Entgegen der zuletzt in der "Wiener Zeitung" vorgebrachten Meinung von Verfassungsrechtler Heinz Mayer, dass ein Scheitern des Österreich-Konvents im Raum stehe, glaubt Konventsmitglied Klaus Poier, dass bis Anfang 2005 ein Entwurf für eine neue Bundesverfassung realistisch sei. Auch wenn SPÖ und ÖVP noch weit auseinander liegen.
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Eine tief greifende Reform der österreichischen Bundesverfassung, wie sie der Österreich-Konvent zum Ziel hat, muss zwei entscheidende Stoßrichtungen aufweisen. Zum einen gilt es, den desaströsen formalen Zustand, die "Ruinenartigkeit" der Verfassung zu bereinigen. In diesem Punkt sind die zwei bisher im Ausschuss erzielten Ergebnisse äußerst erfolgversprechend.
Es besteht weitgehend Konsens, alle Verfassungsbestimmungen außerhalb des Stammtextes der Verfassung - mit wenigen Ausnahmen - entweder zu inkorporieren oder aus der Verfassung zu eliminieren. Für die Zukunft soll eine neuerliche Zerstreuung des Verfassungsrechts verhindert werden. Diese formale Bereinigung ist ein jahrzehntelanges Desiderat und wäre daher schon allein als Erfolg des Österreich-Konvents zu verbuchen.
Der Konvent muss darüber hinaus freilich aber auch inhaltliche Reformen bewerkstelligen. Dies ist sicherlich weit schwieriger: Die einen wollen Deregulierung, einen teilweisen Rückzug des Staates, mehr Freiraum und damit auch Verantwortung für den einzelnen. Die anderen wollen hingegen mehr Aufgaben und Verantwortung für den Staat, vor allem im Sozialbereich. Die einen wollen in erster Linie eine Straffung der Staatsorganisation und meinen damit zumeist Zentralisierung und Konzentration der Kompetenzen bei Bundesorganen. Die anderen wollen hingegen eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips und damit durchaus auch in manchen Bereichen eine Dezentralisation. Die einen fokussieren auf ideale Werte und Grundsätze, die sie verwirklichen wollen, die anderen wiederum schielen in erster Linie auf mögliche geldwerte Einsparungspotentiale.
Auch wenn daher die Lage nicht einfach ist, sind übermäßige Kritik und Entmutigung fehl am Platz. Die Arbeit des Konvents ist als Prozess zu sehen, der seine Zeit braucht. Der Österreich-Konvent ist kein Expertengremium, das nach der "Wahrheit" sucht und bald eine technisch-optimale, "ideale" Lösung präsentiert. Der Konvent ist ein politisches Gremium, das einen tragfähigen Kompromiss zu erzielen hat. Ein "durchgestylter" Verfassungsentwurf war nie realistisch. Die neue Verfassung wird — wie wohl jede Verfassung der Welt — ein politischer Kompromiss sein, nur ein solcher hat auch Chancen auf Umsetzung im Parlament.
Die nun fast vollzählig vorliegenden ersten Berichte der Ausschüsse liefern eine Aufstellung über die verfassungsrechtlichen Problemlagen und mögliche Lösungsalternativen, wie sie in dieser Breite und Tiefe noch nie vorhanden war.
Die Arbeit in dieser ersten Phase des Konvents dauert noch an, die heiße zweite Phase der Konsenssuche, in der auch in schwierigen Fragen Kompromisse — auch Junktimentscheidungen — notwendig sind, ist erst für den Herbst zu erwarten.
Fertige Lösungen nach wenigen Monaten waren nie zu erwarten. Trotz mancher Geplänkel scheinen alle Beteiligten nach wie vor guten Willens — bei einem Scheitern des Konvents wären auch alle vier Parteien blamiert.
Bis Anfang 2005 ist daher weiterhin ein Entwurf für eine neue österreichische Bundesverfassung durchaus realistisch, der eine Bereinigung des formalen Zustandes der Verfassung und inhaltlich zwar keine radikalen, aber durchaus innovative Reformen umfasst, auf denen eine effektive Modernisierung des österreichischen Staates aufgebaut werden kann. n
Univ.Ass. Dr. Klaus Poier lehrt am Institut für Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre der Universität Graz und ist Mitglied des Österreich-Konvents.