)
Viele Tiere sind optisch gut getarnt. Doch auch auffallende Farben oder Muster können indirekt zur Tarnung beitragen. Andere wiederum führen ihre Mitgeschöpfe im wahrsten Sinne des Wortes an der Nase herum. Die wahren Meister indes verlegen sich aufs aktive Täuschen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Frischlinge, die gestreiften Wildschweinjungen, tragen es ebenso wie Entenweibchen, Steinfische oder die Raubkatzen der afrikanischen Steppe: ein Tarnkleid. Die einen, weil sie sich vor ihren Feinden verstecken, die anderen, weil sie sich möglichst unauffällig an ihre Beute
heranpirschen wollen. Im ewigen Eis des Polarmeeres begibt sich der Eisbär gut in Weiß getarnt auf die Suche nach schmackhaften Sattelrobbenbabys, die sich allerdings selbst nahtlos mit ihrem weißen Pelz ins Bild fügen. Die Flecken des Leoparden, der sein Leben im Licht- und Schattenspiel von Bäumen verbringt, das fahle Steppenbraun der Löwin, das saisonal abgestimmte Fell des Hermelins. Die hellen Bäuche der Pinguine, wie sie von unten gegen das Licht wahrgenommen werden, und ihr dunkles Oberkleid, wie es von oben gegen den Boden gesehen wird. Das Grün der Grashüpfer, das schmuddelige, Bläschen werfende, an Schlamm erinnernde Kostüm von Kröten, all die gesprenkelten, wirr gezeichneten, getüpfelten oder in Erdfarben gehaltenen Tiere - alleine die Aufzählung der Arten, die mit ihrem Feder-, Fell- oder Schuppenkleid eine tarnende Maskerade angelegt haben, würde unseren Rahmen gewaltig sprengen.
Nicht immer ist die Zeichnung eines Tieres so offensichtlich der Tarnung unterworfen wie beispielsweise beim Schneehasen, der im Winter in flauschigem Weiß, in der aperen Zeit jedoch in dezentem Erdbraun herumhoppelt. Beim Zebra zum Beispiel haben sich die Wissenschafter lange den Kopf zerbrochen über dessen rätselhaftes Schwarz-Weiß-Muster, das im Braun der afrikanischen Steppe an sich von den Farben ja herausleuchten müsste. In Wirklichkeit lösen sich bei einer Herde Zebras, die in der flirrenden Steppensonne beisammen steht, die Konturen auf - in der Masse ist für einen Löwen das einzelne Tier nicht mehr eindeutig erkennbar (ein Effekt, den auch die schwarz-weiß gestreiften Wimpelfische beherrschen).
Die Camouflage kann aber nicht der einzige Zweck der Zebramaserung sein, zu oft stehen sie ungeachtet ihres Linienmusters am Speiseplan der Löwen. Allgemein wird angenommen, dass die Streifen noch weitere Funktionen übernehmen, etwa die Regulierung der Körpertemperatur oder das eindeutige Erkennen untereinander. In unserem Zusammenhang weitaus interessanter ist aber die Tatsache, dass das Zebra damit vor den Bissen der Tsetsefliege, der Überträgerin der gefährlichen Naganaseuche, verschont bleibt: Die Komplexaugen der nachtaktiven Fliege können die Silhouette der Zebras in der Dunkelheit aufgrund der Streifen nicht auflösen.
Bei manchen Arten unterliegt sogar die äußere Form dem Bedürfnis des Tieres, sich versteckt zu halten. Raupen, die aussehen wie dürre Zweige, Spinnerfalter, die nicht von Rinde zu unterscheiden sind, oder Schrecken, die als wandelnde Blätter daherkommen - speziell bei den Insekten findet man hier viele Beispiele.
Eine noch perfidere Form der Tarnung ist die gezielte Täuschung. Man spricht von Mimikry, wenn Tiere Körperteile vortäuschen oder andere Arten nachmachen, sodass man sie von diesen nicht eindeutig unterscheiden kann. Wieder gibt es Beispiele sowohl für Jäger als auch für Gejagte, die diese Taktik anwenden. Nehmen wir den harmlosen Schmetterling namens Hornissen-Glasflügler, der einer echten, gefährlichen Hornisse zum Verwechseln ähnelt, oder den Wespenbock, einen Käfer, der wiederum einer Wespe gleicht, fast wie ein Ei dem anderen. Damit schützen sich Schmetterling und Käfer gegen allerlei Räuber, die bereits Erfahrungen mit Hornissen oder Wespen als Doch-nicht-Beute haben. Andere Schmetterlinge sowie auch viele Fische tragen auffallende Augenmuster auf ihrem Körper, was einerseits vorgaukeln soll, sie wären deutlich größer, und andererseits einen allfälligen Angriff auf die falschen Augen lenkt.
Der selbst gut als Meeresboden getarnte Seeteufel besitzt darüberhinaus an seiner Rückenflosse einen besonders langen Strahl, der als Art Angel funktioniert. Das Hautanhängsel daran sieht aus wie ein winziges Fischlein, was kleine Fische anlockt, die der Seeteufel dann mit einem raschen Schnapp in sein riesiges Maul saugt. Er wird deswegen auch als Angler bezeichnet. Ähnlich legt es das Photuris-Leuchtkäferweibchen an. Es imitiert die Leuchtsignale anderer Käferarten, um so deren Männchen anzulocken, die es dann genussvoll verspeist. Selbst Pflanzen bedienen sich solcher Tricks. Manche Passionsblumen produzieren gelbliche Flecken auf ihren Blättern, was den schädlichen Heliconusfalter davon abhält, hier seine Eier abzulegen. Die Punkte auf den Blättern sehen nämlich so aus, als ob hier schon einer seine Eier deponiert hätte - und der Falter bevorzugt unbefallene Pflanzen für seine persönliche Eiablage.
Ein kleiner Kuckuck ist gar der Falter mit dem imposanten Namen Kreuz-enzian-Ameisenbläuling. Nachdem er als Raupe aus seinem Ei schlüpft, frisst er sich zunächst am Kreuzenzian satt, in dem er zur Welt kam. Im Herbst lässt er sich zu Boden plumpsen, um sofort Duftstoffe wie eine Ameisenkönigin zu produzieren. Das veranlasst vorbeilaufende Ameisen ihn aufzulesen und in den Bau zu tragen, wo er sich füttern lässt und bis zum Tag seiner Verpuppung bleibt. Als frisch geschlüpfter Falter verlässt er dann endlich das leergefressene Ameisennest.

Die letzten Beispiele illustrieren bereits, dass sich manche Arten vom passiven Tarnen und Täuschen aufs aktive Tun verlegt haben. Sprichwörtlich ist das Chamäleon, das sich (artspezifisch) vortrefflich an seinen Hintergrund anzupassen weiß. Sehr oft nimmt es dabei die Farbe von Blättern an, was auch gut zu seiner Körperform passt. Dazu schaukelt es in langsamem Rhythmus vor und zurück und tastet sich so im Bedarfsfall Zentimeter für Zentimeter nach vorne. Gerne hockt das an sich eher phlegmatische Tier aber einfach nur in seinem Strauch, mit dem es nahezu verwächst. In aller Seelenruhe muss es so nur mehr abwarten, bis ein unvorsichtiges Insekt vorbeifliegt, um dann blitzschnell seine Zunge danach auszustrecken. Bei Notwendigkeit verkleidet sich das Chamäleon aber auch als Ästelwerk oder Blattgerippe.
Der Farbwechsel geht ruck-zuck, weil er nicht, wie bei Tierarten, die ihr Äußeres saisonal anpassen, über Hormone sondern neuronal gesteuert wird. Forscher sind sich mittlerweile einig, dass die Fähigkeit des abrupten Farbenwechsels vor allem entwickelt wurde, um untereinander zu kommunizieren, etwa um anderen Männchen zu imponieren oder Weibchen zu umgarnen. Binnen Millisekunden kann ein Chamäleonmännchen seiner Angebeteten per Farbe mitteilen, dass er mit ihr ins Bett möchte. Die Antwort kommt prompt per Farbe retour. Die Tarnwirkung ist also nur ein Zweiteffekt.
Verwandlungskünstler
Die wahren Verwandlungskünstler sind jedoch unter Wasser zu finden: die Tintenfische. Sie haben als Weichtiere keinerlei knöchernen Schutz gegen Feinde, dafür spritzen sie Angreifern in Bedrängnis eine tintenfarbige Flüssigkeit entgegen, die denen die Sicht nimmt. Allerdings, und hier sind wir beim erstaunlichen Aspekt dieser Spezies, sorgen die vielarmigen Krakentiere dafür, dass sie gar nicht so schnell in Not geraten. Ihre Strategie ist auf dieser Welt einzigartig: Sie sind in der Lage, innerhalb von Bruchteilen von Sekunden nicht nur die Farbe zu wechseln sondern auch auf ihrer Oberfläche die Textur des Untergrunds abzubilden.
Haben Sie jemals Gelegenheit, beim Schnorcheln oder Tauchen einem Tintenfisch zu begegnen, haken Sie sich mit den Augen an ihm fest und folgen Sie ihm. Es sind Minuten Ihres Lebens, die Sie garantiert nie wieder vergessen: Wie ein Magier gleitet das im zoologischen Lexikon so plump aussehende Weichtier durchs Wasser und gibt mal den Stein, dann das Riff und dann die Weichkoralle. Es wird rot wie die Korallen, über denen es schwimmt, und bekommt gleichzeitig Ecken und Kanten, die sich sofort in Beige glätten, wenn es den sandigen Boden erreicht. Auch Tintenfische, die im Übrigen intelligent genug sind, um mit Gegenständen zu hantieren, benutzen ihre Farbe gleichermaßen zur Kommunikation, aber bei ihnen scheint das der Nebeneffekt zu sein.
Überhaupt ist die Unterwasserwelt ein eigener Kosmos für sich, wo es ganz besonders viel ums Tarnen und Täuschen geht. Der Tintenfisch ist beileibe nicht der Einzige, der sich geschickt zu wandeln weiß. Da gibt es etwa den grauen Nasendoktorfisch, der beim Aufsuchen der Putzerstation sofort ein helles Blau anlegt - dadurch können die Putzerfische Parasiten auf seiner Haut besser erkennen. Oder die Seezunge (auch Flunder), die auf ihrer Oberfläche die Farbe des sandig bis schottrigen Untergrundes aktiv spiegelt und die gleichzeitig Schwimmtechniken beherrscht, mit ihrem flachen Körper Schlagschatten zu vermeiden.
Die meisten Fische verlassen sich hingegen auf passive Tarnung, sei es durch irreführende Augen, verwirrende Schuppenmuster oder Farb- und Formgebung, die ans Habitat angepasst ist. Ein für menschliche Augen witziger Geselle ist der Harlekin-Geisterpfeifenfisch, der mit dem Seepferdchen verwandt ist und dem allerlei Hautläppchen vom Körper stehen. Damit imitiert er die fedrigen Korallen und fächrigen Gorgonien, zwischen denen er gerne in Kopfunterlage schwimmt. Sein Cousin, der Robuste Geisterpfeifenfisch, der Seegraswiesen bevorzugt, erinnert wiederum frappant an tote Gräser und Algen, wie sie zuhauf über solchen Unterwasserwiesen schweben.
Zu guter Letzt sei der Augenfleck-Mirakelbarsch erwähnt. Der lebt in einer Höhle, in die er sich bei Gefahr blitzschnell zurückzieht. Den Eingang versiegelt er dann prompt mit seinem Hinterteil, indem er die Schwanzflossen spreizt. Dabei kommt ein heller Ring mit dunkler Füllung zum Vorschein, sodass das Ganze aussieht wie der Kopf der gefährlichen Netzmuräne. Der Augenfleck-Mirakelbarsch hält es offensichtlich mit dem Götz-Zitat.
Artikel erschienen am 30. März 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 4-9