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Höhere Steuer bringt den russischen Wodkamarkt wieder durcheinander · Hamsterkäufe

Von Friedemann Kohler, Moskau

Wirtschaft

Die schlechte Nachricht verbreitete sich in Russland wie ein Lauffeuer: Wodka wird um ein Drittel teurer. Vom 25. Februar an soll 1 l des klaren "Wässerchens" mindestens 62 Rubel (30 Schilling) | kosten, ordnete das Wirtschaftsministerium an. Doch der Wodkapreis ist in Russland nicht irgendeine Zahl. Er trifft den Lebensnerv der Russen, von denen statistisch jeder pro Jahr fast 15 l durch die | Gurgel laufen lässt.


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Murrend stellten sich die Menschen wieder in die Schlange vor den fabrikeigenen Läden der Destillerien, um ganze Kisten Wodka auf Vorrat abzuschleppen. Solche Szenen hat Russland seit der viel

verspotteten Anti-Alkohol-Kampagne von "Mineralsekretär" Michail Gorbatschow 1985 nicht mehr gesehen.

Um den Unmut zu dämpfen, sagte Regierungssprecher Dmitri Kosak, es gebe eigentlich gar keine Preiserhöhung. Der steigende Mindestpreis sei ein Ergebnis der seit Jänner höheren Abgabe von 40% auf die

Spirituosenproduktion, die das Parlament beschlossen habe.

Der neue Wodkapreis ist ein Beispiel dafür, dass es im russischen Wirtschaftschaos nicht gelingt, einem eigentlich florierenden Geschäft Regeln zu geben, mit denen Verbraucher, Industrie und Staat

leben können. Gerade der starke Staat, den auch Wladimir Putin fordert, gefährdet mit bürokratischem Übereifer immer wieder das Gleichgewicht.

Denn eigentlich waren die Nachrichten des letzten Jahres aus der Spirituosenbranche gut. Laut Steuerministerium stieg die Wodkaproduktion 1999 um das Anderthalbfache auf 13,46 Mill. Hektoliter.

Außerdem sei es gelungen, die Akzisen-Erhebung und damit die Kontrolle der Legalität auf 81% der Produktion zu steigern. 11,24 Mrd. Rubel (5,44 Mrd. Schilling) flossen ins karge russische Budget.

Noch 1997 ließen die Brennereien 60% ihres Wodkas schwarz am Steuereinnehmer vorbei laufen. Jetzt will Moskau die Steuerschraube noch stärker anziehen. Die Staatskasse erhoffe sich "zehn Rubel mehr

von jedem Liter", sagte Kosak.

Finanzminister Michail Kasjanow stellte den neuen Mindestpreis als eine Maßnahme zum Verbraucherschutz dar. Nur bei mindestens 31 Rubel je Halbliterflasche sei gewährleistet, dass sie auch aus

legaler Produktion stamme und nicht gesundheitsschädlich sei. "Wenn sie weniger kostet, empfiehlt die Regierung, sie nicht zu kaufen, weil es sich dann nur um ein Surrogat handeln kann", sagte er.

Dagegen erwartet die Industrie, dass die höhere Abgabe einen Teil der Wodkaproduktion und des Handels wieder in den Untergrund treibt. Der Verbandsvorsitzende der Spirituosenhersteller, Pawel

Schapkin, klagte, nur zwei Seiten würden von der Preiserhöhung profitieren - der Staat und die Schwarzhändler, die Billigwodka mit gefälschten Etiketten steuerfrei auf den Markt bringen. Den legal

arbeitenden Destillerien verbiete der starke Wettbewerb jede Preiserhöhung.

Tatsächlich zahlen die Russen durchschnittlich bereits 73 Rubel für einen Liter Wodka. Der neue Mindestpreis trifft vor allem das untere Marktsegment, wo die Geldbeutel nahe dem Existenzminimum von

umgerechnet knapp 500 Schilling sind, der Durst aber am größten ist. Dort macht es einen Unterschied, ob die üblichen "100 Gramm" nach der Schicht sieben oder acht Rubelchen kosten. Daran hängt auch

die Existenz zahlloser Bars und Cafes. Die Arbeiterklasse werde in Zukunft wieder illegalen Wodka trinken oder ihren "Samogon" selbst brennen, schrieb die Zeitung "Komsomolskaja Prawda".

Immerhin hatten die Beamten im Wirtschaftsministerium so viel Einsicht in nationale Trinktraditionen, die Preiserhöhung erst nach dem 23. Februar zu verfügen. Dann feiern die russischen Männer den

Tag des Vaterlandsverteidigers mit einem Großbesäufnis. Doch bis zum Wahltag am 26. März, an dem Putin zum Präsidenten gewählt werden will, hatten sie offenbar nicht gerechnet. "Man kann doch nicht

den Preis für dieses lebensnotwendige Produkt vor den Wahlen erhöhen", tönte es aus den Warteschlangen. "So verliert man Wählerstimmen."