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Hymnus über der Insel Ahtamar

Von Martyna Czarnowska

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Nach langem Ringen erlaubten die türkischen Behörden einen christlichen Gottesdienst am Van-See. Die Kirche, die dort steht, diente den Armeniern fast tausend Jahre lang.


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Nahe des Ufers ist das Wasser türkis. Und aus der Mitte des Sees zaubert die Sonne das Kobalt- und das Azurblau heraus. Doch ist der Van-See, im äußersten Osten der Türkei gelegen, nicht nur an Farbschattierungen reich. Sein Wasser enthält so viel Soda und Salze, dass angeblich einst die Frauen die Kleider ohne jegliches Waschmittel waschen konnten.

Vielleicht hielten sie dabei manchmal kurz inne und warfen einen schnellen Blick auf die Kirche. Seit mehr als tausend Jahren steht die dort, errichtet auf einer Insel an der Südspitze des Sees. König Gagik I. ließ sie erbauen; auch eine Burg und andere Gebäude waren auf der Insel Ahtamar zu finden. Doch von all diesen armenischen Bauwerken ist nur noch die Kirche zum Heiligen Kreuz erhalten.

Ihre Außenwände sind mit Reliefs übersät: Heilige blicken in die Ferne, David kämpft gegen Goliath, ein Bauer prüft die Trauben auf den Weinstöcken, ein Jäger erlegt einen Löwen. Die Kirche ist von Mandelbäumen umgeben, hinter ihr, am Horizont, schimmern die schneebedeckten Gipfel der Berge um den Van-See.

Doch seit fast hundert Jahren erklang in dem Gotteshaus kein Hymnus, wurde kein Weihrauchfass geschwenkt. Die Armenier wurden vertrieben, zurück ließen sie ihre Häuser und Schulen, Kirchen und Friedhöfe. Vieles davon wurde zerstört oder verfiel.

Die Kirche zum Heiligen Kreuz jedoch ließen die türkischen Behörden renovieren. Vor drei Jahren wurde sie als Museum wiedereröffnet und dient nun als Vorzeigeprojekt dafür, dass sich die Türkei sehr wohl auch des Erbes anderer Religionen annimmt.

Aber christliche Gottesdienste dort abhalten? Die Forderung der armenischen Orthodoxen ging Ankara dann doch zu weit. Erst nach jahrelangem Ringen erlaubte die Regierung den Armeniern, eine Messe zu zelebrieren - einmal im Jahr. So schallten vor wenigen Tagen wieder Gesänge und Gebete über Ahtamar. Hunderte Menschen waren zu dem Gottesdienst angereist, Armenier aus Istanbul, aber auch aus den USA, Kanada oder Deutschland. Nur an die 50 von ihnen fanden in dem engen Inneren der Kirche Platz; der Rest verfolgte den Ritus über zwei riesige Leinwände, die draußen aufgestellt worden waren.

Allerdings war die Feierlichkeit noch kurz davor wegen eines Zwistes ums Kreuz gefährdet. Das hätte nach dem Willen der Armenier auf dem Dach der Kirche befestigt werden sollen; die Türken hingegen ließen sich mit der Restaurierung des Kreuzes so viel Zeit, dass es sich nicht ausging. Das war mit ein Grund, dass ein Teil der armenischen Diaspora dazu aufrief, den Gottesdienst zu boykottieren. Dieselben Stimmen warnten auch davor, mit der Teilnahme die Politik eines Landes zu unterstützen, das die Rechte religiöser Minderheiten kaum umsetze und sich weigere, die Massaker an den Armeniern vor hundert Jahren als Völkermord zu bezeichnen.

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Von Van bis zur armenischen Hauptstadt Eriwan sind es an die 200 Kilometer. Wer mit dem Auto dorthin reisen möchte, muss allerdings ein Vielfaches davon und einen Umweg über Georgien einplanen. Denn die Grenze zwischen der Türkei und Armenien ist noch immer geschlossen; und die beiden Staaten haben zwar beschlossen, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen, doch ist die Annäherung ins Stocken geraten.

Wie die Türkei ihr Verhältnis zum Nachbarn gestaltet, spielt aber ebenfalls eine Rolle bei den Bemühungen des Landes um einen Beitritt zur Europäischen Union. Gemessen wird sie auch an etwas anderem: an ihrem Umgang mit Minderheiten.