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Hugo Chávez: Eisbrecher einer neuen Ära in Lateinamerika

Von Leo Gabriel

Gastkommentare
Leo Gabriel war Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für zeitgenössische Lateinamerikaforschung und kandidierte 2004 für die Linke Liste bei der EU-Wahl.

Venezuelas verstorbener Präsident hat einen wesentlichen Beitrag zur Umfärbung der politischen Landkarte Süd- und Mittelamerikas geleistet.


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Mitte der 1990er lernte ich bei einem Treffen lateinamerikanischer Linksparteien in Managua den damals etwa 40-jährigen Mayor Hugo Chávez Frías kennen. Damals war er zwar jedem der anwesenden Parteigranden, unter denen sich auch die "ewigen Verlierer" Luiz Inácio da Silva von der brasilianischen Arbeiterpartei PT und Daniel Ortega von der nicaraguanischen FSLN befanden, als "der venezolanische Putschistenführer" bekannt. Aber als er sich zu Wort meldete, ging doch ein Raunen durch den Saal. Da gab es welche, die gleich argumentierten, ein Militär hätte in den Reihen des eher sozialdemokratisch als revolutionär ausgerichteten Parteienbündnisses nichts verloren. Andere argumentierten, Chávez’ Bewegung Quinta República wäre nicht "links genug" für die illustren Reihen der lateinamerikanischen Sozialisten. Der streitbaren Altrevolutionär Schafik Handall von der salvadorianischen FMLN konnte die anderen schließlich überzeugen: "Wenn wir ihn nicht reden lassen, werden wir nie wissen, was er denkt." Und tatsächlich gelang es Chávez damals ebenso das Eis zu brechen wie es ihm auch beim Wiener Lateinamerika-Gipfel, wo er sich auf die Seite der Alternativen schlug, gelungen war: mit seinem Konzept der bolivarianischen Revolution, das in seiner Radikalität gleichzeitig guevaristische Züge trug und dann doch wieder nationalistisch wirkte, weil es eben aus dem Mund eines Venezolaners stammte. Indem er sich fast im gleichen Atemzug auf Karl Marx und Jesus Christus bezog und den Sozialdemokraten Carlos Andres Perez als Massenmörder entlarvte, sich zugleich aber auch vom zu Ende gegangenen Realsozialismus distanzierte, sorgte er nicht nur unter den Linken Lateinamerikas für Debatten. Etwa zehn Jahre später musste ich schmunzeln, als Chávez anlässlich der Gründung von En defensa de la humanidad (Zur Verteidigung der Menschheit), einer Art Internationalen der Linksintellektuellen, alle diese lateinamerikanischen Parteiführer der venezolanischen Bevölkerung via TV vorstellte. Er hatte es geschafft, die Geschichte der hispanoamerikanischen Revolutionen mit seiner eigenen Zukunftsvision eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu verbinden. Sicher wird er als jener Staatsmann in die Geschichte eingehen, dem es gelang, das Packeis der US-Hegemonie auf dem südamerikanischen Kontinent zu durchbrechen: Der Kollaps des von George W. Bush vorangetriebenen, kontinentalen Freihandelsbündnisses Alca und die Schaffung der von den USA unabhängigen Alianza Bolivariana de las Americas (ALBA) sind ebenso sein Verdienst wie sein Beitrag zur Umfärbung der politischen Landkarte Süd- und Mittelamerikas. Wie nachhaltig sein Wirken sein wird, hängt zunächst einmal von den bevorstehenden Wahlen ab. Ob allerdings der von ihm designierte Nachfolger ebenso standhaft sein wird wie er, wird die Geschichte zeigen.

Unweigerlich muss ich dabei an meine letzte Begegnung mit ihm in Bolivien denken. Damals schaffte er es, inmitten hunderter Menschen meinen Arm derart kraftvoll an sich zu ziehen, dass sogar seine eigene Leibgarde staunte.