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Welche Folgen wird der Krieg für die EU-Klimaschutzpolitik haben? Ein Gespräch mit Klimaexpertin Geneviève Pons.
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Vordergründig läuft beim EU-Klimaschutzprojekt "Fit for 55" alles nach Plan. Damit soll das Ziel erreicht werden, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Ausstoß 1990 zu reduzieren und Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Erst am Dienstag haben die EU-Finanzminister dem CO2-Grenzausgleich zugestimmt, mit dem ab 2026 der Import CO2-intensiver Produkte bepreist werden soll. Doch welche Folgen könnte ein langfristiger Bruch mit Russland haben?
"Wiener Zeitung": In Europa tobt ein Krieg mit unabsehbaren Folgen für Menschen, Wirtschaft, Politik. Wird Russlands Angriff die EU-Klimaschutzpolitik beschleunigen oder verzögern?
Geneviève Pons: Gut, dass Sie auch die Möglichkeit nennen, dass dieser Krieg die Klimaschutzziele voranbringt, denn darauf hoffe ich, das muss unser Ziel sein. Natürlich ist das Risiko groß, dass besonders betroffene Staaten wie etwa Deutschland jetzt kurzfristig beschließen, die Laufzeit ihrer Kohlekraftwerke zu verlängern und deren Einsatz zu verstärken. Das führt dazu, dass noch mehr CO2 ausgestoßen wird, was klimaschutztechnisch genau in die falsche Richtung führt. Stattdessen wäre es sogar besser, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern. Mir ist völlig bewusst, wie schwierig diese Entscheidung für Deutschland ist, aber wenn das übergeordnete Ziel lautet, die CO2-Emissionen zu reduzieren, dann ist die Rückkehr zur Kohle der größte Fehler.
Wenn darin das kurzfristige Risiko besteht, worin liegt das mittel- und langfristige?
Wir müssen uns aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl befreien. Die Kosten des Krieges belaufen sich für Russland nach derzeitigen Schätzungen auf rund eine Milliarde US-Dollar pro Tag. Die EU überweist davon täglich unfassbare 750 Millionen Dollar für ihren Öl- und Gasbedarf. Wir finanzieren Putins Krieg, das ist furchtbar. Um das zu ändern, müssen wir unsere Energieimporte diversifizieren, weg von Russland, hin zu mehr Lieferungen von Norwegen, den USA, Algerien, meinetwegen auch aus Katar. Doch das lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen, dafür brauchen wir Zeit.
Was können, was sollen wir also schnell machen?
Wir müssen den Umstieg auf erneuerbare Energien beschleunigen. Auch das dauert, aber ein erster Schritt wäre unseren Energieverbrauch dort zu senken, wo das recht einfach möglich ist: Weniger mit dem Auto fahren, stattdessen die Öffis benutzen und kürzere Wege zu Fuß oder mit dem Rad bewerkstelligen; ein Tempolimit von 110 statt 130 km/h auf Autobahnen; vor allem aber müssen wir in die Energieeffizienz von Gebäuden investieren. Entscheidend wird auch sein, dass wir endlich all die Projekte umsetzen, die jetzt noch aufgrund bestehender Konflikte blockiert werden; das betrifft vor allem den Bau neuer Wind-, Solar- und Leitungsanlagen, wo es Widerstand von Bauern, Anrainern oder anderen gibt. Diese Konflikte müssen wir lösen, und häufig ist das auch möglich, etwa durch den Einsatz neuer Techniken oder Materialien.
Die "Gelbwesten"-Proteste in Frankreich haben gezeigt, welche Sprengkraft höhere Treibstoff- und Energiekosten haben. Die massive Inflation wird die Preissteigerungen quer durch alle Bereiche treiben, vom Wohnen bis zum Essen. Könnte darob die Akzeptanz der Klimaschutzpolitik bröckeln, vielleicht sogar brechen?
Als Französin, obwohl ich seit dreißig Jahren in Brüssel lebe, bin ich gewissermaßen auch von den Protesten betroffen gewesen. Die Lehre daraus kann nur sein, dass die Regierungen die sozialen Folgen der Klimaschutzpolitik berücksichtigen müssen, indem sie den ärmeren Menschen helfen, die steigenden Kosten zu tragen. In Bezug auf die stark gestiegenen Energiepreise hat die EU-Kommission den Regierungen bereits Spielraum für nationale Maßnahmen verschafft. In erster Linie muss die Politik all jenen helfen, die keine Alternative haben, etwa bei der Verwendung des Autos.
Oft ist es aber die Mittelklasse, die Stimmungen und Wahlen entscheidet.
Stimmt, deshalb wird in etlichen Staaten auch versucht, die Kostensteigerungen für alle oder jedenfalls für die meisten Betroffenen abzufedern. Langfristig wird sich das aber nicht finanzieren lassen. Wenn also die Krise anhält, wird sich das Verhalten all jener Menschen ändern müssen, die eine Alternative haben.
Die EU ist für rund 7 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Wenn wir nun alle Verbindungen zu Russland kappen und Moskau künftig den Hunger Chinas nach billigem Öl und Gas stillt: Könnte diese geostrategische Neuordnung nicht die globalen Klimaschutzverträge unterlaufen?
Sie beschreiben hier ein absolutes Albtraum-Szenario, das ich aus heutiger Sicht aber doch für wenig wahrscheinlich erachte. Derzeit zeigt China keine klare Bereitschaft, sich eindeutig auf die Seite Russlands zu stellen, sie verhalten sich eher vorsichtig. Zudem hat sich Peking selbst zu bestimmten Klimaschutzzielen verpflichtet, auch innenpolitisch propagiert die Regierung für die Zukunft eine saubere Umwelt und saubere Energie. In der Gegenwart hängt die Wirtschaft allerdings noch stark an Kohlekraftwerken, obwohl man gerade in den Städten und beim öffentlichen Verkehr einen Wandel hin zu mehr E-Mobilität erkennt. Für den Moment sehe ich also keine Abkehr Chinas von diesem Weg. Hoffentlich bleibt das auch so.
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Wie beurteilen Sie den Beschluss der EU-Finanzminister, einen CO2-Grenzausgleich auf gewisse importierte Produkte ab 2026 einzuführen?
Das ist ein wichtiger Schritt vorwärts, und das bei einem sehr heiklen Thema, weil die Lage der einzelnen EU-Staaten höchst unterschiedlich ist. Der Beschluss orientiert sich am Vorschlag der EU-Kommission, doch er hat auch große Lücken. Das graduelle Auslaufen der Zuteilungen von Gratis-Zertifikaten im Europäischen Emissionshandelssystem ETS wird in dieser Entscheidung über den CO2-Grenzausgleich nicht berücksichtigt. Das Problem ist, dass für die beiden Fragen unterschiedliche Zuständigkeiten bestehen. Das Auslaufen des ETS ist eine Sache des EU-Umweltrats, die Einführung des Grenzausgleichs wird von den Finanzministern entschieden. Doch beide Reformen müssen aufeinander abgestimmt erfolgen, sonst kann es nicht funktionieren. Das EU-Parlament hat bereits klargestellt, dass es sich nicht mit der Einführung des Grenzausgleichsmechanismus beschäftigen wird, bevor sich nicht der Rat der Umweltminister auf eine ETS-Reform geeinigt hat. Man kann keinen Kompensationstarif für die Einfuhr CO2-intensiver Produkte einfordern, wenn deren Produktion in der EU ohne CO2-Bepreisung erfolgt. Berücksichtigt werden muss dabei, dass die WTO-Regeln verlangen, dass einheimische und importierte Produkte gleich behandelt werden.
Was wird dabei die entscheidende Frage sein?
Sicherzustellen, dass auch die wenig und am geringsten entwickelten Staaten dabei unterstützt werden können, sich beim Klimaschutz in die richtige Richtung zu entwickeln.
Zur Person~