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Srinagar - Die Botschaft am Eingang zum Kaschmirtal liest sich wie eine Verheißung: "Wo die Welt endet und das Paradies beginnt", steht auf dem Schild vor spektakulärer Kulisse mit schneebedeckten Himalaya-Gipfeln und reißenden Gebirgsflüssen. Nichts deutet darauf hin, dass in den letzten zehn Jahren viel Blut im Kaschmirtal geflossen ist. Ein Aufstand militanter Moslems verwandelte das "Paradies" im indischen Unionsstaat Jammu und Kaschmir ab 1989 in ein Schlachtfeld.
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Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist das Grenzgebiet zwischen Indien und Pakistan im Norden des Subkontinents Zankapfel zwischen den beiden Regionalmächten. Daran dürfte auch der als historisch eingestufte Gipfel zwischen dem indischen Regierungschef Atal Behari Vajpayee und dem pakistanischen Staatschef General Pervez Musharraf am Wochenende wenig ändern: Zu tief sind die Wurzeln des Konflikts um das verlorene Paradies.
"Wir setzen unseren gerechten Kampf bis zum logischen Ende fort", sagt Salim Hashmi. Das logische Ende ist nach Ansicht des Sprechers der größten Moslem-Rebellengruppe "die Loslösung Kaschmirs von Indien und die Angliederung an das benachbarte Pakistan". In dem blutigen Unabhängigkeitskrieg zwischen moslemischen Rebellen und indischer Armee kamen nach offiziellen indischen Angaben seit 1989 mehr als 35.000 Menschen ums Leben. Ausländische Touristen verschwanden seitdem ebenso aus der Bergregion wie indische Hochzeitspaare, die das idyllische Kaschmirtal gerne als Flitterwochen-Ziel gewählt hatten.
Der Kaschmir-Konflikt geht auf das Jahr 1947 zurück. Mit der Unabhängigkeit wurde der indische Subkontinent in das mehrheitlich hinduistische Indien und den moslemischen Staat Pakistan geteilt. Der damals in Kaschmir regierende Maharadscha Hari Singh, ein Sikh, schwankte zwischen einem Beitritt zu Indien und der staatlichen Unabhängigkeit. Ein blutiger Konflikt gegen von Pakistan unterstützte Stämme zwang ihn dazu, Indien um Hilfe anzurufen und die Souveränität Neu-Delhis anzuerkennen. Ein von den Vereinten Nationen vermittelter Waffenstillstand beendete 1949 den Konflikt und Kaschmir wurde in einen pakistanischen und einen indischen Teil gespalten. Die vorgesehene Volksabstimmung über die Zukunft Kaschmirs wurde jedoch schnell vergessen. Zwei Kriege fochten Indien und Pakistan seitdem um Kaschmir aus, ein dritter drohte vor zwei Jahren nach zehnwöchigen Kämpfen an der Grenze zu Pakistan.
Auch heute vergeht kaum ein Tag ohne neue Gefechte. "Kaschmir ist das unvollendete Kapitel von 1947", sagt der Zeitungsverleger Tahir Mohiudin. Angesichts von 400.000 in Kaschmir stationierten indischen Soldaten und immer neuer Todesopfer liebäugeln immer mehr Menschen in der Krisenregion mit der staatlichen Unabhängigkeit, anstatt zwischen den indischen und pakistanischen Fronten zerrieben zu werden. "Die Mehrheit der Menschen will unabhängig sein", sagt Javed Mir, Vizechef der Jammu-und-Kaschmir-Befreiungsfront (JKLF), die sich 1989 gegen Indien erhoben und fünf Jahre später die Waffen zugunsten des politischen Kampfes gestreckt hatte. Indische Zeitungsumfragen stützen diese Einschätzung.
Die Hoffnungen auf eine Beilegung des Kaschmir-Konflikts richten sich nun auf das Gipfeltreffen zwischen Vajpayee und Musharraf. Bei ihren Gesprächen wollen beide Seiten ihre im Sommer 1999 abgebrochenen Beziehungen wieder aufnehmen.
Dass die beiden Staatenlenker ihren Gipfel jedoch ohne Vertreter aus Kaschmir abhalten wollen, stößt bei der JKLF auf Unverständnis und Wut. JKLF-Generalsekretär Bashir Bhat spricht den beiden Staaten das Recht ab, allein über die Zukunft Kaschmirs zu befinden. "Nur das Volk selbst kann über sein Schicksal entscheiden." Auf einen Volksentscheid in ferner Zukunft wollen die Hardliner unter den Separatisten jedoch nicht warten - daran lässt Abu Osama von der mächtigen Rebellenorganisation Lashkar-e-Taiba keinen Zweifel: "Unser Kampf wird weitergehen, bis die indische Armee aus Kaschmir verschwunden ist."