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Hugo Chávez - der Stachel im Fleisch des Westens

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Kunath

Politik

Im Kampf gegen die USA freundete er sich mit Gaddafi und Ahmadinejad an.


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Caracas/Rio de Janeiro. Er war ein so begnadeter Redner, dass seine Zuhörer über Stunden hinweg nicht abschalten mochten. Darin glich er seinem Freund und Mentor Fidel Castro, und dennoch unterschied sich eine Castro- von einer Chávez-Rede wie das "Wort zum Sonntag" von "Wetten, dass..?" Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war er gewiss der einflussreichste und dabei umstrittenste Politiker Lateinamerikas, aber vor allem war er der beste Showmaster zwischen Mexiko und Feuerland: Er scherzte und schimpfte, er versprach und verlockte, er beleidigte und belustigte, er lobte und tadelte, und manchmal sang er auch, oder er fing an zu beten. Man mochte ihn lieben oder hassen - langweilig war es mit Hugo Chávez nie.

Aus den Abertausenden von öffentlichen Reden sind zwei Worte in Erinnerung, die als Prophezeiung gemeint waren, sich als solche bewahrheiteten und daher die unbeugsame Zielstrebigkeit beschreiben, die Chávez charakterisierte. 1992 hatte der 37-jährige Oberstleutnant mit eher nationalistisch als links gesonnenen Kameraden einen Putsch inszeniert, der sofort niedergeschlagen wurde. Chávez räumte vor laufender Kamera die Niederlage ein, allerdings nur: "por ahora" - für jetzt, vorerst.

Für seine Anhänger eine Verheißung, die sich 1998 erfüllte, als er, unter dem Jubel auch bürgerlicher Kreise, mit einem fulminanten Wahlerfolg das verhasste, korrupte Establishment verbannte.

Bei den Bürgerlichen schwand die Freude - sofern sie jemals echt war - am Antisystem-Politiker schnell. 2002 kam es zum Rechts-Putsch gegen Chávez, der für einen Tag von der Bildfläche verschwand, aber von loyalen - und verfassungstreuen - Militärs zurückgeholt wurde. Die USA und Spanien unterstützten den Umsturz mehr oder weniger offen. Über die Hintergründe einer Schießerei mit dutzenden Toten debattiert Venezuela bis heute. Wie den Putsch überstand Chávez danach auch einen Boykott - teils Streik, teils Sabotage -, der Ölförderung und -export zum Erliegen zu bringen drohte.

Für Propaganda und Legitimation des immer schärferen Links-Kurses war der Putsch von 2002 jedoch Gold wert. 2004 versuchte man, diesmal verfassungsgemäß durch ein Misstrauens-Referendum, Chávez erneut loszuwerden, und das wurde zu seinem vielleicht größten Sieg. Der Ölpreis war gestiegen, die Regierung hatte plötzlich Geld wie Heu, und sie verteilte es freigiebig an alle, die sie zu unterstützen versprachen.

Petrodollars für die Armen

Zuerst an die Armen, die jahrzehntelang kaum etwas vom Ölreichtum abgekriegt hatten, nun aber mit Sozialprogrammen überschüttet wurden und sich endlich ernst genommen fühlten. Dass Venezuela zwar deutlich weniger ungleich, aber auch deutlich weniger demokratisch wurde, störte das Bürgertum oft mehr als die kleinen Leute, denen die Erosion der unabhängigen Justiz, die Behinderungen der Presse, die Verstaatlichungen in der Wirtschaft, das zunehmend autoritäre Auftreten des Regimes oft zweitrangig, wenn nicht sogar notwendig erschien.

Befreundete Länder, vor allem Kuba, bekamen Öl und Bares. Bis zur Krise 2008 war das Scheckbuch das wichtigste Instrument der Chávez’schen Außenpolitik, neben den stets unterhaltsamen Schimpfkanonaden auf Bush und alle anderen, die ihm in die Quere kamen. In Lateinamerika galt Comandante Chávez damals als Führungsfigur. Mit der Wirtschaftskrise sank sein Stern, außenpolitisch trat er in den Hintergrund.

Neben seiner Krankheit geriet Chávez in den vergangenen Jahren vor allem in die Schlagzeilen aufgrund der Unterstützung seiner international geächteten Opec-Kollegen: Irans Mahmoud Ahmadinejad und dem ehemaligen Machthaber Libyens, Muammar al-Gaddafi. Gaddafi verlieh den "Gaddafi-Preis für Menschenrechte" an Chávez (2004) und Fidel Castro (1998). Chávez nannte wiederum Gaddafi nach seinem Tod einen "Märtyrer". Chávez ignorierte auch das internationale Embargo gegenüber Syrien und lieferte dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad Öl - Hilfe bei seinem Kampf um Machterhaltung im vom Bürgerkrieg zerrissenen Land. Venezuela zählte auch neben China und Indien zu den größten Abnehmern russischer Waffen - nachdem die USA unter George W. Bush ein Waffenembargo über Venezuela verhängt hatten.

Anders als Bush eignete sich Barack Obama nicht als Watschenmann, und es war wohl auch der Krebs, der Chávez’ Angriffslust schmälerte. Mit sichtlicher Anstrengung errang er im Oktober 2012 seinen letzten Wahlsieg. Nach 70 Tagen Krebs-Behandlung in Kuba kehrte er im Februar nach Venezuela zurück - zum Sterben.

Wo stand er ideologisch? Bis auf rechts überall. Maoist, Sozialist, Trotzkist, Kommunist, Christ, Marxist: Er heftete sich ziemlich jedes Etikett an. Aus diesem Sammelsurium sticht zweierlei heraus: die Verherrlichung Simón Bolívars, des Befreiers vom spanischen Kolonialjoch, und die Freundschaft zur Vaterfigur Fidel Castro.