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Hunderttausende am Strand hinter Stacheldraht interniert

Von Nathalie Douay

Politik

· Dort, wo im Sommer Hunderttausende am feinen Sandstrand in der Sonne baden, lagerten vor 60 Jahren bereits Menschenmassen in ähnlicher Zahl. Nicht freiwillig im ersehnten | Urlaub, sondern hinter Stacheldraht und im Winter, wenn der kalte Nordwestwind "Tramuntana" über die Küste des Roussillon pfeift. 1939 sperrte Frankreich rund 250.000 spanische Republikaner, die vor | dem siegreichen faschistischen Diktator Francisco Franco flohen, in Internierungslager.


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Die meisten wurden an die Mittelmeerstrände dicht an der spanischen Grenze getrieben. Argeles war mit 100.000 Menschen das erste und größte "Camp de concentration" (KZ). Weitere Lager wurden im

benachbarten Saint-Cyprien und in Barcares errichtet, ebenfalls heute nur noch als Badestrände bekannt. Von den Lagern ist nicht die kleinste Spur geblieben.

Am vergangenen Wochenende gedachte Argeles-sur-Mer erstmals in der Öffentlichkeit der "Retirada", des tragischen Exodus der Besiegten des Spanischen Bürgerkrieges. Von 1936 bis 1939 kämpfte die

Spanische Republik gegen den faschistischen Militärputsch des Generals Franco, der von Deutschland und Italien massiv unterstützt wurde, während Frankreichs damalige Volksfrontregierung der legalen

republikanischen Regierung kaum half. Im Frühjahr 1939 war die Republik endgültig besiegt. Seit Ende 1938 strömte eine halbe Million Menschen nach Frankreich, um sich der Rache der Sieger zu

entziehen. Die Hälfte wurde in Lagern interniert.

Der Touristenort Argeles verfügt jetzt über eine "Avenue de la Retirada de 1939", über einen Gedenkstein und eine Gedenkeiche auf dem Spanier-Friedhof. Die Überlebenden, die zur Gedenkfeier

anreisten, haben den Strand nicht in guter Erinnerung. "Es war kalt, und der Sand wurde vom Wind aufgewirbelt", erzählt der 82-jährige Alberto Escalada. "Wir steckten bis zu den Knöcheln im Schlamm.

Keine Baracken, keine sanitären Anlagen, nichts. Wir mussten uns Sandlöcher graben, in die wir uns zu viert oder fünft setzten. Ein Stück Brot musste für acht bis zwölf Menschen reichen. Viele, viele

starben", berichtet er am Rande der Gedenkfeier. Wieviele umkamen, weiß bis heute niemand.

Für einige Zehntausend Insassen war das Lager, das bis 1941 bestand, Durchgangsstation vor der Deportation in die KZs Buchenwald, Mauthausen oder Dachau. Viele Spanier konnten das Camp jedoch nach

einigen Monaten verlassen, die Frauen als Landarbeiterinnen, während die Männer in die französische Fremdenlegion gingen oder für die deutsche Besatzungsmacht als Zwangsarbeiter am Atlantikwall

arbeiten mussten. Zehntausende gingen in den Untergrund.

Spanische Republikaner stellten einen bedeutenden Anteil des französischen Widerstandes im Zweiten Weltkrieg, einige Kampfgruppen bestanden ausschließlich aus Bürgerkriegs-Flüchtlingen aus dem

Nachbarland. "Es war höchste Zeit, die Frauen und Männer zu ehren, die von 1936 bis 1945 für das freie und demokratische Europa gekämpft haben, bevor es zu spät ist", erklärte die Gemeindeverwaltung

von Argeles. In Frankreich ist die Existenz der Lager bis heute fast unbekannt.