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Hohe Erwartungen an den Sieger

Von Martyna Czarnowska aus Polen

Europaarchiv

Angewiesen auf Koalitionspartner. | Künftiger Europakurs offen. | Sopot/Warschau. Maciej hat es bleiben lassen. Wie fast die Hälfte seiner Landsleute hat er bei der polnischen Parlamentswahl am Sonntag nicht mitgestimmt. Der 50-Jährige arbeitet seit Jahren als Taxifahrer in Sopot, in der Zwischenkriegszeit einer der mondänsten Kurorte an der Ostsee. Und seit Jahren ist Maciej auch zu keiner Wahl gegangen. "Nach 1989 hat sich die Situation nicht so entwickelt, wie ich es erhofft hatte", erklärt der Mann. Die Kosten für den Umbruch waren hoch; nicht alle Polen konnten sich in der beginnenden freien Marktwirtschaft behaupten.


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Dass gerade unter diesen sich viele Wähler für PiS (Recht und Gerechtigkeit), die Partei von Premier Jaroslaw Kaczynski, gefunden haben, findet Maciej verständlich. "Auch Kaczynski hat gelogen und seine Versprechen nicht wahrgemacht", meint der Taxifahrer. "Doch wenn er auf den Tisch gehauen hat, dann war alles klar. Und bei der Bürgerplattform weiß man eigentlich nicht, was sie will."

Diesen Eindruck zu ändern, ist nun eine der Aufgaben des Wahlsiegers Donald Tusk. Seine Bürgerplattform (PO) hat rund 41 Prozent der Stimmen bekommen, etwa zehn Prozentpunkte mehr als die bisher regierende PiS. Eine Alleinregierung wird sie nicht bilden können; als Koalitionspartner kommen sowohl das neue Linksbündnis LiD (Die Linken und Demokraten) in Frage als auch die Bauernpartei PSL. Eine Zusammenarbeit mit PiS hingegen ist unwahrscheinlich, auch wenn beide Fraktionen auf der rechten Seite des Parteienspektrums angesiedelt sind. Nicht mehr im Parlament vertreten sind die radikale Samoobrona (Selbstverteidigung) des selbst ernannten Bauernführers Andrzej Lepper und die rechtsnationale Liga der Polnischen Familien.

Tusk steht nun vor der Herausforderung, wenigstens einen Teil seiner Wahlversprechen zu erfüllen. Denn die Erwartungshaltung, die er geschürt hat, ist hoch. Polen verdiene ein Wirtschaftswunder, hat die PO in ihrer Kampagne gemeint. Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer sollen mehr verdienen können. Das Steuersystem solle vereinfacht werden, die Reform der Staatsfinanzen endlich wieder vorangetrieben werden.

Blockade droht nicht

Von Seiten des Staatspräsidenten wird die PO jedenfalls wohl weniger Probleme zu erwarten haben als sie befürchtet hat. Lech Kaczynski, der Zwillingsbruder des noch amtierenden Premiers, kann zwar Veto gegen Gesetzesentwürfe einlegen und diese so ans Parlament zurückverweisen. Doch PiS hat ersten Ergebnissen zufolge nicht genug Abgeordnete, um einen nochmaligen Beschluss im Sejm zu blockieren.

Auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Polen hoffen nun auch zahlreiche europäische Politiker. Dies sieht der ehemalige Gewerkschaftsführer und Ex-Präsident Lech Walesa als berechtigt an. "Die polnische Außenpolitik wird nun wieder fachlicher und diplomatischer werden", urteilt er im Gespräch mit Journalisten.

Verbessern könnten sich die Beziehungen zu Deutschland, die in den vergangenen Jahren etwa durch Besitzansprüche von deutschen Vertriebenen angespannt waren. Denn Tusks PO und die CDU sehen sich als Schwesternparteien an; Bundeskanzlerin Angela Merkel und Tusk wird auch ein sehr gutes persönliches Verhältnis nachgesagt.

Doch auch die Bürgerplattform pocht bei Gesprächen mit der EU auf die Einhaltung nationaler Interessen. Der Schlachtruf "Nizza oder der Tod", mit dem Polen vor wenigen Jahren gegen Änderungen bei einer EU-Verfassung auftrat, stammte von einem führenden PO-Politiker. Im Juni sollen es ebenfalls PO-Abgeordnete im EU-Parlament gewesen sein, die sich besonders intensiv für Verbesserungen im Stimmrecht für Polen eingesetzt haben. Die Europakurs der künftigen polnische Regierung bleibt daher noch offen.