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Hunger zwingt zu Prioritätssetzung

Von Christa Karas

Wissen

In 25 Ländern mehr Notleidende als vor zehn Jahren. | Wien. Björn Lomborg und die Teilnehmer am Copenhagen Consensus 2004 haben leider Recht behalten. Auch im Jahr 2008 leidet eine Milliarde Menschen bei einem Einkommen von maximal einem US-Dollar pro Tag Not, werden 3,5 Millionen unmittelbar an Unterernährung sterben und ungleich mehr noch an ihren Folgen, den Krankheiten.


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Der dänische Ökonom und acht weitere Wissenschafter (unter ihnen vier Nobelpreisträger) hatten damals eine Liste der anstehenden Herausforderungen erstellt und waren auf Grund von Methoden der Wohlfahrtsökonomie und Kosten-Nutzen-Analysen zu dem Schluss gekommen, für welche von ihnen absolute Priorität gelte. Dies waren Hunger, Infektionskrankheiten wie Aids, Wasserversorgung und Zugang zu sanitären Einrichtungen, aber auch Handelsbeschränkungen, Korruption und Globale Erwärmung.

In der Folge machte sich Lomborg zahlreiche Feinde, als er vorrechnete, warum er die Kyoto-Protokolle als einzige Verschwendung von jährlich mindestens 150 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2100 betrachtet, die anderweitig dringender benötigt würden. Der damit zu erzielende Klima-Effekt sei dagegen marginal. Vor allem kritisierte er in diesem Zusammenhang auch die mangelnde Konzentration auf die nach seinem Dafürhalten wichtigsten Bereiche Luftverschmutzung (als Krankheitsfaktor) und neue Energieentwicklungen.

In bester Gesellschaft

Lomborg befindet sich damit in bester Gesellschaft mit jenen Wissenschaftern, die schon lange zuvor den Hunger als Priorität ihrer Forschungen angesehen haben. Vor allen anderen sind dies Norman Ernest Borlaug sowie Ingo Potrykus und Peter Beyer.

Borlaug, in Cresco, Iowa (USA) geboren und jüngst 94 Jahre alt geworden, entwickelte als Agrarwissenschafter mehrere Weizenhochleistungssorten, unter denen der sogenannte Mexikoweizen besonders hervorragt: Ihm wurde das Gen einer kleinwüchsigen japanischen Sorte eingezüchtet, so dass der kräftige Halm die schwere Ähre tragen kann, ohne abzuknicken.

In Zusammenarbeit mit mexikanischen Forschern und örtlichen Bauern gelang es Borlaug in den frühen 1960-er Jahren, mit Hilfe seiner Züchtung Mexiko nicht nur unabhängig von Weizenimporten zu machen, sondern zu einem der wichtigsten Länder in Sachen Mehlproduktion. Unmittelbar danach, 1965, standen Indien und Pakistan als nächste besondere Herausforderung auf Borlaugs Programm.

Beide Staaten standen zu diesem Zeitpunkt mitten im Krieg gegeneinander, wodurch Millionen Menschen Hunger litten. Monatelang sah Borlaug nachts, wenn er mit seinen Helfern Weizen anbaute, die nahen Mündungsfeuer. Immer wieder war sein Projekt bedroht, doch schließlich gab ihm der Erfolg recht: 1968 wurde Pakistan diesbezüglich autark, 1974 Indien.

Als Borlaugs Kampf gegen den Hunger 1970 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurde, umfasste die Weltbevölkerung noch keine vier Milliarden Menschen, heute sind es 6,8 Milliarden, und dem immer noch höchst aktiven Agrarwissenschafter wird bescheinigt - bzw. nach zynischer Lesart vorgeworfen - gut einer Milliarde das Leben gerettet zu haben.

"Grüne Revolution"

Für Borlaug steht fest, dass die Erde auch zehn Milliarden Menschen ernähren könnte, vorausgesetzt, die von ihm eingeleitete "Grüne Revolution" wird konsequent um- und fortgesetzt: mit genetisch modifizierten, den Notwendigkeiten angepassten und ertragreichen Pflanzen, die auch eines der Hauptprobleme der Entwicklungsländer - den Mangel an wichtigen Mikronährstoffen, der zu zahlreichen Erkrankungen und zum vorzeitigen Tod führt - erfolgreich lösen könnten. Beispiele für diese Biofortification wie etwa der mit Vitamin A aus einem Gen der Osterblume angereicherte Golden Rice von Potrykus und Beyer gedeihen längst prächtig - allerdings nicht in jenen Ländern, für die sie auf Grund des Bedarfs entwickelt wurden.

Lomborg hat errechnet, dass die Versorgung mit den in 30 Prozent der Haushalte in Entwicklungsländern fehlenden Mikronährstoffen Vitamin A, Jod und Folsäure pro Kopf und Jahr 0,35 Dollar, eine Ausweitung dieses Programmes für Kinder um Zink, Eisen und Folaten 0,50 Dollar kosten würde. Insgesamt wären dies rund 374 Millionen Dollar bei einem dadurch zu erzielenden Gewinn von fünf Milliarden Dollar durch bessere Entwicklung, künftige (qualifizierte) Arbeitsfähigkeit und geringere Gesundheitsausgaben.

Ernährung und Bildung

Noch einfacher wäre dieser Effekt freilich über die entsprechend angereicherte Nahrung zu erzielen. Doch deren Einsatz wird von Bürokraten und Umweltaktivisten blockiert, deren Kampagnen kaum etwas an Untergriffigkeiten ("Genmafia", "Konzernmafia", "Vergiftung aus den USA") auslassen und - wie Borlaug sagt - auf Grund von Bildungslücken auf Zustimmung stoßen. Die längst müßigen Debatten über die Grüne Gentechnik seien aus seiner Sicht jedenfalls "Debatten der Reichen auf Kosten der Armen".