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Hu Shuli, die gefährlichste Frau Chinas

Von Alexander U. Mathé

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Hu Shuli hat ein Händchen für brisante Artikel. Das hat sie zur gefeiertsten Journalistin Chinas gemacht.


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Als Chefredakteurin des Wirtschaftsblatts "Caijing" sorgte sie dafür, dass Skandale und Korruption an die Öffentlichkeit drangen, über die viele lieber den Mantel des Schweigens gehüllt hätten. Mutig und hartnäckig berichtete sie Unangenehmes in einem Land, das nicht unbedingt berühmt ist für eine liberale Medienkultur.

"Caijing" deckte auf, prangerte an und verurteilte. Die Enthüllungen machten sogar vor hohen Parteikadern nicht halt. Die Zeitung berichtete, dass bei einem Erdbeben in Sichuan vor allem deshalb so viele Kinder ums Leben gekommen waren, weil die Schulen schlecht gebaut waren. Dann wieder erfuhren die Leser, dass Chinas größte börsennotierte Unternehmen ihre Gewinne gefälscht hatten. Auch der Ausbruch der Sars-Epidemie wurde zuerst von "Caijing" gemeldet. In den elf Jahren seit der Zeitungsgründung avancierte Hu Shuli zum Symbol des freien Journalismus. Viele bezeichneten sie als "die gefährlichste Frau Chinas".

Doch damit war vor einem Monat Schluss. Hu kündigte. Zu stark fühlte sie die zunehmenden Eingriffe des Zeitungseigentümers, der immer öfter verfügte, heikle Artikel zurückzuhalten. Zu dieser Selbstzensur gesellte sich Unzufriedenheit über die Bezahlung der Redaktion. Obwohl "Caijing" das führende (zumindest teilweise) unabhängige Finanzmedium ist, ist die Bezahlung dort eher durchschnittlich. Letztlich führte auch die strikte Ablehnung, die Berichterstattung über die Finanzwelt hinaus auszudehnen, dazu dass Hu ihren Hut nahm und mit ihr ein Großteil der Belegschaft der Zeitung.

Derzeit ist Hu Shuli Dekanin an der Sun Yat-Sen Universität für Kommunikation und Design in Guangzhou. Dort ist sie sicherlich ein Gewinn, gehört sie doch der ersten Studentengeneration nach der Kulturrevolution an und ist somit doppelt geeignet, Freiheit und Courage einer neuen Generation von Journalisten zu vermitteln.

Gleichzeitig bastelt Hu an einem neuen Zeitungsprojekt. "Caixin" soll das neue Medium heißen (eine alternative Transliteration der chinesischen Abkürzung, die auf Deutsch Wirtschaftsneuigkeiten bedeutet). Angeblich ist auch eine internetbasierte englischsprachige Nachrichtenagentur für Finanzen geplant. Die großen Ereignisse werfen auf der Seite http://shuli.sysu.edu.cn ihre Schatten voraus. Derzeit wartet "Caixin" noch auf die Veröffentlichungsgenehmigung der chinesischen Behörden.

Unklar ist allerdings, wer für das neue Medium das Geld aufbringen und wer auf Regierungsseite für Unterstützung sorgen wird. Dafür war bisher Wang Boming zuständig. Er ist ein gut vernetzter ehemaliger hoher Beamter und Chef der Firma Stock Exchange Executive Council, die "Caijing" finanzierte. Er dürfte Hu im Rahmen ihrer Recherchen auch einige Türen auf höchster Parteiebene geöffnet haben.

Setzt Hu ihr Vorhaben in die Tat um, wird sich die ehemalige "Caijing"-Belegschaft unter dem neuen Banner formieren und versuchen, den kritischen Journalismus weiterzubetreiben, der Hu und ihr Team so berühmt gemacht hat.