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Nur radikale wirtschaftlich-politische Maßnahmen können den Klimawandel stoppen, sagt Harvard-Ökonom Gernot Wagner.
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"Was wir heuer als extreme Hitzewelle erlebt haben, wird in zwei bis drei Jahrzehnten einfach ‚Sommer‘ heißen", sagt Gernot Wagner. Der im niederösterreichischen Amstetten geborene Ökonom forscht an der Universität Harvard und ist Autor des Bestsellers "Klimaschock" zu den unberechenbaren Auswirkungen des Klimawandels.
Wagner zählt auf: In den vergangenen 150 Jahren sind die Durchschnittstemperaturen um ein Grad gestiegen. Der Großteil davon geht auf das Konto von Emissionen, die der Mensch verursacht. Wetterextreme brechen in ihrer geballten Unvorhersehbarkeit immer heftiger über die Menschheit herein, sie lassen uns schwitzen oder frieren, reißen Häuser davon, setzen Ortschaften unter Wasser, vernichten Obst-, Gemüse-, Getreide- und Weinernten, führen zu Hungersnöten und zerstören die Infrastruktur, das Zusammenleben und letztlich unser Überleben. Trotzdem pulvern wir ungebremst CO2-Emissionen in die Erdatmosphäre.
"Das perfekte Problem"
Umso paradoxer erscheint dies, da wir den Klimawandel wie der Teufel das Weihwasser fürchten. In einer im britischen "Economist" veröffentlichten Studie wurden im Jahr 2017 Menschen in 38 Ländern zum Thema befragt. Mit 61 Prozent gaben fast zwei Drittel an, nur vor der Terrororganisation "Islamischer Staat" noch mehr Angst zu haben. Dennoch investieren Anleger im Westen weiterhin in fossile Rohstoffe, weil sich die Märkte für erneuerbare Energien erst entwickeln müssen. US-Präsident Donald Trump hat die CO2-intensiven Vereinigten Staaten den Pariser Klimazielen entrissen. Eine Abkehr von fossilen Energiequellen scheint weit entfernt.
"Der Klimawandel ist das perfekte Problem", erklärt Wagner. "Er ist langfristiger, globaler, unsicherer und irreversibler als so ziemlich jedes andere gesellschaftspolitische Problem. Natürlich hat auch der Terrorismus katastrophale Auswirkungen. Aber den Terror zu adressieren, ist vergleichsweise leichter, denn er wirkt kurzfristiger und ist im Wesentlichen ein nordamerikanisch-europäisch-asiatisches Thema." Jeder Terror-Anschlag sei in gewisser Weise begrenzt, die Weltpolitik kenne im Großen und Ganzen die Ursachen, erläutert der Harvard-Ökonom. Die Erderwärmung werde hingegen "in ihrer globalen Dimension so vernichtend sein wie ein Asteroideneinschlag."
Dabei mangelt es nicht an Ideen und auch nicht an Lösungen. Eine beträchtliche Anzahl an US-Staaten zieht ihre Maßnahmen zur Nachhaltigkeit gegen Trumps Linie durch. Nahezu alle Fachbereiche und Wirtschaftszweige streben danach, diesem perfekten komplexen Problem entgegenzuwirken und am Kuchen der CO2-sparsamen Ökonomie teilzuhaben. Stadtplaner denken sich neue Bauweisen aus, um Gebäude für Hitzeperioden fit zu machen, damit Klimaanlagen weniger Schadstoffe in die Luft blasen müssen. Dickeres Mauerwerk, kleinere Fenster, Luftschächte und Fassadenbegrünung sollen die Städte lebenswerter machen, Nullenergie-Häusern sich sogar selbst genug sein. Elektroautos und E-Öffis sollen der wachsenden Mobilität emissionsfrei Rechnung tragen, während Energieversorger daran arbeiten, für all die neuen Vehikel genug sauberen Strom liefern zu können. Was wiederum Batteriehersteller zur Entwicklung neuer Akkus veranlasst.
Am reaktiven Ende betrauern Bauern im Weinviertel ihre vertrockneten Maisfelder. Genetiker wollen mit hitzeresistenten Zuchtpflanzen abhelfen, die auch Hungersnöte in Dürregebieten stillen könnten. Neue Gewächse rufen die Artenschützer auf den Plan, die erstens alte Kulturen retten wollen und zweitens ohnehin jede Menge invasive Arten verzeichnen, denen die Erderwärmung neue Lebensräume bietet. Neue Arten bringen auch neue Krankheiten. Daher bastelt die Pharmazie an immer mehr Impfungen und Medikamenten gegen tropische Seuchen, damit diese sich nicht zu Pandemien auswachsen. Unterdessen grübeln Ernährungswissenschafter, wie sie die Welternährung sichern sollen, wenn die emissionsintensive Fleischindustrie zurückgeschraubt wird. Klimaschutz ist überall drin. Aber es gibt kein politisch-wirtschaftliches Gesamtkonzept, um den Klimawandel zu stoppen.
Aerosole zählen zu jenen Partikeln, die die ganze Misere verursachen. Bei Konzentrationen von 10.000 Teilchen pro Kubikzentimeter Luft können auch sie das Klima beeinflussen. "Während der Hitzewelle im Sommer hatten Staubteilchen aus der Sahara in unserer Luft, bei Waldbränden gibt es Rußpartikel, bei Vulkanausbrüchen Asche. Alle Partikel sind klimawirksam, denn sie bilden Hindernisse für die Sonnenstrahlen", sagt Bernadett Weinzierl, Professorin für Aerosol- und Clusterphysik an der Fakultät für Physik der Universität Wien. Beim Europäischen Forum Alpbach leitet sie zusammen mit Gernot Wagner das Seminar "Physik trifft auf Ökonomie - Klimaforschung und Politik". Die Teilnehmenden sollen ein Gefühl für die Komplexität der Klimaforschung entwickeln können.
Vom Menschen erzeugte Emissionen führen zu Konzentrationssteigerungen von Aerosolen in der Luft. Das Ergebnis ist Smog, der den Strahlungshaushalt der Erde beeinflussen kann. Bodennahe Aerosolpartikel können die Sonnenstrahlen reflektieren - und die Oberflächentemperatur senken. In der Troposphäre sorgen Rußpartikel dagegen für einen Temperaturanstieg, da sie das Sonnenlicht aufnehmen und Wärmestrahlung abgeben. "Nur wenn wir die Luft säubern und die Partikel nicht mehr emittieren, können wir zu normalen Temperaturen zurückkehren", so Weinzierl.
Schleier im All soll Erde kühlen
Je mehr fossile Energien ein Land verbraucht, desto schwieriger wird es, davon wieder wegzukommen. Mächtige Lobbies wollen Kohle im Energiemix. Beispiel Nummer 1: Kohlekraftwerke erzeugen 80 Prozent des Stroms in Indien, dessen Großstädte große Probleme mit Smog haben. Ein Ende davon würde aber die indischen Banken ruinieren, die die Stromwirtschaft finanzierten, und die indische Bahn still stehen lassen. Beispiel Nummer 2: In China fahren eine Million Elektroautos mit Strom aus Netzen, die sich aus Kohlekraftwerken speisen.
Um die Pariser Klimaziele umzusetzen, besteuern zahlreiche jener 70 Länder, die ein Fünftel der weltweiten Emissionen verantworten, mittlerweile CO2. Techniker werken an stabilen Netzen für Wind- und Sonnenstrom und erfinden Nullemissionsstahl oder sogar CO2-negativen Stahl. Wissenschafter wie Gernot Wagner wollen sogar das Sonnelicht in den Weltraum zurückreflektieren: Ein künstlicher Schleier in der Atmosphäre soll die Erde kühlen.
In der Landwirtschaft würde das die Probleme allerdings nur verlagern, betont Wagner. "Forschung, Industrie, Infrastruktur und Politik müssen das System Erde gemeinsam in die richtigen Bahnen lenken. Am Ende wird das einzige Mittel sein, alle Produkte, deren Erzeugung CO2 verursacht, zu verteuern. Die Wirtschaft reagiert nur auf Angebot und Nachfrage." Dann wäre der Preis eines Autos davon abhängig, mit welchem Strom es fährt.