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Das N-Wort wird wieder zur Erklärung aller Übel gebraucht. Das ist Unfug.
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Begonnen hat die ganze Sache mit Corona und den wirtschaftlichen Folgen, aber so richtig in Fahrt gekommen ist sie in den vergangenen Monaten, in denen erst die KPÖ die bemerkenswerteste Auferstehung seit Lazarus feiern konnte und anschließend die SPÖ einen neuen Parteichef kürte, der leichte Abgrenzungsprobleme zum Marxismus hat. Und deshalb, nicht viel anders als die KPÖ, mit wehenden Fahnen zum Klassenkampf wider die "neoliberalistische Gefahr" ausrückt. Dass der Neoliberalismus a) gescheitert ist, b) die Massen ins Elend gestürzt hat und c) nun durch einen starken Staat zu ersetzen ist, lesen und hören wir neuerdings in klar erhöhter Schlagzahl in allen möglichen Kanälen, von Talkshows bis Twitter-Tratsch.
In diesem Zusammenhang wäre vielleicht der Hinweis auf ein paar grundlegende Fakten hilfreich, um dem etwas entgleisten Diskurs etwas auf die Sprünge zu helfen. Denn es ist nicht ohne eine Prise unfreiwilligen Humor, ausgerechnet im österreichischen Kontext von Neoliberalismus zu sprechen. Ein Land, in dem die Staatsquote - also der Anteil des Staates an allen wirtschaftlichen Aktivitäten - bei adipösen 53 Prozent liegt, des Neoliberalismus zu verdächtigen, ist ungefähr so, als würde man die Schweiz als armutsgefährdet beschreiben. Kann man machen, ist halt bloß Unfug.
Umso mehr, als der hiesige vermeintliche Neoliberalismus vor allem darin zu bestehen scheint, dass sich der Staat jenseits seiner erdrückend dominanten ökonomischen Rolle auch als Gesetzgeber immer dreister ins Leben seiner Bürger einmischt und ihnen vorschreibt, was sie zu tun und zu unterlassen haben; nicht zuletzt unter dem Hinweis auf den Klimaschutz. Das mag alles Mögliche sein, Neoliberalismus ist diese Überregulierung in Kombination mit der riesigen Staatsquote aber ganz sicher nicht.
Tatsächlich definiert aus wissenschaftlicher Sicht das N-Wort das Gegenteil dessen, was ihm heute fälschlicherweise unterstellt wird. Neoliberalismus meint eigentlich ein ausgewogenes Verhältnis von Staat und Markt - im Prinzip die Basis der "Sozialen Marktwirtschaft". Heute wird der Begriff freilich - faktenwidrig - als reine Propagandafloskel gebraucht, mit der Linke politisch Andersdenkende durch Zuschreibung moralisch minderwertiger Positionen diskreditieren wollen. Was, vor allem angesichts der überschaubaren Wissensstände des Elektorates über ökonomische Zusammenhänge, politisch durchaus profitabel sein kann. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten massiver Geldentwertung und stagnierender, wenn nicht bald schrumpfender Wirtschaft bietet sich der Neoliberalismus gleichsam als Hort des Bösen an, dem in linken Visionen der gütige Staat, der alles regelt und für das Wohlergehen seiner Insassen sorgt, als strahlender Antagonist und Weg in eine bessere Zukunft gegenübersteht.
Eine vernünftige, faktenbasierte wirtschaftspolitische Debatte ist so leider nicht zu führen. Die Inszenierung erinnert eher an Glaubenskriege denn an ein erwachsenes Gespräch. Aber das zu führen, ist ja auch gar nicht die Absicht der meisten jener, die sich nun so leidenschaftlich am Neoliberalismus abarbeiten. Ihnen geht es um den politischen Profit und um sonst nichts.