Russland-Experte Kortunov über Europas Versäumnisse und Russlands Opportunismus.
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Wien. Am Mittwoch sprach Andrey Kortunov, Generaldirektor des Russian International Affairs Council (RIAC) in Wien über die russische Auslandspolitik, militärische Konflikte und diplomatische wie ökonomische Herausforderungen für Russland mit der EU und den USA.
"Viele im Westen denken, dass Russland Teil des Problems sei und nicht der Lösung." Kortunov beginnt seinen Vortrag mit einen häufig genannten Satz, der im Wesentlichen die Ausgrenzung Russlands anprangert. Und das seit Jahrzehnten. "Die Frage ist oft, ob Russlands Zugang zur Macht revolutionär oder revisionistisch ist. Ich denke es geht darum, beim Status Quo zu bleiben. Die einzige revolutionäre Macht, die wir derzeit erleben, ist der Islamische Staat."
Russland will Mitglied im Club sein
Wie viele andere europäische Staaten sei auch Russland keine aufstrebende, sondern absteigende Macht und habe einen wie Kortunov meint "extravaganten Zugang zur Macht": Es möchte Mitglied in einem Club sein, in den es nicht passt. Zum Teil, weil die Europäer die Russen nicht akzeptiert hätten, meint der Direktor der vom Kreml finanzierten Denkfabrik RIAC.
In der russischen Wahrnehmung sei der Westen mit einem diktatorischen Zugang zur Macht aufgefallen: "Either my way or the highway", nennt Kortunov dieses Vorgehen. Dies könne man akzeptieren, aber Europa und die USA dürften nicht davon ausgehen, dass Russland dieser Verkehrsvorgabe folgen würde. Wenn die NATO das einzige Spiel sei, bedeute das, die unangenehme Situation hinzunehmen, dass Russland alleine spielt.
Weiters wolle Kortunov deutlich machen, dass die Wahrnehmung, vor der Ukrainekrise sei zwischen Russland und der Ukraine alles in Ordnung gewesen, falsch sei. Auch stimme nicht dass bloß Russland am jetzigen Zustand Schuld trage. "Russland war bereit für die Ukrainekrise und der Einsatz war niedrig. Russland hat versagt und beide Seiten – auch der Westen - müssen dafür die Verantwortung übernehmen", sagt Kortunov.
"Tiefste Krise seit dem 2. Weltkrieg"
Ein Fehler sei es gewesen, Russland nicht in ein euro-atlantisches Sicherheitssystem zu integrieren. Als Konzept gegen die heutige "tiefste Krise seit dem 2. Weltkrieg" schlägt Kortunov ein hybrides Sicherheitssystem in Europa vor: Offene Kommunikationskanäle, regelmäßige Vereinbarungen zwischen den Partnern zur Vertrauensbildung oder die Auffrischung der Beziehungen über den NATO-Russland-Rat. Seit der Krim-Annexion und dem Ukrainekrieg 2014 liegen die diplomatischen Bemühungen des Rates auf Eis.
Nach zweijähriger Pause tagten die Mitglieder im Februar 2016 in Brüssel, wo NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erneut betonte, die NATO würde Russlands illegale und völkerrechtswidrige Krim-Annexion nicht anerkennen. Bei seinem Vortrag zeigte sich Kortunov allerdings auch optimistisch. Das apokalyptische Szenario, das vor drei Jahren beim Ausbruch der Ukrainekrise gezeichnet wurde, sei nicht eingetreten. Europa erwies sich als belastbarer als gedacht.
Kortunov zufolge sei es notwendig, Russland in Europa zu integrieren, denn die Jugend ströme zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen nach Europa und auch der Tourismus floriere dank russischer Gäste. Politisch sei es wichtig nicht nur eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu entwickeln, sondern über Maßnahmen gegen Terrorgefahren, Migrationslösungen und Cyber-Sicherheit zu sprechen.
Russland handelt opportunistisch
Dies sei bestimmt problematisch, denn der russische Präsident Wladimir Putin werde vom Westen als "politischer Feind" gesehen. "Aber man darf heute keine Initiativen oder gar Zugeständnisse von russischer Seite erwarten, denn die politischen Kosten, die man für eine Veränderung investieren müsste, sind viel höher als den aktuellen Zustand beizubehalten", sagt Andrey Kortunov. Seiner Einschätzung zufolge werde die Außenpolitik Russland auch in Zukunft eher reaktiv als proaktiv sein. "Sie ist opportunistisch".
Dies treffe auch auf die Verbindungen des Kreml zu rechtsextremen Parteien wie die FPÖ und den französischen Front National zu. "Nun, Russland hatte wenige Optionen zur Wahl, man hat versucht, auch mit anderen Parteien zu kooperieren, aber die Versuche blieben unbeantwortet. Marine Le Pen war bereit, Russland zu unterstützen. Warum sollten wir das also nicht nutzen?"
"Russland ist opportunistisch, wenn es um Verhandlungen mit Europa geht und vieles hängt von der Bereitschaft ab, auf Russland zuzugehen.
Man verhandelt lieber mit einzelnen EU-Staaten als mit Brüssel, da die EU traditionsgemäß den einzelnen Regierungen alle Möglichkeiten überlässt und nur die Probleme in Brüssel abgeladen werden, darunter bürokratische Hindernisse", sagt Kortunov. Nicht zuletzt solle sich die EU ihrer größten Herausforderung stellen, Russland nicht mehr als Problem, sondern als Lösung zu sehen."Komplikationen", wie Kortunov die Sanktionen gegen Russland bezeichnet, seien demnach insofern kontraproduktiv, als dass Russland jegliche Anreize fehlten, seine Politik zu ändern. Besonders wenn sie an das Minsker Abkommen geknüpft sind, das nur in einem sehr unwahrscheinlichen Fall umgesetzt wird. "Putin sagt, dass die meisten EU-Staaten ihm und Russland gegenüber negativ eingestellt seien. Vielleicht kann man seine Position nicht ändern, aber man muss sich im Klaren darüber sein, wie dieses Image in Moskau ankommt", betont Andrey Kortunov.