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Hohe Hürden für kurdische Kandidaten

Von Martyna Czarnowska

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Die Entscheidung der türkischen Wahlkommission gegen einige Bewerber bei der Parlamentswahl richtete viel Unheil an.


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Demonstrationen, Straßenschlachten zwischen Protestierenden und Polizisten, brennende Bankfilialen, Beschwichtigungsversuche des Staatspräsidenten. Und ein Toter: ein 18-Jähriger, der bei Zusammenstößen mit der Polizei starb.

Nicht immer richtet ein Urteil einer Wahlbehörde so viel Unheil an, noch dazu vor dem Urnengang selbst. Doch die Entscheidung der türkischen Wahlkommission YSK tat es. Seit Tagen gärt es wieder in der Türkei, vor allem im Osten und Südosten des Landes, wo ein Großteil der Bevölkerung Kurden sind.

Deren Kandidaten nämlich wollte YSK von einer Bewerbung bei der Parlamentswahl am 12. Juni abhalten. Viel anders konnten es Aktivisten gar nicht interpretieren: Die zwölf Politiker, die YSK ausschließen wollte, sind Kurden. Und manche von ihnen sind dafür, dass sie für die Rechte der Millionen Menschen umfassenden Minderheit eintraten, im Gefängnis gesessen. Wegen der Vorstrafen wollte sie die Wahlbehörde nicht am Urnengang teilnehmen lassen.

Die Entscheidung löste viel Unmut aus. Die Kurdenpartei BDP drohte mit einem Wahlboykott, die einflussreiche Industriellenvereinigung Tüsiad übte Kritik, Präsident Abdullah Gül lud Kurdenvertreter zu einem Gespräch. Teils gewalttätige Straßenproteste gab es in mehreren Städten.

Nur wenig trug der ansatzweise Rückzieher der Wahlkommission zur Beruhigung bei. YSK befand, sie werde die Kandidaturen prüfen, wenn die Bewerber entsprechende Dokumente vorlegen - etwa die Bestätigung eines Gerichts über das Wahlrecht. Die Ausstellung eines solchen Papiers haben aber die Richter etwa der bekannten Politikerin Leyla Zana längere Zeit verweigert.

Dabei wäre die Kurdenpartei nicht die einzige, die Kandidaten mit Vorstrafen aufstellen würde. Die größte Oppositionspartei, die konservative CHP, lässt sogar einen Häftling antreten. Mustafa Balbay, der für die kemalistische und mit der CHP stark verbundene Zeitung "Cumhuriyet" arbeitete, steht unter Verdacht, Verbindungen zu einem mafiösen Netzwerk aus Politikern, Militärs und Geschäftsleuten zu haben. Die rechtsnationalistische MHP wiederum lässt einen ehemaligen General kandidieren, der Angeklagter in einem Prozess rund um Umsturzpläne des Militärs ist.

Doch scheinen es vor allem die kurdischen Bewerber zu sein, die die Wahlbehörde stören. Denn - wie Teile des Justizapparats - stehen einige Mitglieder der Kommission der konservativen Opposition weit näher als der regierenden AKP mit ihren islamischen Wurzeln. Und in diesen nationalistischen Kreisen gibt es noch immer die Tendenz, Kurden pauschal als - zumindest potenzielle - Terroristen anzusehen. Die Ankündigungen der AKP, der lange Zeit unterdrückten Minderheit mehr Rechte einräumen zu wollen, werden daher mit größtem Misstrauen beäugt.

So sind Spekulationen über eine Einflussnahme der Regierungspartei auf die YSK-Entscheidung kaum nachvollziehbar. Zum einen fürchtet sich die AKP mit ihrer absoluten Mandatsmehrheit im Parlament nicht vor ein paar kurdischen Politikern. Zum anderen würde sie eine solche Einflussnahme bei jenen potenziellen Wählern unglaubwürdig machen, die auf eine demokratische Lösung des Kurdenproblems hoffen.

An Letzterem zu arbeiten, wird kurdischen Politikern nicht leicht gemacht. Kleinere Parteien scheitern an der hohen Zehn-Prozent-Hürde für einen Einzug ins Parlament. Das kann mit der Kandidatur offiziell unabhängiger Bewerber umgangen werden, die dann später im Parlament einen Klub gründen. Falls diese Kandidatur bewilligt wird.