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Hoffnung für Labor-Tiere

Von WZ-Korrespondentin Anna van Ommen

Wissen

Neues Zeitalter der Medizin: Versuche mit lebenden Zellen. | Mit Computer ließe sich simulieren, wie Substanzen wirken. | London. Ob Shampoo, Anti-Baby-Pille oder Kopfschmerztablette - die Mehrheit der Produkte aus dem medizinischen und dem Kosmetikbereich werden noch immer an Tieren getestet, bevor sie der Konsument benutzen darf. Es wird davon ausgegangen, dass weltweit mehr als hundert Millionen Tierversuche jährlich ausgeführt werden. Nach Ansicht von britischen Wissenschaftlern ist jetzt ein Ende der kontroversen Praxis in Sicht. Die Forschung macht offenbar so große Fortschritte, dass "virtuelle Menschen" und Versuche mit lebenden Zellen die Tierexperimente innerhalb der nächsten dreißig Jahre ersetzen könnten.


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Innovative Mikro-Lungen

Im Rahmen des Times Wissenschaftsfestivals in Cheltenham, präsentierten die Forscher die besonders innovativen "Mikro-Lungen". Dabei handelt es sich um Lungenzellen, die zunächst Lungengewebe entnommen und dann im Reagenzglas gezüchtet werden. Die Zellenkulturen lassen sich mit Tropfen von toxikologischen Stoffen wie Kosmetika auf ihre Verträglichkeit hin untersuchen.

Kelly BéruBé, Zellbiologin an der Universität Cardiff, ist der Ansicht, dass diese neuen Methoden noch viel präzisere Ergebnisse liefern könnten als herkömmliche Experimente. "Oft diktiert die traditionelle Ansicht, wenn es für Tiere sicher ist, dann ist es auch für Menschen sicher´, weshalb immer noch so viele Versuche an Tieren ausgeführt werden", so die Forscherin. Ziel ist es, Gewebestrukturen nachzuahmen, um die Wirkung bei Zellen etwa beim Wundheilungsprozess zu untersuchen oder die Wirkung von therapeutischen Medikamenten zu analysieren.

Diese in-vitro Experimente - Tests aus dem Reagenzglas - werden zum Teil bereits eingesetzt. So können sich hautreizende Eigenschaften von Chemikalien und kosmetischen Stoffe bereits an künstlicher Haut testen lassen. Aber auch ausgeklügelte Computermodelle könnten Versuche an lebenden Tieren überflüssig machen. Ein Experte für rechnergestützte Naturwissenschaften am Londoner University College, Steven Manos, sagte, stetig wachsende Datenbanken, die Simulationsinformationen enthalten, könnten bald zu effektiveren Behandlungsmöglichkeiten führen. Dennoch würden selbst die fortschrittlichsten Computersimulationen nur einen "Bruchteil der Komplexität von Tieren" widerspiegeln, räumte Manos ein.

In Großbritannien ist die Zahl der Tierversuche in den vergangenen 30 Jahren auf zwei bis drei Millionen im Jahr gesunken. In jüngster Zeit steigt sie allerdings wieder. Vor allem Mäuse werden vermehrt für Experimente zur Genmanipulation verwendet, um etwa Krankheiten wie zystische Fibrose zu erforschen. Seit 1996 verlangen europäische Gesetze eine Reduzierung von Tierversuchen. Auch Kosmetik-Experimente an Tieren sind in der EU seit 1998 verboten. Diese Vorschriften sind aber leicht zu umgehen, und m Zweifel weichen die Kosmetikkonzerne einfach auf Tier-Labors im Ausland aus.

Beim Für und Wider im Bereich Tierversuche wird nach wie vor mit harten Bandagen gekämpft. Tierschützer wie "Peta" weisen ständig daraufhin, dass Experimente oft weniger aus medizinischen als aus juristischen Gründen unterstützt werden. Die großen Pharma- und Kosmetikkonzerne schützen sich damit vor kostspieligen Prozessen, sollte etwas schief gehen. Fallen einem Konsumenten nach dem Shampoo-Gebrauch die Haare aus, kann sich der Hersteller auf positive Testergebnisse mit Tieren berufen.

Hoffnung auf Schonzeit

Die Aussicht auf präzise Ergebnisse dank Computersimulation und Biotechnologie verbreitet Hoffnung auf eine Schonzeit für Tiere. In der Debatte meldete sich in Cheltenham auch ein britischer Science Fiction-Autor zu Wort: Paul McAuley verglich die neuen Methoden mit Wirkstoffen, die wie "hoch trainierte Scharfschützen" nur ausgewählte Zellen anvisieren, ohne andere zu gefährden. Künftige Generationen würden nach Ansicht des Biologen auf heutige Behandlungsmethoden zurückschauen wie auf "Lung Kuro", ein Allheilmittel für Lungenerkrankungen aus dem 19. Jahrhundert. Es war mehr Schmerzmittel als wirksames Medikament und enthielt neben Alkohol und Chloroform auch Heroin.