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Hoffnung Alter

Von Leopold Rosenmayr

Wissen

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Wer über das Alter schreibt, erfreut nicht unbedingt seine Zeitgenossen. Denn tief eingesessen und unausrottbar sind die Wünsche des Menschen, unbegrenzt weiterzuleben. Vom Alter will er gar nicht so gerne wissen. Es komme ohnehin "zeitig genug". In diese Ablehnungen hinein muss der Altersforscher seine mühsam zusammengetragenen Wahrheiten formulieren.

Die Leugnungen des Todes beruht beim Menschen auf einem Ich-Schutz in der Frühphase des Lebens. Durch überschießende Bejahung des Ich, welche das Kind für seine Entwicklung benötigt, entsteht der innere Mythos der Unbegrenztheit. Der muss im Lauf des Lebens erst mühsam überwunden werden. Die Befassung mit dem Altern wäre so gesehen eine Hilfe bei der "Nachreifung" und bei der Überwindung kindlicher Allmacht-Phantasien. Der Wunsch, unbegrenzt zu leben oder wenigstens seine Kräfte magisch zu verjüngen, ist so alt wie die menschliche Kultur.

Die "Kräfte des Alterns" werden nicht geschenkt, sie setzen die Anstrengung ihrer Sammlung und die Absage an Überfluss und Vergeudung voraus. Eine der stärksten Hemmungen für die "Kräfte des Alterns" ist Depressivität, sie nimmt oder entkernt die Kraft. Hoffnungslosigkeit schwächt. Auch Fehlwissen mindert die Kräfte und lenkt sie an den falschen Ort.

Die gesellschaftliche Abwertung des Alters drängt den Älteren ein negatives Selbstbild auf. Nur wer sich von der mehr oder minder heimlichen Verachtung ringsum befreien kann, gewinnt die Kraft des Selbstvertrauens. Die "Kräfte des Alters" beruhen auf Spielräumen, auf "später Freiheit". Diese ist notwendig für die Gestaltung. Aber Freiheit ist eine Chance, nicht schon das Werk selber. Dieses bedarf der Kräfte. Die Kraft des Menschen kommt aus Vereinigung, vor allem von Körper und Geist. Diese Vereinigung kann durch Erfahrung verstärkt werden.

Die Kräfte des Alters sind trotz aller Schwachheit und Angst vor der Endlichkeit notwendig für eine neue Kultur der Alterspolyphonie und der Vielfalt der Generationen in einer friedlicher werdenden Welt.

Alter schützt weder vor Torheit noch vor anderen Formen von Unmenschlichkeit. Herrschsüchtige Greise, mitleidlose und uneinsichtige Alte haben manche Rachefeldzüge gegen die eigene Impotenz geführt. Sich verabschieden zu können - "Loslassen" - wird eine der großen Tugenden einer "ergrauenden Gesellschaft" werden.

Der Gewinn neuer Spielräume in Europa könnte aus der "Infrastruktur" von Brüderlichkeit, entlastet von einigen der traditionellen tödlichen Feindseligkeiten, unsere Zuwendung zum Planeten Erde stärken und unser ausbeuterische Verhalten diesem gegenüber auch gesellschaftliche Kräfte, welche dem Potential der Alten die Freisetzung der ihren, der "Alterskräfte" ermöglichen, sich im Maße der Eigenbestimmung der Welt und ihrer Umgestaltung zuzuwenden.

Aus "Die Kräfte des Alters", Wien 1990