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Höhere Inflation kein Tabu mehr

Von WZ-Korrespondent Ulrich Glauber

Wirtschaft
Der Wocheneinkauf im Supermarkt wurde schon bisher schneller teurer als die Gesamtrate.
© © Eisenhans - Fotolia

Deutsche Konsumenten haben seit der Euro-Einführung am meisten profitiert.


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Frankfurt/Wien. Geldwertstabilität war in Deutschland während der vergangenen Jahrzehnte eines der höchsten Güter. Die heilige Kuh soll nun für ein besseres Gleichgewicht der Euro-Volkswirtschaften geschlachtet werden. "Es ist in Ordnung, wenn bei uns die Löhne aktuell stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern", zeigte Finanzminister Wolfgang Schäuble Sympathie für Gewerkschaftsforderungen in den gegenwärtig laufenden Tarifverhandlungen. Für einen als Spar-Zuchtmeister bekannten CDU-Politiker war die Aussage ziemlich überraschend.

Deutschland habe bei den Sozialreformen seine Hausaufgaben gemacht und könne sich ein höheres Einkommensniveau der Arbeitnehmer gegenwärtig leisten, begründete der Kassenwart der Bundesrepublik seine Haltung.

Auch die Deutsche Bundesbank, die Inflation in den vergangenen Jahren so abscheulich fand wie der Teufel das Weihwasser, scheint eine schnellere Drehung der Lohn-Preis-Spirale in der größten Volkswirtschaft der Euro-Zone nicht besonders zu stören. Die Bundesrepublik dürfte "künftig in der Währungsunion eher überdurchschnittliche Inflationsraten aufweisen", räumte der Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Zentralbank, Jens Ulbrich, bei einer Anhörung des Bundestagsfinanzausschusses unaufgeregt ein.

Bisher hatten sich die Deutschen darüber freuen können, dass der Wert der Euros in ihren Geldbeuteln weniger schnell dahin schmolz als in anderen Ländern mit der Gemeinschaftswährung. Seit der Einführung des Euro zur Jahrtausendwende betrug die deutsche Inflationsrate durchschnittlich rund 1,6 Prozent, während sie für den gesamten Währungsraum bei rund zwei Prozent lag. Gegenwärtig liegt die Rate in der Bundesrepublik bei zwei Prozent und damit unter dem Durchschnitt von 2,6 Prozent in der Eurozone insgesamt.

"Teil des Ausgleichs unter den Euro-Ländern"

Die Politik in Berlin und die Bundesbanker in Frankfurt beugen sich mit ihrer neuen Toleranz gegenüber Geldentwertung internationalen Forderungen, die angesichts der guten deutschen Konjunktur Zugeständnisse an die kriselnden Volkswirtschaften an der Peripherie der Eurozone fordern. So hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) Deutschland erst am Dienstag empfohlen "einen Anstieg der Gehälter und einiger Güterpreise" als Teil eines Ausgleichsprozesses unter den Ländern mit der Gemeinschaftswährung hinzunehmen.

Zudem scheint Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrem neuen französischen Partner François Hollande entgegenkommen zu wollen, der eine Abkehr von der harten Spar- und Stabilitätspolitik in Euroland fordert.

Ökonomen gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft vorübergehend eine Inflation von vier Prozent vertragen könnte. Das wäre genau das Doppelte der Obergrenze von zwei Prozent, bei der sich die Europäische Zentralbank (EZB) in normalen Zeiten zum geldpolitischen Einschreiten verpflichtet sah.

Die Bundesbanker in Frankfurt versuchen jedoch, aufkeimende Befürchtungen zu dämpfen. Deutschland müsse infolge der Schuldenkrise höchstens auf kurze bis mittlere Sicht höhere Preissteigerungen hinnehmen, als normalerweise erwünscht sei, hieß es am Donnerstag im Umfeld von Bundesbankpräsident Jens Weidmann in Frankfurt.

"Moderate Inflationsrate"

Voraussetzung sei zudem, dass die EZB den Vorrang der Geldwertstabilität nicht aus dem Blick verliere. Bei der EZB in der Frankfurter Nachbarschaft beeilte man sich, daran erst gar keine Zweifel aufkommen zu lassen. Es sei eine "Inflationsrate gemeint, die moderat über dem Inflationsziel der EZB von knapp zwei Prozent liegt", sagte ein hochrangiger Notenbanker der Nachrichtenagentur Reuters. "Wie bereits in der Vergangenheit wird der EZB-Rat wachsam darauf achten, Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität einzudämmen", pflichtete EZB-Chefvolkswirt Peter Praet auf einer Konferenz der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) - siehe auch Artikel rechts unten - nachdrücklich bei. OeNB-Chef Ewald Nowotny ergänzte, die Option des Ausstiegs aus der Politik des billigen Geldes sei ständig im Hinterkopf der Notenbanker, derzeit sei der Zeitpunkt dafür aber noch nicht gekommen.