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Horror und Glück eines Jahrhunderts

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".

2014 wird ein starkes Gedenkjahr. 25 Jahre davor fiel der Eiserne Vorhang, 100 Jahre davor brach der Erste Weltkrieg aus.


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Im Museum "Schauplatz Eiserner Vorhang" in den Kellergewölben des Schlosses Weitra haben Besucher kein Problem, sich auf die Exponate zu konzentrieren, denn überlaufen ist die vom ehemaligen Außenminister Alois Mock gegründete Gedenkstätte nicht. Obwohl schon am Schlosseingang ein Stück echter Berliner Mauer die kontinentale Bedeutung der technischen Spaltung Europas verkündet, scheint die Realität der "Todesgrenze" die Wohlstandsbürger von heute wenig zu interessieren. Die Älteren haben das Ereignis sowieso erlebt, für die Jungen ist es ein Fleck Geschichte "im vorigen Jahrtausend".

Die Ausstellung präsentiert sich heuer in überarbeiteter Form. Armin Laussegger von der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich ist amtlich für das Museum an der einst exponierten Stelle nahe der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze zuständig. An dieser Grenze haben 129 Personen bei Fluchtversuchen nach Österreich das Leben eingebüßt. Aber auch die fallweise mörderische Routinearbeit der tschechoslowakischen Wächter scheint extrem belastend gewesen zu sein: Nicht nur die Unfallzahlen waren hoch, 236 Selbstmorde wurden registriert.

Solche Einzelheiten gräbt der Historiker Philipp Lesiak im Namen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung aus einer Überfülle von Aktenbeständen aus. Die Arbeit kommt gut voran, sagt er, zumal das tschechische "Institut zur Erforschung totalitärer Regime" äußerst kooperativ sei. Grenzzwischenfälle und Geheimdienstaktivitäten in der gesamten Nachkriegszeit bis 1989 sind die beiden Hauptforschungsgebiete. Auf dem Areal der Forschungsstätte in Raabs an der Thaya ist ein verkleinerter "Eiserner Vorhang" zu besichtigen. Aber das ist ja das Problem nicht nur an der österreichisch-tschechischen Grenze, sondern auch an der einstigen innerdeutschen Grenze einschließlich der Berliner Mauer, dass im Überschwang von 1989 alles gründlich beseitigt wurde, ohne auf die Sicherung eines anschaulichen, regelrecht begehbaren Dokuments für die Nachwelt Rücksicht zu nehmen. So gibt auch Laussegger in Bezug auf das Publikumsinteresse zu: "Ein Blockbuster ist die Ausstellung ‚Eiserner Vorhang‘ nicht."

Umso mehr müsste man jetzt schon nachdenken, was sich aus dem Gedenkjahr 2014 machen lässt. Um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges wissenschaftlich zu würdigen, werden die internationalen Historiker sehr bald Schlange stehen. Das ist natürlich eine ganz andere Dimension als etwas, was bloß 25 Jahre zurückliegt. Ein innerer Zusammenhang zwischen 1914 und 1989 drängt sich aber zwingend auf. Jetzt, da die Europäer bereits an der Architektur der Europäischen Union und der Gemeinschaftswährung Euro zu nörgeln und zu zweifeln beginnen, wäre ein historischer Denkanstoß nützlich: An den zwei Jahrestagen zeigt sich, was Europa 1914 verloren hat und wie es viele Jahrzehnte mit noch größeren Katastrophen brauchte, bis 1989 die Ordnung in Freiheit, Demokratie und Zivilisation zurückerobert wurde.