"Als ich das erste Mal aus Chile zurückgekommen bin, habe ich gewusst, dass ich jetzt nicht einfach sagen kann, 'o. k., das war schön und ich lasse alles zurück', sondern ich wollte | weitermachen", sagt Elfi Brabec und lacht. Es ist mittlerweile 19.15 Uhr, nach einer 11-Stunden-Schicht an der Billa-Kassa hat sich die 43-Jährige einige Minuten Zeit genommen, um die atemberaubende Geschichte eines Projektes zu erzählen, das ganz klein angefangen und in den zehn Jahren seiner Existenz bereits Großes bewirkt hat.
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1994 strahlte der ORF in der Sendung "Auslandsreport" eine Reportage über die Straßenkinder Chiles aus. Stefanie Puch, die Mesnerin der Pfarre Atzgersdorf wurde dadurch auf die Not der Kinder aufmerksam und beschloss zu helfen. Über einige Umwege gelang es der damals 80-Jährigen, Kontakt zu einer Gruppe von deutschen Steyler Missionaren in Iquique im Norden Chiles aufzunehmen. Einer von ihnen war Bruder Paul Oden, der bereits seit 1972 organisierte Sozialarbeit in Chile betreibt. Durch die von ihm gegründeten Kinderheime und Tagesstätten werden Kinder aus den Elendsvierteln Iquiques vor dem Abrutschen in ein Leben auf der Straße bewahrt. Als christliche Organisation ist Odens Initiative zwar staatlich anerkannt, dennoch fehlt es in den von ihr betreuten Einrichtungen oft am Nötigsten.
Am Anfang waren Decken
So kamen Stefanie Puch und Elfi Brabec, die die Korrespondenz mit Bruder Paul übernahm, den Hilferufen der Missionare nur zu gerne nach und schnürten anfangs Pakete mit Decken, Handtüchern und Kleidung, die sie nach Chile verschickten.
Bevor Stefanie Puch starb, machte sie sich Sorgen um die Zukunft ihres Projektes. "Steffi, keine Angst, ich werde mich weiter dafür einsetzen", versprach Elfi Brabec - und hielt Wort. Bereits 1994, nach ihrer ersten Chile-Reise, war für sie klar, dass sie die Kinder Chiles nicht im Stich lassen konnte, und so wuchs und wuchs das Projekt; gegenwärtig unterstützen Elfi Brabec und ihre Helfer drei verschiedene Organisationen in Lateinamerika.
Auch die Art der Unterstützung hat sich mit den Jahren gewandelt. Heute sammelt Elfi Brabec das ganze Jahr über Spenden, hält Vorträge in Schulen und Gemeinden, organisiert Flohmärkte und kann so einmal im Jahr mit einem Bündel Geld - dieses Jahr waren es 10.000 Euro - nach Chile reisen.
Bleibt bei all dieser Arbeit überhaupt noch Freizeit? "In den letzten fünf Jahren eigentlich nicht mehr. Wir machen einmal im Monat einen Flohmarkt, da muss das ganze Material sortiert werden, außerdem gibt es mittlerweile auch viele Studenten, die ein Praktikum bei den Straßenkindern absolvieren wollen, da stelle ich die Verbindungen her, also es gibt immer was zu tun."
Besonders betonen möchte Elfi Brabec aber, dass es nicht sie alleine ist, die sich für die Kinder einsetzt: besondere Unterstützung bekommt sie nicht nur von ihren Freunden, sondern auch von ihrem Chef, der dafür sorgt, dass sie ihren Urlaub auf ein Mal nehmen kann und auch so immer wieder einige Stunden frei bekommt, um einen Vortrag zu halten. Auch mit einigen Supermarktkunden konnte sie in ihrer 23-jährigen Tätigkeit in der Billa-Filiale Rodaun enge Kontakte aufbauen, unter anderem mit zwei Gymnasiallehrerinnen, die mit ihren Schülern für die chilenischen Kinder unter anderem Buntstifte sammeln und Stofftiere basteln. "Oft kommt es auch vor, dass die Kunden zu mir kommen, bevor ich nach Chile fahre, und mir Brieferln oder Schokolade für die Kinder zustecken", sagt Elfi Brabec und versichert, dass der Kontakt mit den Kindern die beste Erholung für sie ist.
Spanischkurs inklusive
Da zwei der Projekte, die Elfi Brabec unterstützt, von deutschsprachigen Helfern betrieben werden, und sie sich mit den Kindern "sowieso mit Händen und Füßen" verständigt, gibt es auch kaum sprachliche Barrieren. Dennoch hat sie in den letzten Jahren genug Spanisch gelernt, um sich in Lateinamerika zurechtzufinden. So ist auch die Verständigung mit Erwin Catalán, dem Initiator eines Projekts für Straßenkinder in Südchile längst kein Problem mehr.
Seit heuer setzt sich Elfi Brabec auch für ein Projekt in La Paz, der größten Stadt
Boliviens, ein. Es wurde vom österreichischen Sozialarbeiter Martin Berndorfer ins Leben gerufen und widmet sich im Gegensatz zu den beiden chilenischen Projekten weniger der Prävention als vielmehr der Soforthilfe für Kinder, die bereits auf der Straße leben.
Drogen und Polizeigewalt
"Die Kinder berauschen sich mit Lösungsmitteln, damit sie den Hunger und die Kälte nicht spüren; oft kommen sie mit entzündeten Schnittwunden zu Martin Berndorfer". Erschwert wird der Einsatz durch die politische Lage in Bolivien, dem ärmsten Land Südamerikas: die Polizei geht brutal und mit Schlagstöcken gegen die Straßenkinder vor, mitunter wird Berndorfers Arbeit durch Straßenunruhen und Schießereien behindert.
Die psychische Belastung für die Helfer ist enorm: wenn die Kinder auf den Fotos auch fröhlich lachen, so weiß "niemand so genau, was sie schon erlebt haben, und Bruder Paul sagt auch immer: 'Wenn es noch so schwer fällt, hab kein Mitleid, denn dann bist du selbst keine Hilfe mehr für die Kinder'", weiß Elfi Brabec.
Kaum Privatleben
Wenn sie auch immer wieder betont, wie sehr sie die Arbeit für "ihre" Straßenkinder genießt, kann sie doch über die Schattenseiten ihrer unermüdlichen Anstrengungen nicht ganz hinwegsehen: "In den letzten Jahren habe ich viele soziale Kontakte verloren, weil manche Freunde einfach nicht damit zurecht gekommen sind, dass ich nie Zeit für sie hatte." Erst in der vergangenen Woche hat sie zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder richtig Urlaub gemacht: eine Woche Tunesien mit ihrer besten Freundin. "Ob ich das aushalte, eine Woche faul am Strand zu liegen...", hatte sie vor dem Abflug Zweifel gehegt.
Man kann sich tatsächlich kaum vorstellen, dass Elfi Brabec jemals faul ist, denn obwohl die Uhr beim Abschied bereits 20 Uhr zeigt, ist sie schon wieder auf dem Sprung, um von einer Bekannten Flohmarktsachen abzuholen...
http://www.elternforum.at/strassenkinder .
Spendenkonto: 00734332455 (BA-CA, Blz. 12000)
* Katharina Schmidt hat mit diesem Text beim "Wiener Zeitung"-Reportage-Wettbewerb zum Thema "Ein außergewöhnlicher Mensch - außergewöhnlich menschlich" den ersten Platz belegt. Sie ist 20 Jahre alt und studiert Geschichte an der Universität Wien.