China zelebriert den 20. Jahrestag der Rückgabe der Ex-Kronkolonie Hongkong an Peking. Nicht allen ist zum Feiern zumute.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Hongkong. In einem kleinen Palais im früheren französischen Sektor von Shanghai empfing der Vizepremierminister und Außenminister der Volksrepublik China, Marschall Chen Yi, den österreichischen Journalisten Hugo Portisch. Portisch hat die Begegnung in seinem 1965 erschienen Buch "So sah ich China" dokumentiert. Nach der formalen Begrüßung forderte Chen Yi Portisch auf, in den großen Polsterstühlen des Empfangssalons Platz zu nehmen. Tee wurde serviert, anschließend Eiscreme. Marschall Chen Yi kam dann auf außenpolitische Themen zu sprechen: "Taiwan, Hongkong und Macao sind Enklaven der Imperialisten in unserem Land. Es sind Teile unseres Landes. Sie werden befreit werden", erzählte Chen Portisch. "In der nächsten Minute aber zeigte der Außenminister von China, dass er ein Realist ist. Es käme nicht darauf an, ob sie jetzt oder in 15 Jahren befreit würden. ‚Solche Fragen löst die Zeit‘, meinte er", schrieb Portisch in seinem China-Bestseller im Jahr 1965.
Am 1. Juli 1997, kurz nach Mitternacht des 30. Juni, war es so weit. Im Hongkong Convention and Exhibition Centre in Wan Chai wurde die chinesische Flagge gehisst. Dieser Moment markierte das Ende der 156 Jahre währenden britischen Kolonialherrschaft in Hongkong. Für das Reich der Mitte ging eine Epoche, die in China als "Jahrhundert der Erniedrigung" bekannt ist, zu Ende. Das Reich der Mitte war nach den Opiumkriegen 1840 unter anderem dazu gezwungen worden, Hongkong an London abzutreten und die Häfen für Produkte des britischen Empire - darunter auch Drogen - zu öffnen.
Seither gilt die Devise: Ein Land, zwei Systeme. Mit dem Ende der Kolonialherrschaft der Briten wurde 1997 auch fixiert, dass Hongkong für weitere 50 Jahre Souveränitätsrechte eingeräumt werden sollen. Im Artikel fünf des ersten Kapitels des Hongkong Basic Law, dem Verfassungsdokument Hongkongs, ist festgehalten: "Das sozialistische System und sozialistische Politik sollen in der Sonderverwaltungsregion Hongkongs nicht angewandt werden, das bisherige kapitalistische System und die bisherigen Lebensweise soll für 50 Jahre unangetastet bleiben." Bisher hat sich Peking bedeckt gehalten, wie es mit Hongkong im Jahr 2047 weiter gehen wird.
Die Vergangenheit seit der Übergabe der Macht von London an Peking war jedenfalls wechselvoll: Hongkong konnte in den Jahren nach der Rückgabe an China vom beispiellosen Wirtschaftsboom auf dem Festland profitieren, die Stadt wird als Wirtschaftsstandort geschätzt, Häfen und Flughafen sind hocheffizient, Hongkong ist das wichtigste Finanzdienstleistungszentrum der Region, Investoren schätzen die Effizienz des Rechtsstaats und der Regulierungsbehörden. Und Hongkong ist ohne jeden Zweifel jener Ort in China mit dem höchsten Grad an bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechten, Journalisten in Festlandchina beneiden ihre Kolleginnen und Kollegen um ihre Arbeitsbedingungen. Die "South China Morning Post" ist eine der wichtigsten Quellen für Beobachter Chinas, die freche Boulevardzeitung "Apple Daily" ist das Sprachrohr der Peking-kritischen Demokratiebewegung.
Quirlige Zivilgesellschaft
Die Zivilgesellschaft war in den vergangenen Jahren quirliger denn je: Im Herbst 2014 wurden Teile der Stadt von sogenannten Regenschirm-Protesten lahmgelegt, deren Teilnehmer freie Wahlen forderten. Der Vorwurf der Opposition: Peking würde sich zunehmend in die Angelegenheiten der Sonderverwaltungszone einmischen und damit die Autonomievereinbarungen mit Großbritannien verletzen. Getragen wurden diese Proteste vornehmlich von Hongkonger Studentinnen und Studenten, die die koloniale Duldsamkeit ihrer Eltern abgestreift und auch mit China nicht viel zu tun haben wollen.
Aber gerade in diesen Tagen, da des 20. Jahrestags der Rückgabe Hongkongs an China gedacht wird, erinnert China die Welt an den Herrschaftsanspruch über das Territorium: So hat etwa Chinas Präsident Xi Jinping bei seinem Besuch in Hongkong eine große Militärparade abgenommen. Er besuchte am Freitag einen Militärflughafen der Volksbefreiungsarmee im Norden der Sonderverwaltungszone und fuhr in einem offenen Geländewagen an den aufmarschierten Truppen vorbei. Neben Panzern und Kampfhubschraubern wurden auch Raketenwerfer zur Schau gestellt - die größte Militärparade in Hongkong seit der Rückgabe der einstigen britischen Kronkolonie an China.
Xi Jinping hatte aber nach seiner Ankunft betont, dass China am Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" festhalten wolle. Bei Protesten im Vorfeld von Xis Besuch waren am Mittwoch 26 Demokratie-Aktivisten festgenommen worden, darunter auch einige der Studentenführer der Proteste von 2014. Am Freitag wurden sie wieder aus der Haft entlassen. Die Feiern zum 20. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China finden am heutigen Samstag statt, die Polizei schirmt die Gegend um ein Tagungszentrum und Xis Hotel am Hafen weiträumig ab.
Zukunft als Megacity
Wie aber wird es mit Hongkong weitergehen? Die Stadt wird Teil der größten städtischen Agglomeration der Welt: Guangzhou, Shenzhen, Dongguan, Zhaoqing, Foshan, Huizhou, Jiangmen, Zhongshan and Zhuhai wachsen zu einer gewaltigen Megacity - größer als Tokio - zusammen. Die Infrastrukturinvestitionen sind gewaltig: Eine fast 50 Kilometer lange Brücken- und Tunnelkonstruktion (Kosten rund 9,4 Milliarden Euro) verbindet Zuhai mit Hong Kong und Macao. Von Hongkong kommt man schon heute mit der U-Bahn in die nördlich gelegene 10,7-Millionen-Einwohner-Stadt Shenzhen - man muss nur die "Zonengrenze" passieren und in einen Zug des anderen U-Bahn-Netzes einsteigen. Es entsteht ein Technologie- und Universitätscluster megalomanischen Ausmaßes.
Seine Position als Finanzdienstleistungszentrum wird Hongkong freilich seit Jahren immer mehr von Shanghai streitiggemacht. Wobei Experten betonen, dass der chinesische Markt mehrere große Finanzdienstleistungszentren vertragen kann.