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Hupen auf der letzten Meile

Von Roland Knauer

Wissen

In Österreich wird mit Sirenen alarmiert, Deutschland muss neue Wege gehen.


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Berlin. Dem Kalten Krieg weint zwar in Deutschland kaum jemand eine Träne nach, den in dieser Zeit installierten Sirenen dagegen schon. Mit diesen konnte die Bundesregierung nämlich die Bevölkerung fast flächendeckend vor einem drohenden militärischen Angriff warnen. Die Länder wiederum benutzten die gleichen Sirenen, um die Menschen vor nicht-militärischen Gefahren wie Naturkatastrophen zu warnen. Als dem Westen Deutschlands aber die Gefahr aus dem Osten abhanden gekommen war, wurden die Sirenen für überflüssig beziehungsweise zu teuer erklärt. Und so waren von den 1992 installierten 87.500 Sirenen im Jahr 2000 bestenfalls noch 15.000 Geräte vorhanden, mit denen die Bevölkerung vor extremem Wetter oder vor einer Giftgaswolke gewarnt werden könnte. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der Elbeflut im August 2002 sucht Deutschland daher neue Systeme, mit denen die "letzte Meile" zwischen den gut informierten Katastrophenschützern und der nichtsahnenden Bevölkerung effektiv überbrückt werden kann.

Österreich und die Schweiz hegen und pflegen ihre Sirenensysteme nach wie vor, einmal im Jahr gibt es landesweit Probealarm. Deutschland dagegen scheut die hohen Kosten von mehreren hundert Millionen Euro für das Wiederherstellen des Sirenen-Warnnetzes. Stattdessen setzt das 2004 gegründete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe vor allem auf Warnungen über elektronische Medien: Über einen Satelliten werden Nachrichtenbänder an Fernsehsender und Durchsagen an den Hörfunk übermittelt, die ins Bild eingeblendet oder im laufenden Programm übermittelt werden müssen. Da die öffentlich-rechtlichen genau wie die privaten Sender sowie drei Nachrichtenagenturen, der Internetprovider t-online und die Deutsche Bahn an diesem mit "SatWaS" abgekürzten Satelliten-Warn-System teilnehmen, scheint eine flächendeckende Warnung der Bevölkerung gesichert.

Freilich nur für den, der Fernseher oder Radio angeschaltet hat, der gerade im Internet surft oder am Bahnhof auf seinen Zug wartet. Droht die Katastrophe dagegen zu nächtlicher Stunde, kann leicht ein guter Teil der Bevölkerung ungewarnt weiter schlummern, während die Fluten bereits das Haus erreichen oder durch das geöffnete Fenster Giftgas eindringt. Und wenn ein Blackout wie am 15. November 2012 große Teile Münchens für fast eine Stunde von der Stromversorgung abschneidet? Dann bleibt der Bildschirm schwarz, und batteriebetriebene Radios genießen außerhalb von Autos heute ebenfalls Seltenheitswert. Daher gibt es längst weitere Überlegungen, wie man die Bevölkerung im Falle eines Falles besser warnen könnte.

Rauchmelder und Handys

Einer der Vorschläge zielt auf die Rauchmelder, die in einigen Bundesländern bereits für alle Haushalte verpflichtend sind und deren Einbau vor allem von den Feuerwehren gefordert wird. In Rauchmelder lässt sich einfach ein Funkempfänger einbauen, der auf ein Alarmsignal der zuständigen Behörde reagiert und Tag und Nacht mit einem Warnton die Bewohner alarmieren kann. Doch in der Praxis klappt das nur bei jedem dritten Haushalt, in dem auch wirklich ein Rauchmelder installiert ist. Und selbst der muss nicht immer betriebsbereit sein, vermutet Guido Huppertz, der sich am Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen in Euskirchen mit Warnsystemen für die letzte Meile befasst: "Nicht immer tauscht der Besitzer rechtzeitig die Batterie aus, die Energie für solche Rauchmelder liefert", befürchtet er.

Für eine flächendeckende Warnung scheinen eher Geräte wie das Handy geeignet zu sein. Allerdings gibt es dabei ein gravierendes Problem, erklärt Huppertz: "Für einen Massen-SMS-Versand reichen die Kapazitäten einfach nicht aus." Und viele schalten ihr Handy zeitweise ganz ab.

Huppertz verfolgt ein anderes System, das relativ geringe zusätzliche Kosten verursacht. Ab dem Jahr 2015 soll in der Europäischen Union die Rettung von Autounfallopfern mit einem "eCall" genannten Notrufsystem erheblich verbessert werden. Dazu wird in jeden Neuwagen ein kleines Gerät eingebaut, das ein einfaches Satellitenortungssystem und eine Funkeinheit besitzt. Wird bei einem schweren Unfall ein Airbag ausgelöst und reagiert der Fahrer nicht auf eine Anfrage des Geräts, wird automatisch die Position des Autos samt ursprünglicher Fahrtrichtung an die nächste Rettungsleitstelle gemeldet. Neben diesem Gerät will Huppertz zusätzlich einen Funkempfänger ohne Sender einbauen und eine vorhandene Steuereinheit modifizieren.

Das Auto macht es möglich

Bei einer drohenden Katastrophe kann diese Einheit über das Warnsystem SatWaS der amtlichen Katastrophenschützer aktiviert werden und mit der Energie der Autobatterie die Hupe des Fahrzeugs starten. "Um ein Erschrecken des Fahrers zu verhindern, sollen nur parkende Autos alarmieren", erklärt Huppertz.

Um Verwechslungen mit einem Autokorso bei einer Hochzeit zu vermeiden, lässt das Modul nicht die normale Hupe, sondern den auf- und abschwellenden Ton einer Sirene ertönen. Heulen dann überall in der Straße parkende Autos los, werden sicher viel mehr Menschen als über das Handy alarmiert. So müssen laut Statistik gerade einmal 14 Prozent aller zugelassenen Autos den Alarm weitergeben, um eventuell gerade schlafende Menschen besser als mit dem früher verbreiteten Sirenensystem zu wecken. Da auf dem flachen Land viel mehr Menschen ein Auto fahren als in der Großstadt und Dorfbewohner ihr Auto zu den meisten täglichen Aktivitäten mitnehmen, funktioniert die Alarmierung auch in dünn besiedelten Gegenden.