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Hummeln können gar nicht fliegen, der Automat lernt's

Von Niko Deussen

Wissen

"Hummeln können gar nicht fliegen", spottet Peter Nordin. Wahr ist: die Forscher können immer noch nicht genau erklären, wie sich Insekten in der Luft halten. "Am wenigsten wissen wir", fügt der Professor von der Technischen Universität Göteborg hinzu, "wie die Hautflügler Balance und Bewegung kontrollieren." Um hinter die Tricks der Natur zu kommen, baute der Wissenschaftler eine geflügelte Maschine, die sich das Fliegen selbst beibrachte - nach dem Vorbild der Evolution durch Versuch und Irrtum. Dabei entwickelte der Automat auch gleich eigene Tricks, um es sich bequem zu machen.


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Das Tierreich zeichnet sich durch Mobilität aus. Doch so leicht, so graziös, so selbstverständlich Fliegen, Laufen und Schwimmen auch wirken, es handelt sich um eine Meisterleistung der Natur. Richtig klar wurde das allerdings erst, als der Mensch versuchte, seine Roboter mobil zu machen.

Um beispielsweise die Beinbewegungen eines insektenartigen Roboters (Insektoid) für den aufrechten Gang korrekt zu beschreiben, wird ein System komplizierter mathematischer Gleichungen gebraucht. Dessen Lösung und die Umsetzung in Bewegung sind nur mittels aufwändiger Computerberechnungen möglich. Ein autonomer Automat muss daher stets ein recht großes Gewicht an Rechenkapazität mit sich herumschleppen - allein um vorwärts zu kommen.

Biologische Entwicklung: Perfekt, aber langsam

Die Natur hat offensichtlich "leichtere" Lösungen für das Problem gefunden hat. So können etwa Insekten mit nur ein paar hunderttausend Neuronen in einem vergleichsweise kleinen Gehirn ihren eleganten Flug perfekt steuern - und zusätzlich ihr Leben als Raupe oder Made und Insekt managen. "Einen solchen Kontrollmechanismus zu entwickeln, ist für einen menschlichen Programmierer heute unmöglich", glaubt Nordin, "selbst für ein großes Team." Die biologische Evolution brauchte für diese Erfindung immerhin etliche Millionen Jahre.

Nordins Maschine benötigte - zumindest um Fliegen zu lernen - nur ein paar Stunden. Der Bio-Techniker hatte an eine Montageplatte zwei überdimensionale Hautflügel befestigt: 90 Zentimeter lange Rahmen aus Balsaholz, überzogen mit dünner Bastlerfolie. Sie ließen sich von kleinen Servomotoren auf und ab sowie vor und zurück bewegen und um beliebige Winkel drehen. Nordin hängte seine Konstruktion zwischen zwei Stahlstangen, an denen sie hinauf und hinunter gleiten konnte. Ein externer Tischrechner übernahm die Steuerung der Flügel. Doch die Technik für einen erfolgreichen Höhenflug musste sich die Maschine mit Hilfe des Computers erst erarbeiten.

Mit Rechnerhilfe zur Evolution im Zeitraffer

Dazu hatten Nordin und sein Mitarbeiter Krister Wolff den Rechner mit einem so genannten Evolutionären Algorithmus programmiert. Solche Rechenverfahren setzen gerade zum Siegeszug in den experimentellen Wissenschaften an. Durch Versuch und Irrtum nähern sie sich - ähnlich wie die biologische Evolution - schrittweise der Lösung eines Problems. Dabei durchläuft die Entwicklung ihre ungezählten Zwischenstadien mit Rechnerhilfe in einem rasanten Zeitraffer.

Die genetische Grundlage für die Göteborger Flugversuche bildete ein Satz von Bewegungs-Befehlen: Flügel rauf oder runter, vor oder zurück, Flügel um einen bestimmten Winkel drehen oder gar nichts tun. Jede Zwanzigstel Sekunde wurde eines dieser Kommandos zufällig ausgewählt und an die Maschine geschickt. Der Computer merkte sich die Reihenfolge der Instruktionen. Im Sinne der Evolution handelt es sich bei diesen Befehlsreihen um die durch Gene festgelegten Individuen.

Nach einigen Durchläufen wählte der Rechner die beiden erfolgreichsten Individuen und erzeugte eine Nachkommenschaft durch zufällige Kombinationen des elterlichen Erbguts, den Befehlen. Dann wiederholte er die Versuchsläufe so lange, bis sich die Maschine durch ein dauerhaftes Geflatter in der Luft hielt.

Durch "Betrug" zunächst bessere Resultate erzielt

"Der Roboter fand ziemlich schnell Wege, um zu betrügen", so Nordin. Gleich zu Beginn erzielte die Maschine beste Resultate, indem sie sich einfach auf ihre Flügelspitzen stellte. In einem anderen Durchgang entdeckte sie ein liegen gelassenes Buch, auf das sie einen ihrer Flügel presste, um dauerhaft an Höhe zu gewinnen.

Erst als die Forscher solche Schummeleien ausgeschlossen hatten, legte der Apparat richtig los. Dabei fand er schließlich den effektivsten Flügelschlag für ein Höhe gewinnendes Flattern: beim Herunterschlagen wird der Flügel gerade gehalten, beim Aufschlag möglichst weit gedreht, um den Luftwiderstand zu verringern.

Flattern und Rudern, danach die Balance

Schließlich erweitertete Nordin seine Versuche noch auf die Vorwärtsbewegung. Er montierte den Roboter an eine horizontale Schiene und ließ ihn wieder willkürlich flattern. Aus dem Wust der zufälligen Befehle kristallisierten sich zwei unterschiedliche Bewegungsformen heraus: Flattern und Rudern. "Im nächsten Schritt", begeistert sich Nordin, "wird die fliegende Maschine ein besseres Feedbacksystem bekommen, damit sie ihre Balance kontrollieren kann."