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Hunderte Chemikalien in Lebensmittel-Verpackungen

Von Eva Stanzl

Wissen
Die Grillsaison kann beginnen. Oder doch nicht?
© fotolia/Sunny S.

Schadstoffe sickern in die Nahrung, Langzeit-Auswirkungen sind unbekannt.


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Zürich/Wien. Hunderte Chemikalien in Lebensmittel-Verpackungen könnten in die Nahrung gelangen und der Gesundheit schaden. Diese Hiobsbotschaft haben Schweizer Umweltforscher im britischen "Journal of Epidemiology and Community Health" veröffentlicht. Die Studie lässt vor in Plastik verpackten Lebensmitteln, Milch im Tetra Pak, Tupperware-Geschirr und Supermärkten zurückschrecken. Denn nahezu alles, was wir essen, kommt über die Verpackung mit teils bedenklichen Chemikalien in Berührung.

Angesichts der kleinen Mengen, in denen sie verwendet werden, seien die Gifte kurzfristig zwar unbedenklich, räumen die Forscher um Jane Muncke vom Zürcher Food Packaging Forum ein. Sie warnen jedoch, dass die synthetischen Chemikalien von der Hülle in die Nahrung sickern können. Niemand kenne die Langzeit-Wirkungen, geschweige denn die Folgen eines lebenslangen Konsums industriell abgepackter Lebensmittel. Obwohl die Verwendung der Stoffe in der Industrie streng geregelt ist, könnten sich diese im Endeffekt als höchst bedenklich entpuppen.

Bereits vergangene Woche hatten britische Mediziner Alarm geschlagen mit einer Studie, wonach Umwelt-Chemikalien Babys schon im Mutterleib vergiften. Demnach erreichen Blei, Quecksilber, Arsen, polychlorierte Biphenyle und Lösungsmittel Ungeborene über den Blutkreislauf ihrer schwangeren Mütter, was ein steigendes Aufkommen von geistigen Defiziten wie Autismus oder Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS bei Kindern zur Folge hätte, berichteten die Forscher im Fachjournal "The Lancet".

Was die Frau bis zur Geburt ihres Kindes zu sich nimmt, beeinflusst dessen Genetik - oft sogar erst in der zweiten Generation. "Wir wissen allerdings viel zu wenig über die Auswirkungen von Chemikalien, sowohl in der kritischen Phase in der Entwicklung im Mutterleib als auch auf Erwachsene", betont Jane Muncke. Sie und ihr Team orten nun weitere 400 Substanzen, die Gefahren für den Körper bergen. So würden Plastik-Getränkeflaschen und Plastikgeschirr krebserregende Formaldehyde enthalten. In Plastikverpackungen fänden sich wiederum das Lösungsmittel Triklorsan und Weichmacher wie Phtalate oder (das in Österreich verbotene) Bisphenol A. "Alle Plastik-Substanzen sind hormonell aktiv", erklärt Peter Frigo, Leiter der Hormonambulanz der Medizinuni am AKH in Wien: "Östrogene docken bei Frauen und Männern an vielen Genen im Körper an. Eine Störung der Hormon-Produktion wegen Zellveränderungen durch Weichmacher hat somit Auswirkungen auf viele Bereiche."

Studien haben gezeigt, dass zu viel Plastik in Gewässern männliche Regenbogen-Forellen laichen lässt. Umwelt-Östrogene, etwa aus Medikamenten oder Düngemitteln, liegen wiederum einer laut Weltgesundheitsorganisation sinkenden Fertilität bei Männern zugrunde. Allerdings würden sich hormonaktive Substanzen nicht bei allen Menschen gleich auswirken: "Junge, gesunde Menschen nehmen weniger Schaden als ältere oder als Frauen mit Hormonrezeptoren an bösartigen Tumoren, etwa bei Brustkrebs", sagt Frigo.

Da es kaum größere Menschengruppen gibt, die keine industriell verpackten, gefertigten oder haltbar gemachten Lebensmittel zu sich nehmen, wird es allerdings kein Leichtes sein, die langfristigen Auswirkungen aller genannten Chemikalien festzumachen. Denn fast jeder Mensch trägt Spuren davon im Körper, fundierte Vergleichsuntersuchungen wären also kaum möglich. "Solche Bevölkerungsstudien wären jedoch nötig, um potenzielle Zusammenhänge zwischen den Schadstoffen in Nahrungsmittel-Verpackungen und Krebs, Fettleibigkeit, Diabetes, neurologischen Erkrankungen und Entzündungsreaktionen wissenschaftlich nachzuweisen", sagt Muncke.