Bei der Pflegereform ist die erste Etappe bis zum Sommer vereinbart: 24-Stunden-Betreuung und Anreize im Kampf gegen Personalmangel stehen im Fokus.
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Bei Menschen mit Demenzerkrankungen ist der Pflegebedarf besonders groß, Pflegekräfte und vor allem auch betreuende Angehörige sind intensiv gefordert. Dieser Aspekt soll künftig auch bei der Zuerkennung von Pflegegeld speziell berücksichtigt werden. Im Zuge der von der türkis-grünen Bundesregierung angekündigten Pflegereform, die jetzt wegen der Corona-Epidemie mit gut einjähriger Verzögerung in Angriff genommen wird, soll bei der Einstufung und Zuerkennung von Pflegegeld besonders Rücksicht genommen werden. Bei einer Tagung der Sozialreferenten der Bundesländer mit Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat man sich grundsätzlich auf ein höheres Pflegegeld für Menschen mit Demenzerkrankungen verständigt. "Das haben wir definitiv auf unserer Agenda", wurde der "Wiener Zeitung" im Sozialministerium erklärt. Allerdings sind Details noch völlig offen.
Schon im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen ist neben den Kernpunkten der künftigen Finanzierung und Lösungen für den erhöhten Personalbedarf eine Weiterentwicklung des Systems des Mitte 1993 eingeführten Pflegegeldes verankert. Festgeschriebenes Ziel ist es, den jeweiligen Pflegebedarf stärker zu berücksichtigen. Derzeit beziehen in Österreich rund 460.000 Menschen Pflegegeld, das in sieben Stufen ausgezahlt wird. Mit dem erhöhten Pflegegeld für Pflegebedürftige mit einer Demenzerkrankung soll pflegenden Angehörigen stärker unter die Arme gegriffen werden. Damit würde auch das vorrangige Ziel der Koalition, pflegende Angehörige besser zu unterstützen, verfolgt. Konkret ist im Regierungspakt auch ein Bonus für pflegende Angehörige vereinbart. Immerhin 800.000 bis 900.000 Personen betreuen in Österreich Angehörige. Die Auszahlung des Pflegegeldes ist Sache des Bundes.
Nachdem eine Arbeitsgruppe inzwischen einen Bericht zur Pflege für die türkis-grüne Bundesregierung fertiggestellt hat, geht Anschober gemeinsam mit den Bundesländern, die bei der Pflege ein entscheidendes Wort mitzureden haben, nun an erste Umsetzungsschritte. Bei dem Treffen am Freitag der Vorwoche unter dem Vorsitz der Vorarlberger Landesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) wurde ein Zeitplan bis zum Sommer vorgelegt. Zur Umsetzung wird noch im März eine eigene sogenannte Zielsteuerungskommission mit Vertretern von Bund und Ländern eingesetzt. Inhaltlich sollen erste Schritte bei der 24-Stunden-Betreuung sowie bei der Ausbildung umgesetzt werden, um den akuten Personalmangel an Pflegekräften zu mildern.
Rahmenrecht für 24-Stunden-Betreuung
Auch bei der 24-Stunden-Betreuung ist die Personalsituation ein Hauptproblem. 2007 hat die damalige SPÖ-ÖVP-Regierung für diesen Bereich legale Regelungen für die vorwiegend ausländischen Pflegekräfte aus Osteuropa eingeführt, die in Österreich rund um die Uhr Betroffene in deren eigenem Haushalt betreuen. Die großteils ausländischen Arbeitskräfte - rund 60.000 sind im Einsatz - wechseln sich meist im Zwei-Wochen-Rhythmus bei der 24-Stunden-Betreuung pflegebedürftiger Menschen daheim ab. Die Corona-Epidemie und die Reisebeschränkungen aus dem Ausland haben im Vorjahr offenbart, wie abhängig das System ist, auch wenn es nur rund fünf Prozent aller Pflegefälle betrifft.
Fix ist für den Sozialminister, dass ausgehend von einem Pilotprojekt der Volkshilfe in Oberösterreich die Beratung ausländischer Pflegekräfte, die meist über Agenturen beschäftigt werden, bundesweit ausgeweitet wird. "Wenn man bei der 24-Stunden-Betreuung die Beratungsschiene ausbaut, ist das super", sagt Silvia Rosoli, Pflegeexpertin der Arbeiterkammer, zur "Wiener Zeitung". So sehr sie es auch begrüßt, ist es für die AK-Expertin mit vermehrter Beratung für die 24-Stunden-Pflegekräfte allein nicht getan. Rosoli verweist darauf, dass die "Legalisierung" dieses Sektors bereits 2007 erfolgt sei. "Was wir brauchen, ist ein umfassendes Rahmenrecht, damit Rechtssicherheit geschaffen wird", fordert sie. Das sei notwendig, "um Missstände zu verhindern".
Im Regierungsprogramm haben ÖVP und Grüne im Auge, dass sich Pflegebedürftige darauf verlassen können, dass sie ein entsprechendes Angebot erhalten, wenn sie für die 24-Stunden-Betreuung auf Pflegekräfte bestimmter Agenturen zurückgreifen. Deswegen soll auf die "Qualitätssicherung" speziell bei der 24-Stunden-Betreuung daheim Augenmerk gelegt werden.
Pflegelehre inder Warteschleife
Zur Behebung des Personalmangels setzen Bundesregierung und Bundesländer vor allem auch auf Umschulungen und Ausbildung von Menschen, die im Zuge der Corona-Krise ihren bisherigen Arbeitsplatz verloren haben. Im Zuge der Joboffensive der Regierung sind seit Oktober des Vorjahres insgesamt 700 Millionen Euro im heurigen und im kommenden Jahr unter anderem auch für Schulungen für Pflegeberufe vorgesehen.
In den Bundesländern gibt es, etwa in Wien oder in Oberösterreich, bereits gezielte Programme des Arbeitsmarktservice, um beschäftigungslos gewordene Personen im zweiten Bildungsweg für Pflegeberufe zu gewinnen. Bei der Tagung der Sozialreferenten war man sich einig, dass auch finanzielle Anreize notwendig sein werden, um Pflegeberufe attraktiver zu machen und Ausgebildete dann auch zu halten, weil derzeit die Fluktuation groß ist und viele Pflegekräfte in andere Branchen wechseln. Für das Sozialministerium steht fest, dass es im Zuge der Pflegereform einen Schwerpunkt bei der Ausbildung gibt. Die weitere Umsetzung sei in Arbeit.
Konkret geht es dabei um Zuzahlungen während Umschulungen als Anreiz für die Pflege, das bedeutet Bonuszahlungen und Aufstockungen während der Pflegeausbildung, da sonst die Kluft zum bisherigen Einkommen zu groß ist und sich Interessierte das schlicht nicht leisten können. Dafür sind Förderungen der öffentlichen Hand notwendig. Man brauche in der Pflege gut ausgebildete Menschen, sagt auch Rosoli: "In die muss man investieren. Dem Staat sollte das etwas wert sein."
Um zusätzliches Personal für die Pflege zu bekommen, wird vor allem auf Betreiben des Wirtschaftsministeriums und der Wirtschaftskammer an der Einführung einer Pflegelehre gearbeitet. Allerdings gibt es laut Auskunft aus Regierungskreisen noch keine Festlegung auf ein konkretes Modell für die Pflegelehre. Auf Arbeitnehmerseite gibt es diesbezüglich Vorbehalte, weil befürchtet wird, dass es dabei vor allem um billige, junge Arbeitskräfte geht, während der Schwerpunkt vor allem auf gut ausgebildete Beschäftigte im Pflegebereich gelegt werden solle.
Viel hängt allerdings an der Finanzierung. Minister Anschober hat bei der Tagung der Sozialreferenten angekündigt, dass dieses Thema erst heuer im Herbst bei den Beratungen mit den Bundesländern in Angriff genommen werde. Fix ist, dass eine eigene Pflegeversicherung vom Tisch ist und es damit bei der Finanzierung aus Steuereinnahmen bleibt. Die türkis-grüne Bundesregierung setzt in erster Linie auf eine "Bündelung" der Finanzierungsströme und bundesweit einheitliche Leistungen. Auf Länderseite wird jedoch bezweifelt, dass damit die steigenden Kosten für die Pflege tatsächlich gedeckt werden können.