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Theater ist eine flüchtige Kunst - Kostüme dienen als seine Zeitzeugen. Das Theatermuseum zeigt eine Ausstellung voller Kostüme mit Geschichte - die Aura der großen Namen inklusive. Das "Wiener Journal" schaute in der Schneiderei und im Fundus des Landes-theaters Linz hinter die Kulissen der Theaterarbeit.
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Wenn der letzte Vorhang fällt, bleibt nur mehr die Erinnerung. Die Inszenierung wird aus dem Programm genommen, Bühnenbilder werden abgebaut, die Schauspieler proben wieder an neuen Stücken. Das Theater ist eine transitorische Kunst, eine vergängliche. Nach der Dernière bleibt nur mehr wenig Greifbares, das Programmheft, vielleicht Fotos oder eine Filmaufnahme - das Kunsterlebnis selbst passiert nur im Moment und ist nicht festzuhalten. Vielleicht haben auch deshalb Theaterkostüme etwas Faszinierendes an sich. Wenn die Kleider auch Jahre später müde und schlaff am Haken in einem Fundus hängen, atmen sie noch Theaterluft und erzählen Geschichte. Die Kostüme waren oft Zeugen legendärer Inszenierungen. Eine Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum, die noch bis 31. Oktober zu sehen ist, vermittelt diese Aura des Originals: Hier ist das prachtvoll bestickte und mit Pelz besetzte Kleid zu sehen, in dem Hedwig Bleibtreu im Jahr 1895 am Hofburgtheater die Maria Stuart gespielt hat, das Kleid stammt ursprünglich aus dem Fundus der Kaiserin Elisabeth und wurde zum Kostüm umgearbeitet. Es sind Originalkostüme von Johann Nestroy, Fanny Elßler und Elisabeth Schwarzkopf zu sehen. Das Theatermuseum bewahrt insgesamt 1355 originale Kostümgarnituren, Accessoires und Bühnenschmuck auf, darunter viele Entwürfe von Modeschöpfern oder bildenden Künstlern. Fritz Wotruba etwa entwarf 1990 die Kostüme für den Sophokles-Zyklus am Burgtheater, Oskar Kokoschka, Arik Brauer und Günther Brus kreierten Theaterkostüme, die in der Sammlung aufbewahrt sind.
Ohne Verkleidung und Verwandlung ist darstellende Kunst kaum vorstellbar. Erst wenn der Schauspieler durch das Kostüm in seine Rolle schlüpft, ist das Bild aus Licht, Bühne, Text, Maske und Regie perfekt. Der Weg zum fertigen Bühnenkostüm ist oft ein langer: vom Konzept des Regisseurs, den Ideen des Kostümbildners bis zur Arbeit der Schneiderei-Werkstätten der Theater. Hinter der Bühne sehen Theater oft sehr schmucklos aus - sind es vor der Bühne samtene Sitze und goldverzierter Stuck, führen auf der anderen Seite schmale Gänge zu Direktorenbüros, Garderoben und Werkstätten. Treppen und leere Gänge führen auch zum abgeschiedenen Büro von Richard Stockinger. Er ist der Leiter des Kostümwesens im Linzer Landestheater und arbeitet auch als Kostümbildner. Für die 35 Theater- und Opernpremieren, die in einer Saison auf dem Programm stehen, entwickelt er mit seinem Team Neuanfertigungen, arbeitet alte Kostüme um. Zu ihm kommen die Kostümbildner mit Skizzen oder Figurinen und erklären ihr Konzept.
"Was wir können, machen wir dann im Haus. Manche Konzepte sind aber sehr umfangreich, manche Stücke verlangen viele Kostümwechsel, dann schaffen wir die Menge alleine nicht mehr und vergeben auch nach außen", erklärt Stockinger. Im Haus befindet sich eine Herrenschneiderei, gleich daneben ist die Damenschneiderei, in der gerade auf kleinstem Raum Reifröcke genäht werden. Eine Modistin arbeitet gerade an einer Reihe violetter Kappen für einen Chor, die Kostümmalerin gibt Stoffen und Schnitten den letzten Schliff - sie werden umgefärbt oder mit Färbetechniken auf alt getrimmt, zurzeit ist gerade das Hemd einer blutüberströmten Leiche in Arbeit.
Neben Neuanfertigungen und Umarbeitungen wird heute auch immer mehr zugekauft, "das ist heute leider gar nicht mehr anders möglich". Da gehen Kostümbildner und Schneider auch zu großen Handelsketten einkaufen: "Bei zeitgenössischen Ausstattungen geht man dann auch zu H&M, weil es einfach zum Inhalt passt. Da wäre etwas Angefertigtes gar nicht stimmig. Ohne das kommt man heute gar nicht mehr aus, der Veränderungsprozess ist jetzt soweit in den Köpfen, dass Theater nicht endlos Geld haben. Es ist zwar in Theaterkreisen verpönt, dass man von Modeketten von der Stange kauft, aber manchmal kann man halt nicht anders", erzählt Stockinger. "Unser Bestreben ist natürlich, die Kostüme zu nähen. Es ist ein irrsinnig schönes Handwerk, das gehört gefördert und erhalten."
Im Programmheft wird meist nur der Bühnenbildner stellvertretend für Kostüm und Maske erwähnt, Kostümbildner und Schneider bleiben meist anonym, man sieht nur ihre handwerkliche Leistung. "Kostüm und Kleidung hat noch immer etwas Alltägliches an sich, man hat ja sowieso immer etwas an. Jeder trägt Kleidung, also denken sich viele Menschen, es stecke nichts dahinter, das könne jeder", erklärt sich Richard Stockinger die geringe öffentliche Bedeutung der Kostümbildnerei. "Es ist auch viel Unwissenheit dabei. Man schaut nicht dahinter, dass das ein formaler Entwicklungsprozess ist, mit Farb- und Formkonzepten, und viel handwerkliche Arbeit dahintersteckt."
Ein Kostümbildner muss bei seiner Arbeit andere Maßstäbe anlegen als Modedesigner, die für den Alltag entwerfen. Die Kostüme müssen auf der Bühne wirken, ihr Effekt muss auch auf mehreren Metern Abstand zu sehen sein. Verspielte Details oder kleinteilige Muster mögen von der Nähe hübsch aussehen, das Publikum nimmt sie vielleicht gar nicht wahr. Auch dass das Bühnenlicht manche Farbe verschlucken kann, müssen Kostümbildner bei der Stoffauswahl bedenken. Und noch etwas unterscheidet Bühnenkostüme von Alltagskleidern: Für ihre Herstellung werden handwerkliche Techniken angewandt, die sonst schon fast vergessen sind. "Früher als junger Schneider dachte ich, dass im Theater alles ganz schnell, für den Effekt und für die Kurzlebigkeit der Bühne gemacht wird. Man muss es ja nur auf die Distanz sehen. Ich musste mich bald eines Besseren belehren lassen, es ist eher umgekehrt", erzählt Richard Stockinger. "Die meisten Stücke, gerade Opern, stehen 60 oder 70 Mal auf der Bühne, da müssen die Kostüme noch viel besser und strapazierfähiger genäht sein als im Alltag. Bei uns wird ein Sakko durchaus noch pikiert, also verstärkt, mit einer alten Handwerkstechnik. Wir verarbeiten auch Mieder wirklich noch mit der Hand, mit verstärkten Stäbchen und dreifachen Lagen. Es gibt viele Techniken, die nur mehr am Theater oder in der Haute Couture verwendet werden." Die wenigsten Theaterkostüme landen später aber im Museum, viele übersiedeln nach einer Produktion in den Theaterfundus. Wenn in diesem buchstäblich die Nähte platzen, folgt der Weg auf den Theaterflohmarkt - und ein neues Leben für das Kostüm: als Faschingsgarderobe. "Wir versuchen, viele Kostüme zu behalten, aber es ist immer ein Platzproblem. Man muss viele Teile weggeben, was schwerfällt."
Wolfgang Bögls Arbeitsplatz ist seit bereits 43 Jahren der Kostümfundus des Linzer Landestheaters, seit beinahe ebenso vielen Jahren leitet er das Reich der unzählbaren Kleider, Hemden und Schuhe. Hier gibt es kaum etwas, das es nicht gibt - vom antiken Gewand über bestickte Prunkroben bis zum glitzernden Charlestonkleid ist hier alles zu finden. Die Gewänder sind dicht aneinander gehängt, teils hängen sie so hoch, dass Bögl sie mit einem Haken herunterholen muss. In anderen Räumen lagern hunderte Schuhe, Krawatten, Handtaschen, Hüte - bis zu Socken und Unterhosen findet sich hier alles für die Kostümausstattung. Die Kostümbildner kommen mit ihren Figurinen auch zu Bögl und sehen, ob für ihre Vorstellung etwas Passendes im Fundus vorhanden ist, das vielleicht umgearbeitet werden kann. Andere holen sich hier Kostüme für die Proben, während an den richtigen Kostümen noch in der Schneiderei gearbeitet wird. Was auf den ersten Blick wie eine unübersichtliche Menge an Kleidern aussieht, ist in Wahrheit penibel katalogisiert. "Der Fundus ist bei uns nach Epochen eingeteilt, jedes Kostüm hängt mit einer Nummer versehen an seinem Platz. Wenn es nicht hier hängt, wird es gerade verwendet", erklärt Bögl. Auch Motten bekommen hier keine Chance: "Es wird alles chemisch gereinigt, was hier hereinkommt. Dann kann es nur mehr verstauben bei uns." Von alten Stücken trennt sich Bögl nur ungern: "Leider Gottes muss es sein. Es wird so viel neu produziert und zugekauft, dass man wieder Platz braucht." Flohmarktverkäufe wie früher, als die Menschen in langen Schlangen anstanden um ein Kostüm zu erstehen, macht er heute nicht mehr. "Das, worin man heute am Theater spielt, das kannst du nur in einen Rotkreuzsack stecken, das will keiner. Die Leute wollen historische Sachen für den Fasching." Zum Missfallen des Fundusleiters wird allerdings immer weniger in historischen Kostümen gespielt: "Ich mag schon moderne Inszenierungen auch, aber in den seltensten Fällen gehts auf. Wenn man sich einen Meistersinger anschaut und dann stehen die Sänger im Ruderleiberl da - wenn etwas sechs Stunden dauert, sollte man wenigstens was zum Schauen haben."
Ausstellungstipp.
"Verkleiden - Verwandeln - Verführen"
Österreichisches Theatermuseum
1010 Wien, Lobkowitzplatz 2
Die Ausstellung ist noch bis
31. Oktober zu sehen.