Wie die Republik wurde, wie sie heute ist - verbunden mit einem Geburtstagswunsch.
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Optimismus ist im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts eine Gefühlslage, die sich die Menschen nicht mehr leisten zu können glauben. Trotzdem steht diese Stimmung in deutlichem Kontrast zu jener fundamentalen Form von Pessimismus, die die Geburt der Republik aus den Trümmern der Monarchie begleitete. Damals, vor hundert Jahren, durchlebten die Menschen den Höhepunkt eines quälend langen Albtraums. Der neue Staat stand ohne Industrie, Energieversorgung und Ackerflächen da; die Menschen waren gezeichnet von Krieg und Hunger; und die Spanische Grippe ließ sie wie Fliegen sterben. Für Zuversicht, diese allerwichtigste Zutat zu jedem Gelingen, blieb tatsächlich kaum Platz.
Von dieser Vergangenheit könnte die Realität der Gegenwart nicht weiter entfernt sein. Und trotzdem prägt eine mal nörglerische, mal weinerliche und dann wieder aggressive Larmoyanz die politischen Stimmungen im Land. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man sich die Wirklichkeit in nüchternen Zahlen vor Augen führt. Österreich ist mit seinen 8,8 Millionen Menschen eines der wohlhabendsten, lebenswertesten und sichersten Länder. Die allermeisten der übrigen geschätzt 7,5 Milliarden Menschen beneiden uns um unser Gesundheitssystem und unsere Lebensqualität, von der weitgehend intakten Natur und der hervorragenden Küche ganz abgesehen.
Man sollte meinen, das wären beste Voraussetzungen für einen breiten Konsens der um Stimmen werbenden politischen Kräfte. Stattdessen schüttelt ein neuer Lagerkampf der Gefühle die Republik ordentlich durcheinander. Um Materielles geht es dabei nur am Rande, im Kern stehen einander unvereinbare Konzepte von Identität und Heimat gegenüber. Dieser Konflikt kam nicht plötzlich, sondern hat sich über Jahre, ja über Jahrzehnte langsam aufgestaut und moralisch aufgeladen; hinzu kommt, dass er von den Parteien, vor allem jenen an den Rändern, bewusst befeuert wird, um Wähler zu gewinnen und das eigene Profil zu schärfen. ÖVP und SPÖ drohen zwischen den Fronten zerrieben zu werden, hat der neue Konflikt die alten und von ökonomischen Interessen bestimmten Klientelbeziehungen längst abgelöst, zumindest jedoch überlagert.
Dass die beiden so staatstragenden wie staatsprägenden Parteien aus ihrer ungeliebten Koalition nach den Nationalratswahlen 2017 ausgebrochen sind und einander nun gegenüberstehen, hat das spannungsgeladene Klima nicht nur nicht in geordnete Bahnen gelenkt, sondern noch weiter eskalieren lassen. Seit nunmehr drei Jahrzehnten hält der Streit um die politische Natur der FPÖ den politisierten Teil der Republik im Gefühl eines permanenten Ausnahmezustands.
Das ist jedenfalls die von den meisten Medien vielfach vermittelte Stimmung, in der die Republik nun ihren runden Geburtstag feiert. Was das angeht, ist Österreich in der Gegenwart in zahlreicher Gesellschaft. Solche Gefühle der tiefen Spaltung durchziehen längst eine stattliche Reihe hoch entwickelter Staaten in der näheren wie ferneren Nachbarschaft Österreichs.
Dennoch bleibt festzuhalten: Für einmal ist Österreich tatsächlich jene kleine Bühne, auf der die große ihre Probe hält. Die Anfänge des spezifisch österreichischen Kulturkampfs um die Heimat liegen versteckt in den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts und beginnen dann in der zweiten Hälfte der 1980er für alle sichtbar aufzubrechen.
Dem Jahr 1986 kommt dabei fast mythische Signalkraft zu: In diesem Juni wählt eine deutliche Mehrheit Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten, an dessen Person stellvertretend eine ganze Nation ihre Kriegs- und Nachkriegsgeschichte auf- und sich daran abarbeitete; im September erobert Jörg Haider die Spitze der FPÖ und beendet deren Experiment, sich zu einer sozialliberalen Partei zu häuten; und im November kulminieren alle diese Ereignisse im Ergebnis der Nationalratswahl; bei dieser verteidigt eine personell runderneuerte SPÖ hauchdünn Platz eins, die ÖVP verliert einen sicher geglaubten Sieg, die FPÖ startet ihr Projekt "neue Heimatpartei" mit einem Sprung in der Wählergunst; und erstmals seit 1945 schafft mit den Grünen eine neue Bewegung den Einzug in das Parlament.
Damit sind die Grundlagen für eine gänzlich neue Dynamik in der österreichischen Politik gelegt, in der sich Schritt für Schritt FPÖ und Grüne als neue Antipoden herauskristallisieren, und die dabei die beiden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP über die Jahre und Schritt für Schritt ins Niemandsland der politischen Mitte verdrängen. Maßgeblich erleichtert, ja sogar verstärkt wurde diese anfangs schleichende, dann sich rasant beschleunigende Entwicklung durch die zunächst ab 1987 bis 2000 und dann wieder von 2006 bis Ende 2017 andauernde zweite und dritte Ära der großen Koalition. Mit den vorhersehbar unglückseligen Folgen für die politische Kultur und das Klima im Land.
Die Gründe, warum ausgerechnet Österreich als erstes westliches Land von diesem Virus einer neuen Polarisierung erfasst wurde, sind weitgehend selbst gemacht. Die Versteinerung von Politik und Institutionen war besonders hoch, der Wettbewerb zwischen den Parteien ausgesprochen gering, Veränderung schien für Jahrzehnte ein Ding der Unmöglichkeit. Das weckte von ganz allein und ohne großes Zutun von außen Frustrationen, Enttäuschungen sowie die Suche nach einem Ventil, um Druck ablassen zu können. Seitdem sich diese Bewegung in Gang gesetzt hat, versorgen sich die beteiligten Akteure selbst mit der notwendigen Energie, um die Dynamik am Laufen zu halten. Die moralische Schuld daran schiebt jede Seite verlässlich der jeweils anderen zu. Heute ist Österreich in dieser Hinsicht längst kein Sonderfall mehr, die Verwirrungen der Globalisierung haben längst zahlreiche andere Staaten mit dem Virus infiziert.
Bleibt zum 100. Geburtstag eine Frage von entscheidender Bedeutung: Beschreibt dieser Krieg der Worte, der seit Jahren die Beziehungen der Parteien zueinander, die politische Berichterstattung und, dies vor allem, die Tonlage auf den Sozialen Kanälen bestimmt, tatsächlich die reale Lebenswirklichkeit einer Mehrheit der Menschen in diesem Land? Wie viel von dieser Spannung ist bloß inszeniert, wie viel eingebildet, und wie breit ist tatsächlich der Graben, der die antagonistischen Vorstellungen über die ideale politische, ökonomische und gesellschaftliche Ordnung teilt? Oder anders gefragt: Ist diese permanente Anspannung nicht eher das Ergebnis einer atemlosen Erregung, die regelmäßig zur Empörung eskaliert, an der jedoch nur eine eklatante Minderheit der Bürger aktiv teilnimmt?
Um keinen Platz für Missverständnisse zu lassen: Natürlich gibt es weiterhin reale gesellschaftliche Spannungen von Brisanz und Relevanz. Und sogar solche, die vor allem eingebildet sind, können politische Gestaltungskraft erlangen. Hier geht es jedoch um die Schärfe der politisch vermittelten Auseinandersetzung. Denn sollte diese Schärfe tatsächlich nur der barocken Lust am Theater eines erweiterten politisch-medialen Komplexes entspringen, muss man nicht jede Inszenierung auf ihre moralische Substanz abklopfen. Dann kann heiße Luft auch gerne einmal als das abgehandelt werden, was sie dann ja auch wäre: heiße Luft. Falls dem jedoch nicht so sein sollte, und die Spannung und Spaltung real, dann schließt sich daran zwingend eine weitere Frage an: Wie nämlich Land und Leute aus diesem Teufelskreislauf wieder herausfinden können?
Letzteres würde der republikanischen Feierstimmung eine mehr als herbe Note beifügen. Deshalb an dieser Stelle ein staatsbürgerlicher Geburtstagswunsch an die Jubilarin. Zu hoffen ist, dass die Kontrahenten im ständigen politischen Kleinkrieg vor allem eines wollen: immer nur spielen. Dann, ja dann, würden sich unsere prominentesten Politiker in jene stolze Tradition des Landes einreihen, die schon eine lange Reihe großer Übertreibungskünstler in Sachen Literatur und Theater hervorgebracht hat. Quasi lauter Nobelpreisträger, jedenfalls gefühlte. Das wäre tatsächlich ein schöner und ganz bestimmt tröstlicher Gedanke. Leider gibt es für diese These nur Hinweise, keine Beweise.