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Die deutsche Publizistin Gertrud Höhler attackiert Kanzlerin Angela Merkel frontal.
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Die Medien nennen sie respektvoll "Mächtigste Frau der Welt", "Kanzlerin von Europa" oder zumindest "Deutschlands Eiserne Kanzlerin" - doch wofür Angela Merkel wirklich steht, was ihre politischen Ziele sind und wohin sie Deutschland führen will, das bleibt auch für Kenner der deutschen Innenpolitik immer etwas undurchsichtig und schwer beschreibbar. Den traditionellen politischen Maßstäben von rechts/links, konservativ/modern oder liberal/etatistisch entzieht sie sich regelmäßig. Merkel, so scheint es, ist schwer zu fassen.
Die deutsche Literaturwissenschafterin, Publizistin und Politikberaterin Gertrud Höhler, 71, hat nun einen spektakulären Versuch unternommen, dem Phänomen Merkel auf den Grund zu gehen. "Die Patin - Wie Angela Merkel Deutschland umbaut" hat Höhler ihr Buch programmatisch benannt, und vom Cover signalisiert ein bedrohlich schwarzer Merkel-Scherenschnitt: Die Kanzlerin wird wenig Freude mit dieser Lektüre haben. Frau Köhler bestreitet nicht, dass Frau Merkel eine politische Vision hätte: nämlich die eigene Macht zu erhalten und zu mehren. Diesem Ziel, so die Autorin, ordne Merkel nicht nur alles andere unter - diese Vision sei im Großen und Ganzen auch ihre einzige.
"Mit Angela Merkel kommt der Typus des Ego-Politikers auf die politische Bühne. Die seien doch alle mit einem Riesenego unterwegs, mag mancher jetzt sagen. Aber die Ego-Politikerin Merkel macht den Unterschied", meint Höhler, keiner ihrer Kollegen und Vorgänger habe das Tableau seiner Themen so entschieden unter eine einzige Prämisse gestellt - den persönlichen Machtzuwachs: "Keiner hat so zynisch die oppositionellen Lager ausgeräumt wie sie, keiner hat es zu einem Image gebracht, das die deutsche Kanzlerin begleitet: Alles ist möglich. Nichts ist ausgeschlossen. Die Ego-Karriere rangiert in jedem Fall vor dem Wohl des Landes und vor Europa. Noch kein deutscher Staatschef hat so kompromisslos die Rangfolge seiner politischen Ziele immer wieder umgeworfen und neu sortiert - um den einen Mittelpunkt: das eigene Ich."
Nun wird, wer mit dem österreichischen innenpolitischen Personal auskommen muss, dergleichen nicht weiter ungewöhnlich finden; in Deutschland hingegen gilt so etwas noch immer als anstößig. Dort erwartet man von den Staatsspitzen noch immer, dass Visionen nicht unbedingt ärztlich behandelt werden müssen. Das gilt auch für den zweiten zentralen Vorwurf Höhlers: dass Merkel zum Zweck des Machterhaltes die Demokratie beschädigt. "Das System M etabliert eine leise Variante autoritärer Machtentfaltung, die Deutschland so noch nicht kannte. Die Diktaturen des 20. Jahrhunderts boten andere Erfahrungen, was den politischen Stil angeht - obwohl die Anklänge nicht zu leugnen sind: die Marginalisierung der Parteien, der Themenmix aus enteigneten Kernbotschaften anderer Lager in der Hand der Regentin; ihre Nonchalance im Umgang mit dem Parlament, mit Verfassungsgarantien, Rechtsnormen und ethischen Standards. Der Anspruch, das deutsche ,Bremssystem‘, eine Mischung aus Präpotenz und Symbolpolitik, zum Durchgriff auf das Budgetrecht beliebig vieler europäischer Länder auszubauen, ist wieder eine von den geräuschlosen Sprengungen, die Umsturz als Regierungsprivileg durchsetzen..."
Der Vorwurf an Merkel, Deutschland zu einem autoritären System umbauen zu wollen, hat Höhler eine eher schlechte Nachrede im deutschen Feuilleton eingebracht. "Dieses Buch und seine Autorin bleiben durch und durch Hervorbringungen eines Medienbetriebes, der Tiefenschärfe durch Exzentrik und Klugheit durch Auffälligkeit ersetzt. In der heißen Luft dieses Betriebes leuchtet das Buch dieser Tage grell auf - um dann bald schon zu verglühen", ätzte etwa ein Rezensent des "Deutschlandfunks".
Intellektueller Zickenkrieg?
Da ist was dran, denn wenn auch vieles an Höhlers Diagnose zutreffend sein mag, treibt sie die an sich ja völlig legitime journalistische Zuspitzungsarbeit über das vernünftiger Weise zulässige Maß ziemlich weit hinaus, wenn sie Merkel unterstellt, aus Deutschland so eine Art DDR mit guter Menschenrechtslage und fahrtüchtigen Autos machen zu wollen. Der Leser wird den Verdacht nicht los, es mit einer Art intellektuellem Zickenkrieg zwischen der einst in der CDU hoch angesehenen Höhler, einer Ikone der Bonner Republik, und der ostdeutschen Pastorentocher zu tun zu haben.
Brillant, aber auch sehr humorbefreit getextet, ist Höhlers Buch trotzdem durchaus mit Gewinn zu lesen. Schon weil wir erfahren, wo die Kanzlerin den Abend des Mauerfalls verbracht hat: in der Sauna, wie jeden Donnerstag.
Gertrud Höhler: Die Patin. Wie Angela Merkel Deutschland umbaut. Verlag Orell Füssli, 296 Seiten, 22,60 Euro