)
Mehr als 100 Tote hat eine Bombenserie in Bagdad gefordert, auch Kinder befinden sich unter den Opfern. Der Anschlag ist erschreckend und symptomatisch zugleich - er macht auf eine gefährliche Entwicklung aufmerksam.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Er zeigt, dass die USA nicht in der Lage sind, im Zweistromland für ein Minimum an Ordnung zu sorgen. Die Bomben explodierten in der Nähe von Ministerien - Orte, in deren Umkreis höchste Sicherheitsstufe herrscht. Eine bewusste Demütigung für Washington stellt die Tatsache dar, dass auch die scharf bewachte "Grüne Zone" in Bagdad, in der sich US-Botschaft und Regierungszentrale befinden, nicht verschont blieb. Der Sicherheitsbereich wurde offenbar mit Katjuscha-Raketen angegriffen; wie viele Opfer es hier gab, ist noch nicht bekannt.
Seit sich die US-Truppen im Sommer aus den irakischen Städten zurückgezogen haben, nimmt die Zahl der Anschläge und damit die Zahl der Toten jedenfalls zu. Eine schleichende Entwicklung, die am Dienstag evident wurde. Sie macht deutlich, dass da, wo US-Soldaten ein Macht-Vakuum hinterlassen, der Terror an Boden gewinnt.
Das lässt Böses für die nähere Zukunft ahnen. Ende August 2010 soll ein großer Teil der US-Soldaten aus dem Zweistromland abgezogen sein, Ende 2011 werden sich laut Plan des Pentagon nur noch ganz wenige GIs im Irak aufhalten. So wie die Dinge derzeit stehen, droht das Land spätestens dann zu zerfallen oder in kompletter Anarchie zu versinken.
Jetzt macht sich außerdem augenfällig bemerkbar, dass der Irak für US-Präsident Barack Obama kein prioritärer Kriegsschauplatz ist. Nachdem die Bush-Administration in ihrer letzten Phase mit großem Material- und Geldaufwand eine gewisse Stabilisierung im Zweistromland erreicht hat, ist es jetzt wieder auf dem Weg zurück ins Jahr 2006. Damals erreichten Terror und Attentate ihren Höhepunkt.
Abseits davon wird immer klarer, wie schwierig es ist, dem Irak ein demokratisches Fundament zu verpassen. Wochenlang waren die verschiedenen Gruppen in einen heftigen Streit darüber verstrickt, wie die ursprünglich für Jänner angesetzten Parlamentswahlen zu regeln seien. Einigkeit gab es lange keine, Kurden, Schiiten und Sunniten kämpften um jeden Paragrafen, der Termin musste verschoben werden. Jetzt wurde ein Kompromiss erzielt und die Wahlen für den 6. März angesetzt. Ob dieser Termin eingehalten werden kann, ist offen.
Dabei ist es hochgefährlich, wenn Politiker im Irak einander öffentlich diskreditieren. Jedesmal, wenn der politische Streit in der Vergangenheit eskalierte, nahm die Gewalt zu. Dass der jüngste Anschlag eine Reaktion auf das neue Wahlgesetz war, ist nicht auszuschließen. Die Terroristen haben jedenfalls deutlich gemacht, dass das Votum im März eine blutige Angelegenheit wird. Bei dem Horror-Anschlag könnte es sich um eine Art Warnschuss gehandelt haben. **
Bericht - Seite 7**
Alle Beiträge dieser Rubrik unter:
www.wienerzeitung.at/analyse
analyse@wienerzeitung.at