Zu Gesicht bekommt man ihn nur selten, denn er ist ein äußerst scheuer Zeitgenosse, der die Gesellschaft von Menschen nicht besonders schätzt. Dennoch hat der Biber gelernt, sich sogar in Wien mit ihnen zu arrangieren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Biber sind wahre Großmeister im Fällen von Bäumen und der Gestaltung von kunstvollen Burgen und Bauen, doch anstatt ihnen dafür Respekt und Bewunderung zu zollen, war der Mensch stets hinter ihrem Pelz, ihrem Fleisch und einem moschusartigen Öl, dem "Castoreum" oder "Bibergeil", das die Tiere zum Einfetten ihres Fells und zum Markieren ihres Reviers benutzen, her. Die rege Nachfrage führte schließlich dazu, dass 1863 der letzte Biber in Österreich sein Leben lassen musste. Erst rund 100 Jahre später wurde der große Nager in den Donauauen wieder angesiedelt, von wo er seinen stillen Siegeszug bis nach Tirol und Kärnten startete - und auch in Wien landete. Hier konnte er allerdings nur an Stellen siedeln, wo die Ufer flach, unverbaut und naturnah gestaltet waren - was für den Donaukanal kaum zutrifft. Dennoch haben sich auch hier einige Pärchen niedergelassen, für die sich die MA 49, das Wiener Forstamt, mächtig ins Zeug geworfen hat, um ihnen bessere Bedingungen zu bieten und dafür sogar die Steinwürfe am Ufer gelockert oder entfernt hat.
"Vor vier Jahren haben wir erstmals die Anwesenheit von Bibern an bestimmten Stellen am Donaukanal bemerkt, nämlich da, wo die Hochwasserverbauung nicht so radikal ist und wo es viele Bäume gibt", erklärt Forstamtsdirektor Andreas Januskovecz im Gespräch mit dem "Wiener Journal". "Doch als die Menschen Bissspuren und gefällte Bäume entdeckten, war es bei vielen mit der Biberliebe gleich wieder vorbei. Dabei passiert das eh nur im Spätherbst und zeitig im Frühjahr, wenn es noch kein anderes Grün gibt. Denn Biber fressen hauptsächlich Gras und krautiges Grünzeug, Bäume fällen sie nur, wenn es sonst nichts gibt. Von denen wiederum schätzen sie die junge, weiche Rinde und die Knospen - und weil das alles nun einmal in der Höhe ist und Biber nicht klettern können, kappen sie eben den Baum."
Wenn dieser den Schiffsverkehr nicht stört (was aber vor allem auf dem Donaukanal mitunter ein Problem darstellt) und auch sonst niemanden gefährdet, darf er liegen bleiben, ansonsten wird er entfernt: "Grundsätzlich nagen Biber die Bäume zwar so an, dass sie ins Wasser fallen, aber es gibt auch Ausnahmen", weiß Januskovecz. Das Gehölz entlang des Wassers nehme grundsätzlich keinen Schaden, da Biber Weiden und Pappeln bevorzugen - weiche Hölzer, die rasch wieder nachwachsen. "Und außerdem müssten wir im Rahmen des Hochwasserschutzes sowieso immer wieder entlang der Ufer fällen und säubern, also hilft uns der Biber sogar gewissermaßen." Ist allerdings nur wenig Futter vorhanden, sucht sich der scheue Nager schon auch einmal ein Ziergehölz oder einen Obstbaum in einem Garten. "Gittermanschetten rund um den Baumstamm helfen aber gegen Verbiss", hat Januskovecz einen einfach umzusetzenden Rat parat. Fischteichbesitzer müssen sich jedenfalls keine Sorgen machen - auf Fisch steht der Biber nämlich überhaupt nicht.
Nicht zu unterschätzen
Der Forstamtsdirektor gibt allerdings zu bedenken, dass man den pummeligen Nager nicht unterschätzen sollte: Die Tiere können bis zu 1,30 Meter lang und im besten Fall bis zu 40 Kilogramm schwer werden - und sie sind schnell. Fühlen sie sich bedroht, gehen sie rasch zum Angriff über. Dass sie dabei ihren wie eine Kelle geformten Schwanz als Waffe einsetzen, bezweifelt Rosemarie Parz-Gollner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien und Biberspezialistin, allerdings: "Dass ein Biber mit seinem Schwanz einem Hund das Genick bricht, halte ich für ein Gerücht, das ist ja kein Tennisschläger und außerdem müsste er sich dafür umdrehen - wodurch der Biber, der sowieso schon schlecht sieht, seinen Angreifer noch viel weniger im Auge behalten könnte. Aber er hat äußerst scharfe Zähne und die benutzt er auch!" Deswegen rät sie, Bibern nicht zu nahe zu kommen und Hunde in Bibergebieten an die Leine zu nehmen. Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel: "Leute haben uns von einem Biber am Marchfeldkanal erzählt, der mitten am Tag seelenruhig in einer Wiese gesessen ist und sich phlegmatisch von einer ihn umkreisenden Katze bestaunen ließ. Aber wie gesagt, Biber sind keine Kuscheltiere, sie werden schnell aggressiv und greifen dann an", rät sie zur Vorsicht.
Schwierige Kartierung
Parz-Gollner beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit den Bibern in Wien und Umgebung und steht kurz davor, ein Kartierungsprojekt abzuschließen. Das Zählen der Individuen kommt als Methode dabei allerdings nicht in Frage: "Die Biber sind viel zu scheu und verlassen ihre Baue meist nur abends, wir zählen daher ihre Spuren, vor allem Nagespuren und Reviermarkierungen in Form von Duftmarken. In der vegetationsfreien Zeit machen wir uns mit GPS auf die Suche nach ihren Bauen." Je nach Futterangebot sind die Reviere unterschiedlich groß, das heißt je mehr Futter, desto kleiner das Revier. Es wird aber grundsätzlich nur von einer Familie bewohnt - wobei die ein Leben lang monogamen Bibereltern die Jungen mit etwa zwei Jahren aus dem Bau werfen. "Das ist der zweite Abschnitt im Leben eines Bibers, der tatsächlich lebensgefährlich ist. Der erste ist die Umstellung von Muttermilch auf feste Nahrung, das schaffen etliche nicht. Mit dem Rausschmiss aus dem elterlichen Bau müssen die Jungbiber eigene Reviere suchen - und wenn sie da in ein bereits besetztes kommen, werden sie verbissen und das endet oft tödlich. Es gibt eben kein Stockbett im Revier", erklärt Parz-Gollner. Natürliche Feinde hat er außer dem Menschen und anderen Bibern keine: "Selbst da, wo Bären und Wölfe leben, hat das keinen Einfluss auf die Biberpopulationen. Sie haben ein natürliches Regulativ, also die Sterblichkeitsrate bei Jungtieren durch die Nahrungsumstellung, durch Hochwässer oder Revierkämpfe und suboptimale Standorte - da kann der Biber keine Familie etablieren. Dabei hält dieser Nager erstaunlich viel aus, sogar schlechte Wasserqualität. Allerdings könnte das eventuell seine Lebenserwartung verkürzen."
Eine Lanze für den Biber
Januskovecz sieht in der Ansiedelung der Biber in Wien ein gutes Zeichen, weiß aber auch um die Probleme, die die Bevölkerung mit ihnen hat: "Wien will eine Umweltmusterstadt sein, da muss sie die sich ansiedelnden Wildtiere und deshalb auch den Biber aushalten. Wenn er die Bäume an den Uferrändern fällt, ist das überhaupt kein Problem, und solange es genug davon gibt, schaut er sich nicht anderswo nach Nahrung um. Ihn gleich als Baummörder und Störer des ökologischen Gleichgewichts zu bezeichnen, ist nicht nur übertrieben, sondern einfach falsch."
Parz-Gollner sieht Wien als neue Biber-Hochburg differenziert: "Direkt in der Stadt ist zum Beispiel der Wienfluss zu stark verbaut, da hat er keine Freude damit. Auch der Donaukanal ist kein echtes Hoffnungsgebiet, da ‚gfretten‘ sich die Biber eher durch. Auch die direkten Konfrontationen mit Menschen sind ein Problem, man denke nur an das Gänsehäufl. Und es gibt halt leider mehr Baum- als Biberverteidiger." Dass in Wien dennoch (bislang) keine Biber abgefangen oder gar geschossen werden, verdanken sie dem Wiener Naturschutzgesetz und der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie. Anders läuft es leider in Niederösterreich, da entledigt man sich eines unerwünschten Bibers schon einmal mit dem Gewehr ...
"Sein größtes Talent ist gleichzeitig sein größtes Handicap, nämlich seine bauliche Gestaltung", bedauert Parz-Gollner die Ressentiments gegen den Biber. "In den Donauauen, wo die Menschen keinen unmittelbaren Anspruch auf Land, Wasser und Ufer erheben, stört der semiaquatisch lebende Großnager niemanden, an der Alten Donau sieht das dagegen schon ganz anders aus." Das Biber-Kartierungsprojekt geht der Wissenschafterin daher auch ziemlich an die Nieren: "Der Mensch setzt sich überall hin, kein Fleckchen Erde darf ungenutzt bleiben und dann wirft man dem Biber vor, dass er stört! Wenn man wenigstens die Uferstreifen freilassen würde, nicht alles okkupieren und nicht überall etwas hinbauen würde, dann wäre alles schon viel einfacher", bricht sie eine Lanze für den bedrohten Biber. Deshalb hofft sie auch auf eine Veröffentlichung der Ergebnisse ihres Kartierungsprojektes, denn "je mehr man weiß und je besser die Information ist, desto leichter kann man der Bevölkerung klarmachen, wie wichtig die Biber für das Ökosystem sind." Das belegen auch Untersuchungen, die ergaben, dass das Umfeld von Biberburgen ein äußerst artenreiches Biotop ist und eine Vielzahl und Vielfalt von Fischen, Vögeln, Insekten und kleinen Säugetieren beherbergt. So gesehen könnte man den Biber wohl als Umweltschützer betrachten - und wir sollten ihm endlich den Respekt zollen und den Schutz bieten, den er immer schon verdient hat ...
WISSEN
Die Biber (Castoridae) sind höhere Säugetiere und gehören zu den Nagetieren.
Es gibt zwei Arten, den Kanadischen Biber und den Europäischen Biber, die sich vor allem durch ihre Größe unterscheiden. Sie sind reine Vegetarier und leben semiaquatisch, das heißt ihre Lebensweise ist an Wasser und Land gebunden. Sie erreichen eine Größe von bis zu 1,30 Meter und können bis zu 40 Kilogramm schwer werden. Nach einer Tragezeit von drei Monaten wirft das Weibchen bis zu vier Junge, die etwa zwei Jahre lang bei den Eltern bleiben.
Dämme baut der Biber nur dann, wenn der Wasserstand für seine Bedürfnisse zu niedrig ist, das heißt wenn der Eingang zu seinem Bau nicht unter Wasser liegen würde.
Artikel erschienen am 22. Juni 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 8-11