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Hurra, der Kapitalismus ist überwunden!

Von Erhard Fürst

Gastkommentare

Die Jahreswende 2008/09 könnte als historische Zäsur in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Ein bekannter Wirtschaftsjournalist hat es auf den Punkt gebracht: "Die Zeit des Shareholder Value ist vorbei. Investoren und Managern muss klar sein, dass hohe Gewinne und Dividendenzahlungen keine Priorität mehr haben. Es geht darum, die Menschen im Beruf zu halten. Auch um den Preis, Geld zu verlieren." Nach der Krise wird nichts mehr so sein wie vorher, lautet die Frohbotschaft.


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Gehen wir realistischer Weise davon aus, dass die menschliche Natur kurzfristig nicht änderbar ist. Sie strebt nach Wohlstand, materieller Sicherheit und gesellschaftlicher Anerkennung. Gottlob gibt es noch immer Menschen, die alternativen, geistigen und moralischen Zielen Priorität einräumen, aber sie bleiben in der Minderheit.

Wie könnte eine Wirtschaft aussehen, in der Shareholder Value und Gewinnmaximierung keine Priorität haben, sondern die Beschäftigung von Menschen, auch um den Preis roter Bilanzzahlen?

"Investoren", sie reichen von Inhabern von Sparbüchern und Lebensversicherungen bis zu Banken und Investmentfonds, werden auch nach der Krise Investitionsentscheidungen auf Basis von Renditeerwartungen treffen, es sei denn, ein solches Verhalten wird gesetzlich verboten und der Staat bietet Entschädigung für Renditeverzicht.

Unternehmen der Realwirtschaft werden die Mittel ihrer Kapitaleigner weiterhin in die profitabelsten Veranlagungen investieren und Mitarbeiter beschäftigen, die einen positiven Beitrag zum Unternehmensergebnis liefern, außer die Rechte der Kapitaleigner werden per Gesetz drastisch beschnitten, was gemeinhin als "Enteignung" bezeichnet wird.

Fazit: Solange wir die menschliche Natur nicht ändern oder in atavistische Gesellschaftsformen zurückzwingen können, gibt es nur zwei Alternativen: eine auf Gewinnstreben basierende, wenngleich "gezähmte" Marktwirtschaft, die allein Innovation und steigenden Wohlstand sichern kann, oder eine staatliche Zwangswirtschaft, wie wir sie aus kommunistischen oder faschistischen Diktaturen kennen.

Und dennoch muss sich in unserer Wirtschaftsverfassung vieles ändern, denn die Zähmung des Raubtiers "Kapitalismus" durch staatliche Rahmenbedingungen ist längst nicht abgeschlossen. Aber die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft in Frage zu stellen, wie Privatkapital, freie Preisbildung auf transnationalen Wettbewerbsmärkten, Dispositionsfreiheit bei Konsum- und Investitionsentscheidungen, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, Chancengleichheit und damit eine für alle leistbare menschenwürdige Existenz, führt mit Sicherheit in den wirtschaftlichen Abgrund.

Erhard Fürst war viele Jahre

Leiter der Abteilung Industrie-

politik und Wirtschaft in der

Industriellenvereinigung.