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Die Liste derer, die bekennen, unter Essstörungen zu leiden oder gelitten zu haben, wird immer länger. Erst kürzlich outete sich die Filmschauspielerin Jane Fonda: Ihre "Traumfigur" war das Ergebnis 25 Jahre langer krankhafter Quälerei. Sie ist nur eine von vielen. Das von Medien propagierte Schönheitsideal suggeriert, dass fit und schlank gleichbedeutend mit sexy, erfolgreich und glücklich ist.
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Mediziner und Beratungsstellen schlagen Alarm. Essstörungen nehmen stark zu. Schon Elfjährige machen Diäten, um dem vorherrschenden Schönheitsideal zu entsprechen. Das Kümmern um die "richtige" Figur nimmt in den Köpfen von Teenagern einen breiten Raum ein. Dass Äußerlichkeiten wichtig für den Erfolg sind, ist in den Köpfen der Kids fest verankert. Es wird ihnen ja auch oft genug vorgelebt: Die Mutter, die eine Diät nach der anderen unternimmt, um lästige Rundungen los zu werden, der Teenieschwarm, der mit 18 Jahren die erste kosmetische Operation schon hinter sich hat, Girliemode fürs coole Outfit - meist in XXSmall - und superdünne Models, die reich und erfolgreich sind - und magersüchtig.
"Zu Zeiten meiner Mutter war das alles überhaupt kein Thema", erinnert sich Beate Wimmer-Puchinger, Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Etwa 200.000 Österreicherinnen leiden zumindest einmal im Laufe ihres Lebens an einer Essstörung. Laut der Beratungsstelle "So what" sind allein in Wien bis zu 85.000 Menschen von einer Essstörung betroffen. Nur wenige nehmen eine Therapie in Anspruch, denn die Krankheit wird allzu oft totgeschwiegen.
Auf Initiative der Wiener Frauengesundheitsbeauftragten wurde im November 1998 die "Wiener Informations- und Präventionskampagne gegen Essstörungen" (W.I.K.E.) gestartet. Ziel der Kampagne war es, durch Beratung und Information das Tabu, mit dem Essstörungen noch immer behaftet sind, zu brechen sowie eine bessere Vernetzung zwischen den verschiedenen stationären und ambulanten Einrichtungen, den freien TherapeutInnen, den Betroffenen und ihren Angehörigen in die Wege zu leiten. Zielgruppe waren Jugendliche, Frauen und Mädchen.
Im Rahmen dieser Kampagne werden in Zusammenarbeit mit dem Wiener Stadtschulrat an Wiener Schulen Informationsstunden abgehalten. Erfahrene PsychotherapeutInnen gestalten auf Anfrage der Schule jeweils eine Unterrichtseinheit zum Thema Essstörungen. Aufklärung darüber, was unter Essstörungen zu verstehen ist, ein Video, in dem Betroffene zu Wort kommen, Gespräche und Diskussionen mit den Schülern gehören zu der Informationskampagne, die sowohl bei den Schülern als auch bei den Lehrern gut ankommt. In den letzten beiden Jahren wurden laut Wimmer-Puchinger über 6.000 SchülerInnen auf diese Weise erreicht.
Wie wichtig diese Kampagne ist, beweist eine Umfrage, die vom Büro der Wiener Frauenbeaufragten von April 1999 bis Juni 2000 an Wiener Schulen durchgeführt wurde. Befragt wurden insgesamt 2.000 SchülerInnen im durchschnittlichen Alter von 15,3 Jahren. Dabei ergab sich, dass 52 Prozent der Mädchen und 14 Prozent der Burschen schon einmal eine Diät gemacht haben, 38 Prozent der Mädchen (16 Prozent der Burschen) gaben an, dass ihre Figur und ihr Gewicht einen erheblichen Einfluss auf ihr Selbstwertgefühl haben.
Die Grenze zwischen "normalem" und "gestörtem" Essverhalten ist fließend. Die Tücke liegt im schleichenden Übergang. Jeder möge sich selbst an der Nase nehmen, wie oft er ans Essen und die unliebsamen Folgen denkt. Wer hat nicht schon versucht, ein paar überflüssige Kilos durch Diäten los zu werden, Fastentage eingelegt, um dann umso üppigere Fressorgien zu veranstalten.
Bei der Magersucht (Anorexie) steht das Hungern und Einhalten von strikten Diäten im Vordergrund. Die Folge ist starker Gewichtsverlust bis zu extremem Untergewicht. Typisch für die Magersucht ist die Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers: Die Betroffenen fühlen sich immer zu dick, unabhängig davon, wie abgemagert sie schon sind.
"Bulimie" bedeutet "Ochsenhunger"; der Ausdruck weist schon auf das Symptom der Heißhungerattacken hin. Wiederholte Fressanfälle wechseln mit selbst herbeigeführtem Erbrechen ab. Bulimische PatientInnen haben oft stark schwankendes Körpergewicht, da Fressanfälle und Diäten einander abwechseln.
Die Kontrolle über den eigenen Körper vermittelt Betroffenen ein Hochgefühl. Essgestörte betreiben oft auch exzessiv Sport. Das Wechselspiel zwischen Essstörungen und Sportsucht ist noch nicht ausreichend untersucht. Nach einer britischen Studie zeigen bis zu 60 Prozent der Frauen, die sich aktiv mit Fitness und Sport beschäftigen, ein gestörtes Essverhalten. Andererseits helfen Bewegungstherapien, oft fehlendes Körperbewusstsein zu erlangen.
Essstörungen drücken häufig psychischen Hunger und ungestillte Sehnsüchte aus. Meist gehen sie Hand in Hand mit mangelndem Gefühl für den eigenen Körper, blockiertem Zugang zu den eigenen Gefühlen, Kontaktschwierigkeiten und familiären Konflikten. Die Entwicklung weiblicher Formen sehen junge Frauen oft als Bedrohung an, die sie durch Nicht-Essen stoppen wollen. Ein dauerhafter Heilungserfolg ohne psychotherapeutische Begleitung kann kaum erwartet werden. Etwa ein Drittel der Essstörungen nimmt laut einer deutschen Untersuchung einen chronischen Verlauf.
Auffällig ist auch die hohe Rate an Rückfällen und die geringe Krankheitseinsicht, weshalb eine Therapie oft schwierig ist.