Zum Hauptinhalt springen

Horoskope des Todes

Von Eva Stanzl

Wissen
Johannes Reiter (li.) und sein Doktorvater, Krishnendu Chatterjee, kalkulieren Entwicklung.
© IST/Riedler

Österreichische Forscher kombinieren Mathematik und Krebsforschung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Maria Gugging. Die Perspektive könnte die "Generation Praktikum", der sich gut bezahlte Traumjobs entziehen, mit Trauer, sogar Wut oder Neid erfüllen. Johannes Reiter ist sie aber fast schon unangenehm. "Ich frage mich, wie ich da raus komme", sagt er etwas verlegen. Nach dem Abschluss seines Doktorats in Informatik hat er Aussichten auf einen Post Doc an der Universität Harvard. Er will aber auch ein Praktikum bei einer der Biotech-Firmen machen, die ihm bereits Angebote stellen. "Ich habe zu viele Pläne", seufzt der 27-Jährige, der am Institute of Science and Technlogy (IST) Austria tätig ist.

Johannes Reiter kombiniert Mathematik und Krebsforschung. Er berechnet die Evolution von Krebszellen. Seine Gleichungen können vorhersagen, wie sich Tumorzellen entwickeln und gegen welche Medikamente sie resistent werden. So gesehen erstellt er eine Art Horoskop des Todes und der Lebensrettung zugleich. Denn die Berechnungen sollen ermöglichen, unkontrolliertes Zellwachstum zu bekämpfen und somit ein frühzeitiges Auftauchen des Sensenmannes abzuwenden. Bei Erfolg verspricht der Forschungszweig möglicherweise revolutionäre Therapien. Für Johannes Reiter verspricht er eine Vielzahl von Möglichkeiten auf der ganzen Welt.

Anders als die meisten Forscher am IST stammt er nicht aus einem fernen Land, sondern aus Niederösterreich. Reiter ist ein echter "Local". Er ist in Asperhofen aufgewachsen, 25 Autominuten von Maria Gugging entfernt. Nach der Schule studierte er Informatik an der Technischen Universität Wien. Wie der Zufall es wollte, besuchte er auf dem Weg nach Hause einmal einen Vortrag an der Postgraduate-Uni in Maria Gugging, wo der aus Österreich stammende Harvard-Biomathematiker Martin Nowak über die Spieltheorie referierte. "Als mir klar wurde, dass ich sie mit Informatik kombinieren kann, habe ich mich hier beworben", sagt Reiter. Er wurde als einer von sieben aus 100 Interessenten genommen.

Die Spieltheorie untersucht interaktive Entscheidungsprobleme in Logik, Wirtschaft, Zell-, Entwicklungs-, Populations- und Evolutionsbiologie und Softwaresystemen. Zusammen mit seinem Doktorvater, Krishnendu Chatterjee, konnte Reiter jüngst berechnen, dass Kooperation langfristig strategisch sinnvoller ist als Verrat. Nun untersuchen die Forscher die Evolution von Krebszellen mithilfe dieser Gleichungen.

"Wir beschreiben die Evolution von Tumor-Resistenzen gegen Wirkstoffe", präzisiert Reiter: "Damit können wir voraussagen, wann und warum ein Wirkstoff nicht funktionieren wird." Greift man Tumore in der Chemotherapie einer neuen Generation von gezielten Wirkstoffen an, reduziert sich die Größe des Tumors oft dramatisch. Jedoch ist die positive Reaktion nur von kurzer Dauer, wenn Krebszellen entstehen, die gegenüber dem Wirkstoff resistent sind. Damit die Therapie nicht versagt, müssen Tumore mit mehreren Arzneistoffen behandelt werden, die auf unterschiedliche Signalwege abzielen. Die Forscher haben nun entdeckt, dass die Mittel kombiniert, nicht hintereinander am besten wirken.

Doch ist unkontrolliertes Zellwachstum wirklich präzise berechenbar? "Wie müssen bestimmte Annahmen treffen, um zu einem Ergebnis zu kommen", schränkt Reiter ein: "Wir beschreiben Szenarien, die wir für am relevantesten halten." Genau dies ist aber die Schwierigkeit bei Berechnungen der Evolution. "Würde die Entwicklung seit dem Urknall noch einmal starten, ist es nicht gesagt, dass wir ein zweites Mal zu dem Punkt kämen, an dem wir heute sind. Wir wissen wenig über die Rolle des Zufalls und anderer Einflüsse", sagt Reiter. Das Leben könnte vielleicht ganz anders aussehen. Könnte es das nicht, wäre alles vorbestimmt. Ob es wirklich möglich ist, die Evolution von Krebszellen trefflich zu berechnen, muss sich erst weisen. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert. Denn selbst wenn der Zufall den Forschern einen Strich durch die Rechnung macht, lohnt sich die Suche nach besseren Therapien.