Vielleicht ist unser nationales Selbstbewusstsein ohnedies recht gut ausbalanciert. | Ein Blick auf die inoffizielle Hymne Österreichs.
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Unlängst habe ich an einer Tagung der "Gesellschaft für deutsche Sprache" teilgenommen. Die in Wiesbaden ansässige Vereinigung trifft sich einmal im Jahr zu einem Gesamtvorstand, dieses Mal in Wien. Natürlich ging es um das Thema: das sprachliche Verhältnis zwischen Deutschen und Österreichern. Ich habe das Varietätenkonzept vertreten: Die deutsche Sprache ist plurizentrisch, ein Zentrum ist Deutschland, ein anderes Österreich, ein drittes die Schweiz. Die Zentren sind gleichwertig. Plurizentrisch sind ja auch das Englische und andere große Sprachen - ich dachte, das ist inzwischen unumstritten.
Keineswegs. Am Ende der Tagung meinte ein Universitätsprofessor aus Deutschland in aggressivem Ton: "Das Konzept der nationalen Varietäten müsst ihr in den Mülleimer werfen!" Ein Landsmann assistierte: "Dann werfen wir auch gleich die ganze Plurizentrik in den Mülleimer!" Ein Grazer Universitätsprofessor widersprach mit Wortwitz: "Nicht in den Mülleimer! Wenn schon, dann in den Mistkübel!"
Ich konnte seinen Zorn verstehen. Wird das Konzept der nationalen Varietäten verworfen, ist das ein Rückfall in die monozentrische Sprachenwelt: Was man in Deutschland spricht, ist die Norm, was wir in Österreich sprechen, ist Abweichung von der Norm, Dialekt. Das würde bedeuten, dass selbst ein standardsprachlicher Ausdruck wie "Marille" als Dialekt eingestuft wird und "heuer" als falsches Deutsch. Die zwei Wörter - und viele andere - kennt man im Norden nicht. Außerdem wäre eine norddeutsch geprägte Aussprache fein, die österreichische abwegig.
Am Ende hat eine Teilnehmerin aus Bozen vermittelt: "Ich habe längere Zeit in Österreich und in Deutschland gelebt, verstehe beide Seiten." Und an die Adresse der Deutschen: "Ihr müsst begreifen, dass für die Österreicher die Bereiche Sprache und Kultur eine große Bedeutung haben. Hier herrscht ein nationales Selbstbewusstsein. Es wird von vielen vertreten, das heißt nicht, dass man sie dem rechten Lager zuordnen muss. In Österreich singt man ,I am from Austria. Unvorstellbar, dass jemand in Deutschland ,I am from Germany singt. Kein Sänger würde damit Erfolg haben."
Das hat mir gut gefallen. Man muss allerdings berücksichtigen, wie ambivalent dieses Lied ist. Gleich zu Beginn heißt es: "Dei hohe Zeit is lang vorüber" - damit kann nur das Weltreich der Habsburger gemeint sein. "Und aa die Höll hast hinter dir" - Nationalsozialismus und Holocaust. "Von Ruhm und Glanz is wenig über, / sag ma, wer ziagt no den Huat vur dia, / außer mia?"
Bis hierher und in der Folge ist es eine Antihymne. "I kenn die Leit, I kenn die Ratten / die Dummheit, die zum Himmel schreit!" Würde sich ein österreichischer Künstler in einem Interview so äußern, fielen einige Boulevardzeitungen über ihn her. Erst im Refrain wird es patriotisch: "Da kann ma machen was ma wü / da bin i her, da ghör i hin / da schmilzt das Eis von meiner Seel / wia von an Gletscher im Aprü." Dann das Finale: "Aa wann ma’s scho vergessen ham / i bin dei Apfel, du mei Stamm. / So wia dei Wasser talwärts rinnt, / unwiderstehlich und so hell (. . .) / sag i am End der Welt voi stolz, / und wann ihr wollts aa ganz allaa: / I am from Austria."
Das Lied hat vor kurzem in der ORF-Show "Österreich wählt den größten Austropophit" Platz eins belegt.
Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache. Vor kurzem ist im Haymon-Taschenbuchverlag sein "Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs" erschienen.