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Hamburg (dpa) - Instrumentalisierung und Ausbeutung des Holocaust durch jüdisches "Establishment" in den USA, unkorrekte Verwendung von Entschädigungsgeldern und Unkorrektheit auch bei den neuen Entschädigungsverhandlungen? Sind solche Vorwürfe für eine große öffentliche Debatte in Deutschland geeignet?
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Der deutsche Historiker Hans Mommsen verneint. Sollte das umstrittene Buch des Politologen Norman G. Finkelstein (New York) "The Holocaust Industry" auch auf dem Deutschen Historikertag in Aachen (26.- 29. September) diskutiert werden? Mommsens Kollege Eberhard Jäckel ist strikt dagegen. Jäckel und Mommsen sehen in Finkelsteins Thematisierungen in erster Linie eine Sache der Amerikaner. Für Mommsen gibt es längst bessere Arbeiten über die "Amerikanisierung des Holocaust". Sie seien aber bedauerlicherweise im wesentlichen an der deutschen Öffentlichkeit vorbeigegangen. Die Einzelheiten des Entschädigungsthemas sind für Mommsen vor allem ein Spezialistenthema.
Der Vorsitzende des Verbandes der Historiker Deutschlands, Johannes Fried verweist darauf, dass die Finkelstein-Debatte bisher nicht auf der Tagesordnung des Historikertags steht. Man sei jedoch "offen, wenn eine Diskussion gewünscht wird". Ob sie dann nach entsprechenden Anträgen realisiert wird, hänge davon ab, ob sich noch Raum und Zeit für sie finden. Der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Wolfgang Benz, sieht in der Debatte weniger eine Sache der Historiker als ein "Problem der politischen Kultur". Ihn beunruhigt "der Beifall, den sich Finkelstein jetzt von der rechten Ecke billig einholt". So wie er sich über die "Kommerzialisierung des Holocaust" auslasse, habe man sich an rechten Stammtischen schon immer geäußert.
Michael Wolffsohn meint, viele deutsche Historiker mieden das Thema der Instrumentalisierung des Holocaust "wie der Teufel das Weihwasser", weil sie angepasst, politisch korrekt seien, um ihre Karriere fürchteten. "Mit oder ohne Historikertag, langfristig kann auch dieses Thema nicht tabuisiert werden", betont Wolffsohn. "Ob und inwieweit Finkelstein sorgfältig geforscht hat, ist eine handwerklich-methodische, keine politische Frage. Wer sich diesen Themen widmet, ist noch lange kein 'Antisemit'."
Auch Karl Dietrich Bracher ist gegen eine Tabuisierung. "Man kann solche Themen nicht aus der Debatte ausnehmen. Das ist auch politisch wichtig", konstatiert er. Allerdings scheint ihm deutscherseits bei einem Thema dieser Art auch Zurückhaltung angebracht.
Hans-Ulrich Wehler bemerkt zu Finkelsteins Behauptung finanzieller Unkorrektheit seitens der für Entschädigungszahlungen zuständigen Jewish Claims Conference, er ziehe vor, dass so etwas "ausländische Kritiker monieren und nicht Deutsche und erst recht nicht rechte Deutsche.
Benz vermutet zur Person Finkelsteins, dass seine Attacken wesentlich in Eifersucht und Feindbildern im Bereich jüdischer Kollegen und Institutionen in den USA begründet seien. Fried fürchtet, dass Finkelsteins Buch beim Erscheinen der deutschen Ausgabe Anfang nächsten Jahres die "falschen Leser" findet. Eberhard Jäckel empfiehlt als "besser recherchiert und fehlerfrei" das Buch "The Holocaust in American Life" des Chicagoer Historikers Peter Novick (1999, deutsch 2001). Wolffsohn verweist auf seine eigene Arbeit "Ewige Schuld?" (1988).