Österreich leidet unter einem massiven und bedrohlichen Abgang Hochqualifizierter. Das zu ändern wäre ein lohnendes Großprojekt.
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Weil sich die nun nicht mehr gar so große Koalition offenkundig irgendwie geniert, nach ihrer Redimensionierung durch den Souverän zu machen, was sie am liebsten täte, also fünf Jahre weiter, als wäre nichts geschehen, ist nun von "Reformprojekten" die Rede, die der etwas derangierten Koalition neuen Spirit bringen sollen.
Über Details halten sich die potenziellen Regierungsparteien freilich eher bedeckt, was stark darauf hinweist, dass eine kosmetische Operation ein paar unschöne Altersflecken dieses politischen Projekts notdürftig überschminken soll. Wäre ja nicht das erste Mal, auch nach der Wahl 2008 war viel von einer neuen Form des Regierens die Rede; was davon umgesetzt wurde, ist bekannt.
Sollten hingegen, was nicht gänzlich auszuschließen ist, SPÖ und ÖVP diesmal wirklich ein bedeutendes politisches Projekt aufsetzen wollen, so hat ihnen, wohl eher zufällig, der erfolgreiche Voest-Boss Wolfgang Eder dieser Tage eine nahezu perfekte Skizze dafür geliefert.
Eder wies nämlich auf ein wirklich bedrohliches Faktum hin, das von der Politik weitgehend ignoriert wird: dass viel zu viel kluge Menschen Österreich verlassen (und viel zu wenige zu uns kommen): "Wir haben einen massiven Abgang Hochqualifizierter, 134.000 leben im Ausland, zu wenige kommen nach Österreich. Uns bleibt ein Netto-Überschuss von 41.000 Hochqualifizierten. In der Schweiz sind das 266.000, in Schweden 190.000. Das bringt uns im internationalen Wettbewerb der führenden Industrienationen in eine dramatisch kritische Situation. Wenn wir nicht rasch einen Schwenk sehen, gibt es in fünf Jahren ein böses Erwachen."
Der Voest-Boss ist nicht der Einzige, der diesen Trend für existenziell bedrohlich hält. Schon vor einigen Jahren feixte der Rektor einer angesehenen österreichischen Uni, die besten seiner Absolventen gingen nach Amerika, die guten nach Deutschland, "und der Rest bleibt da". Dass die Wiener Uni im jüngsten "Times Higher Education"-Ranking vom blamablen Platz 139 (2011) auf den noch blamableren Platz 170 abgestiegen ist, passt ins Bild. Man muss kein Bildungsexperte sein, um sich auszurechnen, was einem Land zustößt, das die eigene wie die ausländische Intelligenzija höchstens als Feriendestination schätzt.
Das wirklich nachhaltig zu ändern, wäre ein perfektes Fünf-Jahres-Projekt für eine neue große Koalition.
Nicht leicht, weil an ungefähr einem Dutzend verschiedenen Baustellen gleichzeitig recht robust umgebaut werden müsste, um den Standort Österreich für High-Performer attraktiv zu gestalten, von den irre hohen Steuern bis zu einem generell nicht eben leistungszugewandten gesellschaftlichen Klima.
Dafür wäre es wirklich lohnend, weil es ein vermutlich wesentlich wirkungsvollerer Beitrag zu Wachstum und Wohlstand wäre als viele andere geplante Maßnahmen. Und es hätte den Charme der präzisen Nachvollziehbarkeit. Ob Österreich 2018 annähernd so viele Hochqualifizierte angezogen hat wie Schweden oder die Schweiz, kann man nämlich leicht nachzählen. Aber vielleicht ist ja genau das der Grund, warum es die Koalition nicht wagen wird.
ortner@wienerzeitung.at