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"Bei jedem richtigen Konzert / ist Musik ein Fremdkörper, der stört", hat Georg Kreisler 1975 gesungen. Das Klassikpublikum, so ätzte er damals zur Melodie von Mozarts "Kleiner Nachtmusik", würde ja lieber "sein eigenes Konzert" reden.
Zwar war diese "Kleine Gutenachtmusik" eine große Übertreibung: Im Klassikkonzert lauscht man noch heute meist andachtsstarr. Das andere, das Kreisler-Extrem, ist nun aberim Musiktheater auf dem Vormarsch: Wenn dort gerade keiner singt, beginnen am Sitzplatz die Soli. Wie jüngst bei der Mörbisch-Premiere: Da bewies einer summenderweise, dass auch er den "Kaiserwalzer" kennt, da tuschelten vier ältere Damen wie Schülerinnen, da dozierte einer mit raumfüllender Stimme, das Bühnenbild sei heuer aber "sehr aufwendig".
Natürlich: Solche Kritik klingt oberlehrerhaft, bieder, uncool. Das verschwindende Schweigen (auch an der Staatsoper) ist aber mitnichten antiquiert. Es drückt sich darin auch ein Respekt vor dem Sitznachbarn aus. Der will nämlich vielleicht wirklich zuhören. Weil er Musik noch nicht für das hält, wozu sie die omnipräsenten Lautsprecher und Streamingportale des Internets machen: tönendem Raumspray.
Zu kulturpessimistisch? Vielleicht. Ganz abstreiten lässt es sich aber nicht, dass die Musikindustrie an der Abschaffung des achtsamen Hörers arbeitet. Jüngstes Prachtbeispiel: ein Stück namens "Sleep". Die säuselnde Novität aus dem Hause "Deutsche Grammophon" wurde vom Engländer Max Richter komponiert, dauert bettschwere acht Stunden und soll Hörers Schlaf behüten. Womit wir endgültig bei Kreislers "Gutenachtmusik" wären. Wie heißt es da zuletzt? "Die Kunst soll niemand reizen, darin liegt ihr Reiz / Applaus allerseits."