Zum Hauptinhalt springen

Hoffnung auf einen neuen Dialog

Von Bernhard Matuschak

Politik

Vor drei Jahrzehnten gründeten Juden und Palästinenser das Dorf Neve Shalom/Wahat al-Salam in der Nähe von Jerusalem. Das Projekt mit Schweizer Beteiligung ist einer der wenigen Lichtblicke für Frieden im Nahen Osten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Dorf unweit der Hauptstrasse, die von Tel-Aviv nach Jerusalem führt, nicht von den Ansiedlungen der Umgebung. Neben einfachen Reihenhäusern stehen neue, stattliche Bungalows. Bäume säumen die Strassen, dahinter erstrecken sich liebevoll gestaltete Gärten.

Das Dörfchen wirkt ausgestorben zur Mittagszeit, nur auf dem Schulhof tollen die Kinder umher. Eine Lautsprecherstimme fordert die Primarschüler auf, zum Unterrichtsbeginn in die Klassenzimmer zurückzukehren. Wenn man als Fremder nicht genau hinhört, merkt man gar nicht, dass die Durchsage in zwei Sprachen erfolgt - erst auf arabisch, dann auf hebräisch.

Nirgendwo sonst in Israel gibt es eine gemischte Schule für palästinensische und jüdische Kinder. Vor 30 Jahren begann am Fuße des judäischen Gebirgszuges ein bislang einzigartiges Experiment: Jüdische und palästinensische Familien wollten zusammenleben und gründeten auf Initiative des Dominikanermönchs Bruno Hussar aus Jerusalem das Dorf "Neve Shalom"/"Wahat al-Salam", die Oase oder Quelle des Friedens, wie der hebräisch/arabische Doppelname zu deutsch heisst.

Bruno Hussars Idee von einem Dorf, in dem Christen, Juden und Moslems in Frieden leben können, wurde von seiner eigenen Biografie inspiriert. Hussar wuchs in einer jüdischen Familie in Ägypten auf, emigrierte mit 19 Jahren nach Frankreich, konvertierte dort zum Christentum und trat in den Dominikanerorden ein. Jahre später stellte ihm das zwischen Tel Aviv und Jerusalem gelegene Trapistenkoster Latrun das Land zur Verfügung, auf dem Neve Shalom/Wahat al-Salam heute steht.

Steiniger Beginn

1972 war das Gelände, auf dem das Friedensdorf heute liegt, ein Stoppelacker. Bruno Hussar zog mit einem Wohncontainer in die Einöde, um für den Frieden zu leben. Einige Monate später folgten ihm fünf friedensbewegte Familien. Gemeinsam begründeten sie die Oase des Friedens.

Eine der ersten, die sich dort nieder ließ, war die gebürtige Zürcherin Evi Guggenheim Shbeta. Die damals neunzehnjährige Studentin war nach Israel ausgewandert, weil sie als Jüdin in der Schweiz nicht länger in einer Minderheit leben wollte. In Israel merkte sie, dass ihre Vorstellungen vom Gelobten Land nicht mit der Realität übereinstimmten: "Ich dachte, hier lebten nur Juden und war vor den Kopf gestoßen, als ich sah, dass es auch dort eine Minderheit gab - die Palästinenser." Guggenheim Shbeta begann sich in der Friedensbewegung zu engagieren. Dort lernte sie Ihren palästinensischen Mann Eyas Shbeta kennen und 1984 zogen sie nach Neve Shalom/Wahat al-Salam, als es dort noch keine Strassen, fliessend Wasser und Strom gab.

Nicht nur die ersten Jahre in der neuen Umgebung waren für die heute 47-Jährige Auslandsschweizerin mit Schwierigkeiten verbunden. Die Ehe mit einem Moslem stieß zunächst auf den heftigen Widerstand ihrer Familie. Und auch bei den Friedensbewegten in Neve Shalom/Wahat al-Salam ist die Mischehe bis heute eine Ausnahme geblieben. "Wir wollen nicht, dass die zwei verschiedenen Kulturen zu einem einzigen Brei verschmelzen. Juden und Palästinenser sollen ihre Identität behalten und lernen, die jeweils andere Kultur zu akzeptieren. Nur so kann es zwischen Israel und Palästina einmal einen dauerhaften Frieden geben", sagt Guggenheim Shbeta

1980 gründeten die Bewohner der ständig wachsenden Siedlung erst eine Kinderkrippe, dann den Kindergarten, schliesslich eine Primarschule und ein ökumenisches Gebetshaus. Anfangs war die Schule, die erste im Lande, in der Juden und Palästinenser gemeinsam unterrichtet werden, nur den Kindern von Neve Shalom/Wahat al-Salam vorbehalten. Seit Mitte der 90er Jahre steht sie auch Kindern von außerhalb offen. Inzwischen kommen 90 Prozent der insgesamt 320 Schülerinnen und Schüler - je zur Hälfte palästinensisch und jüdisch - aus dem umliegenden Gemeinden. Was Evi Guggenheim Shbeta angesichts der eskalierenden Situation in Israel und Palästina besonderen Mut macht: "Kein einziger Schüler hat die Schule bislang verlassen und immer mehr Eltern wollen ihre Kinder in die Schule des Friedensdorfes schicken."

Auszeichnungen

Den Bewohnern von Neve Shalom/Wahat al-Salam ging es von Anfang an jedoch nicht nur darum, das friedliche Zusammenleben zwischen Juden und Palästinensern zu fördern. Der Friedensgedanke sollte auch ins Land und die Welt hinausgetragen werden. Parallel zum Dorf wurde deshalb eine Friedensschule aufgebaut. Die Teilnehmer lernen in mehrtägigen Seminaren, wie sie in einer Konfliktsituation durch erzieherische Methoden Vertrauen aufbauen können. Bislang besuchten bereits Zehntausende Juden und Palästinenser die Friedensschule. Darüber hinaus werden "Friedenslehrer" ausgebildet, die überall im Land in den Schulen oder in der Erwachsenenbildung tätig sind. Inzwischen sind die Friedensboten aus Neve Shalom/Wahat al-Salam auch als Vermittler in anderen Konflikten wie Nordirland, dem Kosovo, Mazedonien oder Südafrika tätig gewesen. Das Dorf erhielt mehrere Friedenspreise, darunter den Unicef-Preis und den Bruno Kreisky Preis und wurde bereits zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Nicht nur für Evi Guggenheim Shbeta ist die "Quelle des Friedens" angesichts der sich zuspitzenden Situation in Israel und den neu besetzten Gebieten mehr denn je zu einer "Oase des Friedens" geworden. Die Warteliste von Juden und Palästinensern, welche die Spirale der Gewalt durchbrechen wollen, in dem sie sich in Neve Shalom/Wahat al-Salam niederlassen, wird täglich länger. Vor Kurzem wurde der Bau von 90 neuen Wohneinheiten gebilligt. Die Einwohnerzahl wird sich in den nächsten Jahren verdoppeln.

Angst vor Attentaten

Derzeit versorgen die Bewohner der Gemeinde palästinensische Nachbardörfer in der Westbank mit Hilfslieferungen (siehe Box). Evi Guggenheim Shbeta wurde als Botschafterin von Neve Shalom/Wahat al-Salam in die Schweiz entsandt, um Spenden für das Friedensprojekt zu sammeln. Angesichts der momentanen, hoffnungslosen Lage, ein schwieriges Unterfangen: "In Israel lebt man in ständiger Angst vor neuen Bombenattentaten und in den Autonomiegebieten ist ein normaler Alltag schon lange nicht mehr möglich." Dennoch: Auch wenn jeder neue Selbstmordanschlag und jeder Beschuss palästinensischer Siedlungen durch israelische Soldaten für die Friedensaktivistin einen neuerlichen Schmerz bedeutet, ist sie nach wie vor von einer gemeinsamen, friedlichen Zukunft der beiden Völker überzeugt. . Sie weiß zwar, dass es lange dauern wird, bis die Wunden des sinnlosen Blutvergiessens verheilt sein werden. Aber: "Irgendwann werden beide Seiten einsehen, dass dieser Konflikt durch Gewalt nicht zu lösen ist. Dann werden beide einen Schritt zurücktreten, und die Zeit für einen neuen Dialog ist gekommen."

Inoffizielle Hilfstranporte

Vor wenigen Tagen ereilte Neve Shalom/Wahat al-Salam ein dringender Hilferuf aus den in Cisjordanien liegenden palästinensischen Nachbardörfern Bet Sira und Bet Likija. Wegen der lange anhaltenden Abgeschlossenheit durch die israelische Besetzung benötigen die Einwohner dringend Lebensmittel und Medikamente. In der vergangenen Woche hat Neve Shalom/Wahat al-Salam in Beth Sira eine provisorische Klinik aufgebaut. Dort wurden bereits mehrere Hundert Menschen medizinisch versorgt. Die Dörfer benötigen darüber hinaus dringend Lebensmittel und Medikamente. Die Hilfslieferungen werden von Neve Shalom/Wahat al-Salam auf inoffiziellen Wegen, auf denen die Absperrungen umfahren werden, in die palästinensischen Dörfer gebracht.

Wer spenden möchte, wende sich an:

Reinshagen Urs

NEVE SHALOM/WAHAT AL SALAM

8126 Zumikon

Konto 80-244561-6

Weitere Informationen zu Neve Shalom/Wahal al-Salam unter http://www.nswas.com