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Kinder gaben den Auftakt zur internationalen Konferenz über Ernährungssicherung: in ihrem Sprechgesang schilderte eine Schulklasse aus der ugandischen Hauptstadt Kampala Afrikas Probleme, die auf Unterernährung und Hunger zurückgehen. Mit dieser symbolträchtigen Eröffnung der im April abgehaltenen Tagung mit 500 Delegierten aus 50 Ländern hatte das Washingtoner Internationale Forschungsinstitut für Nahrungsmittelpolitik (IFPRI) verdeutlicht, dass die jüngeren Generationen, die nahezu zwei Drittel der afrikanischen Bevölkerung ausmachen, unter diesen Missständen am meisten leiden.
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Dabei legt ein flüchtiger Blick auf die Welternährungslage zunächst den Schluss nahe, dass sich die Verhältnisse in den vergangenen drei Jahrzehnten stark verbessert haben. Konnte die Nahrungsmittelproduktion in diesem Zeitraum weltweit um 30 Prozent pro Kopf erhöht werden, erreichte die Steigerung in Afrika allerdings nur magere sieben Prozent.
Auf gegenwärtig 14 Prozent beziffert das 1977 gegründete Forschungsinstitut den Anteil der weltweit unterernährten Menschen und führt das auf beachtliche Erfolge der Landwirtschaft zurück. Dennoch sei die absolute Zahl der Hungernden in diesem Zeitraum nicht signifikant gesunken, bekräftigt IFPRI-Direktor Joachim von Braun. "Hunger ist heute verstreuter, versteckter, stiller und schwerer berechenbar", fügt der Göttinger Agrarwissenschaftler hinzu.
Für ein Sechstel von insgesamt sechs Milliarden Menschen sind Hunger und Elend tägliches Schicksal, drei Milliarden können ihre täglichen Nahrungsbedürfnisse mehr oder minder decken. Während eine Milliarde gut lebt, führen gleich viele Menschen ein Dasein im Überfluss. Für die meisten Länder Afrikas unterhalb der Sahara fällt die Bilanz düster aus: Schätzungsweise 200 Millionen Menschen leiden unter den Folgen von Mangelernährung, die Kalorienzahl geht permanent zurück, längst schon kann die landwirtschaftliche Produktion mit dem Bevölkerungswachstum nicht mehr mithalten.
Rund drei Viertel der Betroffenen leben als Kleinbauern in ländlichen Gebieten. Nirgends fallen die Ernteerträge geringer aus, als auf dem schwarzen Kontinent und daran sind nicht nur Dürrekatastrophen, Kriege und Politikversagen schuld. Schwarzafrikas Landbevölkerung hat keinen Zugang zu Krediten und kann folglich die landwirtschaftliche Ausrüstung nicht modernisieren. Und auch dringend benötigte Düngemittel können sich die Bauern nicht leisten.
Kaum ein Land unterhalb der Sahara hat die finanziellen Ressourcen für eine gezielte Agrarforschung, durch die neue und resistentere Sorten entwickelt und die Ernteerträge gesteigert werden können. Zeitigte die in den 1960er Jahren eingeleitete "Grüne Revolution" vor allem in etlichen asiatischen Ländern beachtliche Erfolge, "hat sie sich in Schwarzafrika im Grunde genommen bislang gar nicht abgespielt", betont IFPRI-Agrarexperte Peter Hazell. Äthiopien, das um 1900 rund acht Millionen Einwohner zählte, hat heute eine Bevölkerung von 70 Millionen, an der landwirtschaftlichen Ausstattung habe sich jedoch so gut wie nichts geändert.
"Grüne Revolution" hat nicht stattgefunden
Als einzige Ausnahme erwähnt der Brite überraschende Erfolge mit hybriden Maissorten, die im südlichen und östlichen Afrika während der 1980er Jahre angebaut worden waren. Diese Success-Story ging Hazells Worten allerdings schlagartig zu Ende, als die staatliche Subventionierung von Dünger und Saatgut im Zuge von Strukturanpassungsprogrammen eingestellt wurde. Hatte in den asiatischen Ländern der Staat zu Beginn der Grünen Revolution der Landwirtschaft kräftig unter die Arme gegriffen, um die Ausrüstung zu modernisieren und den Forschungssektor in Gang zu setzen, haben die afrikanischen Regierungen heute dazu keine Mittel. Gleichzeitig halte sich der Privatsektor mit Investitionen zurück, weil die Handels- und Marktpolitik in diesen Ländern überreguliert und nicht besonders investitionsfreundlich sei. "Eine Grüne Revolution als privatwirtschaftliche Initiative, wie das heute die internationalen Geber fordern, ist nicht mehr als eine Illusion", meint Peter Hazell.
Riesenproblem Agrarprotektionismus
Heftige Kritik übte der senegalesische Staatspräsident Abdoulaye Wade am Vorgehen der entwickelten Staaten, die ihre Landwirtschaft weiterhin subventionierten und den afrikanischen Ländern dieses Recht absprechen. Mit über 300 Mrd. US-Dollar pro Jahr stützen die Industrienationen nach IFPRI-Angaben ihre Agrarproduktion; eine Folge davon seien Überschüsse, die zu niedrigen Preisen auf dem Weltmarkt verkauft werden. Gleichzeitig schützten sich die reichen Länder durch hohe Zollschranken gegen Agrarimporte. "Diese Praktiken gehen zu Lasten der Kleinbauern in den Entwicklungsländern, die mit den Subventionsbudgets der Reichen nicht konkurrieren können", konstatiert Joachim von Braun.
Nach IFPRI-Schätzungen könnten die Länder des Südens pro Jahr rund 30 Mrd. US-Dollar zusätzlich einnehmen, wenn die Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre Agrarprotektion einstellen würden. Afrika könnte davon zwischen 3 und 3,5 Mrd. verbuchen. Joachim von Braun empfiehlt die "Entkoppelung von Produktion und Subvention".
Ferner spricht er sich für die völlige Streichung von Exportsubventionen aus und stößt damit ins gleiche Horn wie die Europäische Union. Und auch sein Rat, künftig produktionsbegleitende Maßnahmen der Landwirte - Umweltschutz und Landschaftspflege zu fördern - ist auch nicht ganz neu, Brüssel hat diesen Schritt ebenfalls empfohlen.
Um auch in Afrika die Grundlagen für eine erfolgreiche Grüne Revolution zu schaffen, müssen nach Ansicht des IFPRI-Direktors "die politischen Rahmenbedingungen verändert werden". Afrikanische Staaten müssten sich zu Verbünden zusammenschließen, um regional Agroforschung und Technologieentwicklung zu betreiben und die Ergebnisse allen Beteiligten zugänglich machen. Gute Chancen sieht Joachim von Braun in der vor drei Jahren vereinbarten "Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung" (NEPAD), für den IFPRI-Direktor "Ausdruck des politischen Willens der afrikanischen Regierungen, ihre Zukunft selbständig und gemeinsam zu gestalten". Damit Hunger und Mangelernährung bis 2020 der Vergangenheit angehören - so der Arbeitstitel der Konferenz von Kampala - muss nach Berechnungen des Forschungsinstituts in den nächsten 16 Jahren ein Jahresbudget von 1 Milliarde US-Dollar eingeplant werden.