Zeit des Kommunismus, hört man, als das Parlament keine politische Bedeutung und lediglich die Entscheidungen der KP-Spitze zu beklatschen hatte.
Prognose: CSSD wird stärkste Partei
Dieses merkwürdige Traditionsbewusstsein zeitigte bereits fatale Folgen, nach den letzten Wahlen im Juni 2006 belauerten einander monatelang zwei exakt gleich starke Lager im Parlament. Die Tschechen vertrauen unterdessen darauf, dass sich Geschichte nicht wiederholt, und bauen auf ein eindeutiges Ergebnis. Karl Schwarzenberg, Chef der neuen konservativen Partei TOP 09, ist davon jedenfalls überzeugt: "Es wird kein Patt geben", so der Fürst gegenüber der "Wiener Zeitung". Stimmenstärkste Partei dürften jedenfalls die Sozialdemokraten (CSSD) unter Parteichef Jiøí Paroubek werden; ihm werden knapp 30 Prozent der Stimmen prognostiziert. Auf Rang zwei kommt die konservative ODS unter ihrem neuen Parteichef Petr Neèas.
Die CSSD spielt offensichtlich mit dem Gedanken, eine Minderheitsregierung unter Duldung der Kommunisten zu bilden. Eine formale Koalition mit der KP käme einem Tabubruch gleich, ist die Partei unter ihrem Vorsitzenden Vojtech Filip doch weitgehend unreformiert und ruft bei vielen Tschechen unangenehme Erinnerung an Jahrzehnte Moskau-gesteuerter Unterdrückung wach.
Zuletzt ist die tschechische Parteienlandschaft aber stark in Bewegung geraten: Der neuen Partei TOP 09 mit Karl Schwarzenberg an der Spitze wird der Einzug ins Parlament gelingen, die Fraktion "Öffentliche Angelegenheiten" (VV) des Investigativ-Journalisten Radek John könnte ebenfalls bald das Lager der Konservativen verstärken. Fraglich ist, ob die Grünen, die in Tschechien dem bürgerlichen Lager angehören, und die Christdemokraten KDU-CSL diesmal den Einzug ins Hohe Haus schaffen. Die Schwarzenberg-Partei fischt in den Gewässern dieser Parteien und schwächt auch die ODS. Die letzten Umfragen zeigen, dass sich angesichts der neuen Dynamik im bürgerlichen Lager eine von den Kommunisten geduldete CSSD-Regierung jetzt nicht mehr ausgeht. Auch haben die Konservativen einen Verbündeten in Staatspräsident Vaclav Klaus, der als strikter Gegner einer Regierung gilt, die in irgendeiner Form von den Kommunisten abhängig ist. Klaus könnte deshalb nach der Wahl die zweitstärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragen.
Ältere Tschechentendieren nach links
Theoretisch möglich wäre auch eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und der ODS, doch eine derartige Konstellation können sich nicht einmal die Fantasiebegabtesten vorstellen - zu verfeindet sind die beiden Parteien. Die Sozialdemokraten, die ebenso wie die Kommunisten von älteren, am Land lebenden Menschen gewählt wird, gelten bei der ODS und deren Anhängern als verantwortungslose Populisten, die im Zeichen der Krise den Wohlfahrtsstaat erhalten und das Land durch eine fortgesetzte Ausgaben-Politik ruinieren wollen. Die Sozialdemokraten mahlen ihrerseits den Teufel an die Wand, warnen vor Arztbesuchen, die unter ODS-Herrschaft künftig umgerechnet über 100 Euro kosten sollen.
Das Wahlergebnis wird mit Spannung erwartet, die Wahllokale schließen am Samstag um 14 Uhr, erste Hochrechnungen werden für den späten Nachmittag erwartet.