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Hoffnung der Somalier auf Friede und Ordnung zerstört

Von Carsten Stormer

Politik

Die Islamisten ließen auf Ende des Bürgerkriegs hoffen. | Einschränkungen wurden akzeptiert. | Mogadischu. Die Vereinigung islamischer Gerichte schickte sich an, Somalia in einen islamistischen Gottesstaat zu verwandeln. Sie wird deshalb im Westen als Taliban am Horn von Afrika gesehen.


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Schreckensszenarien werden beschworen: Somalia als Spielplatz für die Terroristen von Al Kaida, die bald mit Sprengstoffgürteln umgeschnallt oder in gekaperten Flugzeugen in die Städte des Westens aufbrechen.

Zur Zeit ist allerdings ein neuer Krieg realer. Und der macht die Hoffnung vieler Somalier zunichte, mit dem Sieg der Islamisten im Juni seien Friede und Ordnung eingezogen.

"Willkommen in Mogadischu", sagt Ahmeday Abdi. "Der einstmals schönsten Stadt der Welt." Und dann zeigt er seine Narben. Eine Kugel traf ihn ins Handgelenk und trat am Ellenbogen wieder aus. Ein verirrtes Geschoss, woher es kam, weiß er nicht. Plötzlich war der Arm zerschmettert.

Ein anderes Mal beschossen sich an einem Checkpoint plötzlich die Wachposten gegenseitig, obwohl sie zum gleichen Clan gehörten. Abdi sagt, er sei einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Und der Minibus, in dem er saß, stand blöderweise in der Schussbahn. Ein Querschläger traf ihn in die Hüfte. Da steckt er immer noch.

Abdi krempelt sein Hosenbein hoch und zeigt auf eine lange Narbe am Schienbein. Ein Junge mit einer Kalaschnikow wollte ihn ausrauben. So nervös sei der Kerl gewesen, dass er Abdi aus Versehen ins Schienbein schoss. So war das eben damals. Alltag in Mogadischu.

Seit ein paar Monaten schien alles anders. Abdi glaubte, es gebe endlich Frieden.

Endlich Ordnung

Vor dem Bürgerkrieg war Abdi Sänger und Komödiant. Er gehörte den Waberis an, dem berühmtesten Künstler-Ensemble Somalias. Abdi hat zu viel von der Welt gesehen, um ein religiöser Eiferer zu sein. Er trat in Kenia, Uganda und Äthiopien auf. Wurde mit seiner Truppe nach Europa eingeladen; Florenz, Berlin, Paris, London. Das war vor dem Krieg und ist lange her. Doch was die strenggläubigen islamistischen Milizen in den letzten Monaten vollbracht hatten, grenzte für den 57-Jährigen an ein Wunder.

Somalia ist ein Staat ohne Regierung, ohne Armee, Polizei, Schulwesen. Mogadischu eine Hauptstadt ohne Verwaltung, Stromnetz, Abwassersystem, Müllabfuhr. Sechzehn Jahre tobte hier ein Bürgerkrieg. Warlords, mächtige Geschäftsmänner mit ihren Privatarmeen und rivalisierende Clans legten Mogadischu in Schutt und Asche.

Nachdem die Islamistenbewegung mit ihren Milizen die Kriegsfürsten aus der Stadt jagten, herrschte in Mogadischu und weiten Teilen Somalias wieder ein Mindestmaß an Recht und Ordnung. Union of Islamic Courts (UIC) nennen sich die neuen Herrscher, eine Allianz aus extremistischen und gemäßigten Islamisten sowie einigen Geschäftsleuten. Sie waren wohl selbst überrascht von der Eindeutigkeit ihres Sieges.

Der ehemalige Offizier Hassan Dahri Aways gilt als der starke Mann der Islamisten. "Öffnen Sie Ihre Augen. Wir sind keine Terroristen", sagt der Mann mit dem hennarot gefärbten Ziegenbärtchen, den die USA mit den Terroranschlägen in Nairobi und Dar-es-Salam von 1998 in Verbindung bringen.

Der Augenschein zeigte vor allem die Hoffnung der Menschen, dass der Frieden real sei. Sie flanierten durch die zerstörten Straßen, die an Bilder von Sarajewo oder Grosny erinnern und in denen Kolonnen von verschleierten Trümmerfrauen das Erbe des Krieges beseitigen. Dafür sind sie bereit, ihre Freiheiten einschränken zu lassen.

Kein Tanz, keine Kinos

Dazu gehört auch, dass Männer und Frauen nicht nebeneinander auf einer Bank sitzen dürfen. Werden sie erwischt, droht die Peitsche - außer sie sind Eheleute oder miteinander verwandt. Musik und Tanz gelten als unislamisch und sind nur mit Erlaubnis bei Hochzeiten zulässig.

Frauen sollen sich verhüllen und selbst kleine Mädchen tragen bereits züchtig farbige Schleier. Als erstes haben die neuen Herren die beliebten Kinos schließen lassen, in denen Fußballspiele und indische Filme gezeigt wurden. Dieser Schmutz halte die Bürger Mogadischus vom Studium der islamischen Schriften und vom Gebet ab, begründeten die Islamisten diese Maßnahme.

Doktor Yusuf Mohammed, 29, hatte seit sechzehn Jahren seine Heimat nicht betreten. Er sitzt in einem kleinen Kabuff des Hayat Krankenhauses, das vollgeräumt ist mit Kartons, in denen sich Medikamente stapeln. Hayat bedeutet "Leben" und erst mit der Machtergreifung der Islamisten wurden in dem Hospital mehr Kinder geboren als Menschen sterben. Im letzten Jahr holten die Ärzte des Hayat noch fast neunhundert Kugeln aus menschlichen Gliedmaßen.

Als Kind floh Yusuf mit seiner Familie nach Skandinavien. In Norwegen studierte er Medizin, heiratete eine Norwegerin, praktizierte als Arzt in Rumänien.

Vor wenigen Wochen kam er nach Mogadischu, um im Hayat zu arbeiten - für 300 Dolllar im Monat. "Warum ich zurückgekommen bin?", fragt er, und blickt, als hätte er die Frage schon hundertmal gehört. "Dies ist meine Heimat. Norwegen ist schön, aber ich war dort immer ein Außenseiter. Die UIC hat etwas geschafft, dass keiner vor ihnen vollbrachte." Er wollte endlich seinen Beitrag für den Frieden leisten.

Einigkeit durch Islam

Im Martini Hospital rollt Mohammed Abdi Farah, 51, über einen Schotterweg. So schnell, wie es sein Rollstuhl erlaubt. Er kämpfte unter Siad Barre gegen die Äthiopier und eine Mine riss ihm beide Beine ab. Die Islamisten, davon war er überzeugt, haben Somalia geeint. Denn sie haben die verhassten, von den USA unterstützen Warlords, die Drogenhändler und Banditen vertrieben.

Im Flüchtlingslager am alten Stadion gibt sich der Lagerchef, Mohammed Abdul Kadir, fatalistisch. Fünftausend Menschen hausen hier in Zelten aus Lumpen und Plastiktüten. Die UIC sei gut, sagt er. Aber wichtig ist, dass Somalia durch den Islam geeint werde.

Wer das macht, ist ihm egal. Ohnehin interessiere er sich nicht für Politik, er hat Wichtigeres zu tun. "Ich muss dafür sorgen, dass meine fünf Kinder nicht verhungern."