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Hühnerreste bedrohen Afrika

Von Marcello Faraggi, Kamerun

Wirtschaft

Fridolin Mvogo bereitet gerade das Futter für seine Küken vor, als wir auf seinem Hof eintreffen. Das Weihnachtsgeschäft lief schleppend, jetzt hofft er auf Ostern. Hühner aus Kamerun lassen sich so gut wie nur noch an Festtagen verkaufen. "Früher gab es in jedem Dorf einen oder mehrere Hühnerzüchter, heute bin ich weit und breit der einzige", erklärt uns der 49-jährige Bauer. Schuld daran seien die Importe von gefrorenem Hühnerfleisch aus Europa. "Dabei sind wir auf die Einnahmen aus der Hühnerzucht angewiesen. Damit bezahlen wir das Schulgeld und können den Kindern etwas zum Anziehen kaufen", so das Oberhaupt des 60-köpfigen Familienclans.


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Fridolin hat den Hof von seinem Vater geerbt. Hühnerzucht hat bei den Mvogos Tradition. Wir befinden uns in der Siedlung Nkombamba, eine knappe halbe Stunde von der Hauptstadt Yaoundé entfernt. Moslem Fridolin hat mit Agnes und Marie-Anne zwölf Kinder und drei Enkelkinder. Die Hühnerzucht reicht nicht mehr aus, um über die Runden zu kommen. Soja- und Mais-Anbau sowie Maniok und die Einnahmen vom Erdnussverkauf und der Tierzucht sind zu einem einigermaßen geregelten Jahreseinkommen notwendig. Es ist ein für Afrika typischer Mischbetrieb.

Vor ein paar Jahren investierten die Mvogos in neue Hühnerställe. Die Hühnerzucht galt als profitabel. "Das ist hier eigentlich ideal für uns", verweist Fridolin auf die viele Sonne und auf die tropischen Temperaturen. In Afrika muss im Vergleich zu den europäischen Legebatterien weder geheizt noch müssen die Hühner künstlich beleuchtet werden, wie es üblicherweise zur künstlichen Stimulierung der Hühner getan wird. Außerdem gibt es genug Land, sodass in Kamerun die Bodenhaltung üblich ist, wie sie von Tierschützern bevorzugt wird.

Folge der Globalisierung

Kirchen und Nichtregierungsorganisationen ermunterten Afrikas Bauern, ihre Hühnerzucht auszuweiten. Viele verschuldeten sich, so auch die Mvogos. Plötzlich bekamen sie die Auswirkungen der Globalisierung zu spüren: Europa züchtet Hühner, um das Beste, die Hühnerbrust zu behalten. Die Reste werden tiefgekühlt, 5.000 Kilometer weiter nach Afrika verschifft. Das ist billiger, als die Flügel, Beine oder Innereien zu vernichten. "Irgendwo muss man ja mit dem Zeug hin", erklärt uns eine Vertreterin eines europäischen Geflügelzüchterverbandes, die ungenannt bleiben möchte.

Angesichts vernachlässigbarer Transportkosten überschwemmen Europas Hühnerreste die Märkte West- und Zentral-Afrikas. Seit 1999 stiegen die Einfuhren um jährlich 20 Prozent. Auf dem Markt von Nkomtou beispielsweise konnte Fridolin früher seine Hühner verkaufen. Dann griffen die Kunden nur noch zu der billigen, europäischen Importware. "Da entfällt das Schlachten, das Rupfen und das Zerteilen", erklärt uns Fridolin die Vorteile der auf den ersten Blick küchenfertigen Gefrierware für die Kunden.

Man geht vorbei, nimmt in die Hand was einem gefällt, kauft es oder legt das unverpackte Fleisch einfach wieder zurück. An Salmonellen und Bakterien, die sich bei diesen tropischen Temperaturen rasant vermehren, denkt hier niemand. Was zählt, ist der Preis. Eine Hühnerkeule von dieser importierten Tiefkühlware wird gerade einmal für umgerechnet 80 Cent angeboten. Statt von Fridolin ein ganzes Huhn zu kaufen, greifen die Kunden zum aufgetauten Hühnerfleisch für ein paar afrikanische Francs, das ohne weitere Arbeit gleich gekocht werden kann.

80 Prozent verdorben

Er führt uns zu einem Stand, in dem bei tropischen Temperaturen Kartons ausliegen, in denen die portionsfertigen Hühnerreste in Europa eingefroren wurden. Die Schachtel stammt aus Belgien. Die Wellpappe, auf der das Fleisch liegt, ist durch das blutgetränkte Tauwasser vollkommen aufgeweicht. Fridolin erzählt uns von einer Studie des Pasteur-Instituts, wonach über 80 Prozent der angebotenen gefrorenen Hühnerreste für den menschlichen Verzehr wegen Bakterien und Salmonellen nicht geeignet sind.

Wer ist für den Verbraucherschutz verantwortlich? Theoretisch müssten die Produzenten in Europa dafür sorgen, dass ihre Ware den Kunden im einwandfreiem Zustand angeboten wird. So sehen es die neuen EU-Bestimmungen zum Lebensmittelrecht vor. Die verschärften Regelungen gelten nicht nur für Verkäufe innerhalb der Union, sondern auch für Exporte. Versucht man den Weg der gefrorenen Hühnerreste aus der EU bis zu den Märkten in Afrika nachzuvollziehen, verwischen sich jedoch schnell die Verantwortlichkeiten.

In Europa kaufen internationale Großhändler, so genannte Broker, bei Großschlachtereien die Gefrierware auf. Ganze Schiffsladungen werden dann von Importeuren geordert, die diese dann wieder an Zwischenhändlern weiterverkaufen. Über zwei Drittel der Gefrierhühner wird in Kamerun von Importeuren gehandelt, die ihre Geschäfte vom Schreibtisch aus abwickeln, ansonsten weder über eigene Kühllager oder Kühlfahrzeuge verfügen. "Diese Händler habe ja nichts zu verlieren", ärgert sich Etienne Tacko, Chef von Poissonnerie Populaire, einer der größten Importeure und Händler von Tiefkühlware in Kamerun. Die Importe stammen zum größten Teil aus den Niederlanden, aus Frankreich, Belgien und aus Brasilien. Nach wochenlanger Schiffsfahrt kommt das hauptsächlich aus Europa stammende gefrorene Hähnchenfleisch in Douala an. Im Hafen selber sind Journalisten unerwünscht. Zu oft schon kam der Hafen wegen Korruptionsvorwürfe in die Schlagzeilen. Das nötige Bestechungsgeld vorausgesetzt, sei es ganz einfach, unerlaubte Waren einzuführen, heißt es. Kamerun ist Weltspitze, was Korruption angeht.

In Douala leben über zwei Millionen Menschen. Damit ist sie die bevölkerungsreichste Stadt des mit rund 15 Millionen Menschen nur dünn besiedelten Landes. Zum Vergleich: Bei einer Fläche von etwa 475.000 km² ist Kamerun um etwa ein Drittel größer als Deutschland. Die Bevölkerung verfügt laut Statistik über ein jährliches Durchschnittseinkommen von 2.200 Euro - ein Drittel der Menschen gilt als arm. Wer auf dem Land keine Überlebenschance mehr sieht, den zieht es in die Stadt, insbesondere in die Wirtschaftsmetropole Douala. Sie ist Import-Hühner-Umschlagplatz für ganz Kamerun.

Kleinhändler schuld?

Der Vertrieb und Verkauf auf dem Landweg ist unhygienisch und für die Verbraucher gesundheitsgefährlich. General-Inspekteur Dawa Oumarou vom Kameruner Landwirtschaftsministerium kennt diese Probleme. Nicht die Großimporteure, sondern die Kleinhändler seien das Problem: "Sie kennen doch die Händler, man braucht ihnen nur den Rücken zuzukehren und dann stecken sie das aufgetaute Fleisch, das sie nicht verkauft haben, einfach zurück in die Kühltruhe." Dagegen seien die Behörden machtlos. Man könne nur an die Verantwortung der Händler appellieren. Schließlich würde das Wiedereinfrieren auch mit den heimischen Hühnern geschehen. Doch davon gäbe es in Kamerun zu wenig. So verweist die Regierung auf Statistiken, wonach ohne Importe der Bedarf der Bevölkerung an tierischen Proteinen nicht gedeckt werden könne. Schließlich würden die Kritiker der Importe mit den Gesundheits- und Hygieneproblemen übertreiben, meint Oumarou. Die Europäer wüssten zu wenig von der traditionellen, afrikanischen Kochweise. Das Fleisch würde sehr lange gekocht werden.

Ist die zu geringe Hühnerzucht Schuld an den Importen oder bedrohen die Einfuhren die heimische Produktion? Der Streit darüber erinnert an die Frage, ob zuerst das Ei oder die Henne da war. Für Fridolin ist dagegen die Rechnung einfach: Die Importe mindern sein Geschäft. Genauso sieht es auch der seit 2003 bestehende Bürgerverein ACDIC. Die französischsprachige Abkürzung steht für "Bürgervereinigung zur Verteidigung gemeinsamer Interessen". Weil nicht nur die Gesundheit der heimischen Bevölkerung, sondern auch die Wirtschaftskraft des Landes durch die Importe aus Europa gefährdet sei, begann ACDIC Anfang letzten Jahres mit einer Hühnerkampagne. So wie Fridolin setzen nun viele Bauern und Bürger große Hoffnungen in den jungen Verein.

Bernard Njonga, ACDIC-Präsident, wird nicht müde zu betonen, dass es nicht darum gehe, Europa mit seinen Importen zu verteufeln. "Wir benötigen in Kamerun eigene Schlachthöfe und funktionierende Kühlketten. Nur so können wir der Konkurrenz aus Europa entgegnen", erklärt der Pastorensohn. An den Missständen trügen auch seine Landsleute Schuld. Zu etwa einem Drittel würden die importieren Hühnerreste auf dem Schwarzmarkt landen. Für Njonga sind die gefrorenen Hühnchen ein ideales Thema, "das uns nicht nur ermöglicht, auf einfache Weise die Folgen der Globalisierung zu erklären, sondern auch zu erreichen, dass die Leute ihre eigene Verantwortung wiederentdecken." Schließlich müssten die Kameruner lernen, dass Gefrorenes nicht einfach in offen stehenden Gefriertruhen angeboten und auch nicht mehrfach aufgetaut verkauft werden darf.

Kühllager ohne Strom

An den katastrophalen Umständen sind nicht immer nur die Händler alleine Schuld. Als wir uns auf dem Markt Mokolo in Yaoundé von einem Händler sein Kühllager zeigen lassen, fallen uns gelbe Wassersäcke auf. "Damit kühlen wir, wenn nichts mehr geht", erklärt er uns. Zur Not sollen die gelben Säcke die in Kamerun häufig üblichen Stromausfälle überbrücken helfen. Das nächstgelegene Stauwerk von Edea beispielsweise ist mit der Stromversorgung überfordert. Seitdem die staatliche Stromversorgungsgesellschaft privatisiert wurde, gäbe es immer häufiger Stromausfällen. Strom wird seither gewinnbringend exportiert, anstatt den heimischen Bedarf zu decken, heißt es bei ACDIC. Das alles liefert der Bürgerbewegung noch mehr Argumente, um unter der Bevölkerung weitere Anhänger zu finden.

Laut Bürgerverein gingen in Kamerun allein durch Hühnerfleisch-Importe 110.000 Arbeitsplätze verloren. Bei den Mvongos betreibt nur noch Fridolin die Hühnerzucht. Seine Geschwister haben den Kampf gegen die europäische Konkurrenz aufgegeben. Ein Grund hierfür sei das Futter. "Unser Futter ist teuer und nicht subventioniert, wie bei Euch in Europa", sagt Fridolin. Letztes Jahr wollte Kameruns Regierung angeblich gegensteuern und erhob keine Steuern mehr auf Mais. Doch weder Kameruns Hühnerzüchter, noch andere Bauern profitierten davon. Die Brauereien kauften alles auf - auch hier soll Korruption mit im Spiel gewesen sein.

Hoffen auf Importstopp

ACDIC hält einen Importstopp der gefrorenen Hühnerreste für realistisch. Die heimische Produktion sei stark genug, so Njonga. "Sowohl in Hinblick auf die Quantität, als auch auf die Qualität - und das zu einem für die Bevölkerung bezahlbaren Preis."

Bis Ende März müssen Fridolin und die übrigen Hühnerzüchter Kameruns beweisen, dass sie den Bedarf an Hühnerfleisch der Bevölkerung durch einheimische Hühner decken können. Dann wird das Kameruner Landwirtschaftsministerium entscheiden, ob Produzenten aus Europa neue Quoten genehmigt bekommen. ACDIC alarmierte schon einmal vorsorglich die Abgeordneten des Kameruner Parlaments.

Als wir uns von Fridolin verabschieden, überrascht er uns mit einer für ihn positiven Nachricht: Gerade habe er von seinem Verein ACDIC erfahren, dass die Regierung die heimischen Hühnerzüchter von der Steuer befreit habe. "Das ist doch fantastisch, oder?", ruft er uns zum Abschied zu.

Der Autor ist Filmemacher und war zu Dreharbeiten für eine Fernseh-Reportage in Kamerun.