Sie gehören nicht zum Arzt, sondern in Psychotherapie. | Heilungserfolg bei bis zu 80 Prozent. | Frankfurt/Main. (dapd) Manche Krankheit ist so schlimm, dass der Gedanke daran schon Angst macht. Bei einigen Menschen wird diese gar selbst zum Leiden - Hypochondrie heißt die Diagnose. Hunderttausende leiden daran.
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Aus dem Knoten im Magen wird ein wachsender Krebs, aus dem erhöhten Puls ein bevorstehender Herzinfarkt - zwar nur in der Einbildung, aber auch die kann das Leben schwer beeinträchtigen.
Hypochonder durchleben oft eine Odyssee. Von einer Praxis zur anderen. Dass die Ärzte nichts finden, vermag nur kurzfristig zu beruhigen. Beim nächsten Schmerz geht es wieder von vorne los. "Kernsymptom ist die Idee, an einer oft tödlich verlaufenden Krankheit zu leiden", sagt die Marburger Psychologin Gaby Bleichhardt. Eine Idee, bei der Ärzte im Grunde die falschen Ansprechpartner sind.
"Es kommt vor, dass die Leute zehn Jahre durchs medizinische System geistern, bis sie endlich beim Psychotherapeuten landen", sagt Bleichhardt. Jahre, geprägt von unnötigen Arztbesuchen und von unnötigen Ängsten. Denn mit der richtigen Therapie lässt sich das Problem eigentlich relativ gut in den Griff bekommen. Die Erfolgsraten liegen bei bis zu 80 Prozent. Einer frühzeitigen Diagnose stehen aus Sicht der Expertin falsche Klischees im Wege: "Ärzte machen sich nicht beliebt, wenn sie sagen, das ist ein Fall für den Psychotherapeuten."
Zunächst muss also erkannt werden, dass nicht der Tumor, sondern lediglich die Angst vor dem Tumor das Problem ist. Als Lösungsweg empfiehlt Bleichhardt die kognitive Verhaltenstherapie. Dabei geht es im ersten Schritt darum, gedankliche Verbindungen zu durchbrechen - etwa zwischen Magenschmerzen und "Das muss Magenkrebs sein". Dem Patienten muss klar werden, dass ein leichter Schmerz viele verschiedene Ursachen haben kann.
Im zweiten Schritt geht es um Verhaltensmuster. Ist es wirklich sinnvoll, bei jedem Magenschmerz gleich eine Magenspiegelung machen zu lassen? "Das ist wie beim Suchtpatienten", sagt Bleichhardt, "die Abstände zwischen den Arztbesuchen werden immer kürzer." Solches Verhalten müsse gemeinsam mit dem Patienten problematisiert werden.
Hypochondrie kann jeden treffen. Ausgelöst wird sie nicht selten durch prägende Erfahrungen mit Krankheiten - sei es, dass der Nachbar plötzlich einen Herzinfarkt erleidet oder die Freundin an Brustkrebs stirbt. "Das sind Erfahrungen, die dieses Gefühl von Mir wird schon nichts passieren durcheinanderbringen", so Bleichhardt. Auch eine sehr starke Belastung kann zu Krankheitsängsten führen - etwa Stress im Beruf oder die Trennung von einem Partner.
Viele leiden im Stillen
Betroffen sind immer wieder auch Medizinstudenten. "Wenn die im klinischen Semester mit all den Krankheitsbildern konfrontiert werden, kommen manche auf die Idee, sie könnten ja dies oder das selber haben", erklärt die Psychologin. Hier handle es sich streng genommen nicht um Hypochondrie. Laut Definition muss der Patient über mehr als sechs Monate trotz gegenteiliger Diagnose an der Angst leiden, eine ernsthafte Erkrankung zu haben. Und er muss dabei deutlich in seiner Lebensführung eingeschränkt sein.
Bis zu sieben Prozent der Bevölkerung leiden gelegentlich unter Krankheitsängsten. Die meisten gehen schnell zum Arzt, weil sie es gar nicht aushalten. Andere leiden im Stillen. "Es gibt viele, die da gar nicht gerne drüber reden, weil das Thema häufig verlacht wird", sagt Bleichhardt.