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"Ich bin doch nur ein Depp"

Von Uwe Schütte

Reflexionen

Herbert Achternbusch sorgte mit seinem singulären, anarchischen Gesamtkunstwerk stets für Aufregung. Am 23. November begeht er seinen 80. Geburtstag.


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Impulsiver Phantast: Herbert Achternbusch.
© Ullsteinbild/Sven Simon

Ruhig ist es um Herbert Achternbusch in den vergangenen Jahren geworden. Das hatte mit gesundheitlichen Problemen zu tun, aber auch mit dem Alter: Ganze 80 Jahre wird der bayerische Anarcho-Gesamtkünstler am 23. November. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mittlerweile vornehmlich durch die Malerei. Und nachdem er lange Zeit in seinem Bauernhaus im Waldviertel lebte, verbringt er seine Zeit nun wieder vorwiegend in der Geburtsstadt München.

In Österreich fand er auch einen neuen Verleger: Richard Pils von der Edition Bibliothek der Provinz, in der Herbert Achternbuschs Bücher seit 1998 in wunderschön gestalteten Hardcoverausgaben mit farbigen Illustrationen des Autors erscheinen.

Gleichsam als Gabe zum Geburtstag ist dort nun die von Manfred Loimeier herausgegebene Sammlung "Sommernachtsträume" mit sorgfältig ausgewählten Essays zu Büchern, Filmen und Theaterstücken von Achternbusch erschienen. Sie weisen einen informativen Weg in das singuläre Gesamtkunstwerk und regen an, sich auch die neueren Erzählwerke vorzunehmen, die kaum weniger faszinierend sind als die Texte, die einstmals bei Suhrkamp erschienenen sind.

Vorwurf der Blasphemie

Im Rückblick ragt unverändert der Skandalfilm "Das Gespenst" (1983) aus dem Werk heraus, der seit 2010 wieder auf DVD (nun mit Altersfreigabe 12) erhältlich ist: Achternbusch spielt darin die Hauptrolle als eigenwilliger Jesus, der in einem Kloster vom Kreuz absteigt und mit der Schwester Oberin durch die Münchner Fußgängerzone und den Viktualienmarkt wandelt. Unverstanden und angefeindet, von der Polizei als gefährlicher Verrückter betrachtet, wird er von der Gesellschaft verfolgt - so wie einst der historische Jesus. Die katholische Kirche protestierte prompt, der damalige Innenminister Zimmermann ortete Blasphemie und versagte versprochene Förderungsmittel. (In Österreich bleibt der Film übrigens bis heute verboten.)

Eine Postkarte, die den Gekreuzigten mit einem Dildo im Mund zeigte, ergänzt durch die Worte "Dieses Kreuz ist keine Sicherheit. Dieses Kreuz ist eine Frage", gehörte in den Haushalt jedes Achternbusch-Anhängers. Den einen galt Achternbusch als Nestbeschmutzer und den anderen als einzig wahrer Vertreter der anarchischen bajuwarischen Tradition, vom Komiker Karl Valentin bis zum Sozialisten Kurt Eisner, der in der Novemberevolution 1918 die Monarchie abschaffte, um den Freistaat Bayern zu errichten.

Heute ist Achternbusch aus dem Blickfeld der breiten Öffentlichkeit verschwunden. Sein die Genres und Medien transzendierendes Werk aber gerät wieder verstärkt in den Fokus der Germanistik und Filmwissenschaften, die ihn Anfang November mit einer dreitägigen Konferenz im Filmmuseum Potsdam ehrten. Im Leipziger Luru-Kino findet eine komplette Achternbusch-Werkretrospektive statt, die von November 2018 bis Mai 2019 läuft. Vielleicht können solche Veranstaltungen dazu beitragen, Achternbusch wieder mehr ins Bewusstsein zu heben. Zu wünschen wäre es jedenfalls.

Zum Schriftsteller wurde der erstmalige Kunststudent eher durch Zufall. Ermutigt von Martin Walser, begann er ab Mitte der sechziger Jahre zu schreiben, seine Erzählungen erschienen ab 1969 im Suhrkamp Verlag, wo er mit seinem Debütroman "Die Alexanderschlacht" (1971) Furore machte. Doch kaum hatte er seinen Durchbruch als Autor geschafft, verlegte sich Achternbusch auf ein anderes Feld, das seinen eigentlichen Ruhm begründen sollte: den Film. Ausgehend von "Das Andechser Gefühl" (1975), einem bayerischen Heimatfilm der anderen Art, entstand ein Filmwerk, das seinesgleichen sucht.

Als Enfant Terrible des deutschen Autorenfilms drehte Achternbusch bis 2002 insgesamt 30 Filme, darunter Meisterwerke wie "Die Föhnforscher" (1985) oder "Hick’s Last Stand" (1990). Außerhalb anspruchsvoller Programmkinos haben diese Filme freilich keine Chance, ein Publikum zu finden, nicht zuletzt, weil ihnen die Stars fehlen. Die Hauptrollen besetzte Achternbusch nicht nur aus Geldgründen zumeist mit sich selber, in weiteren Rollen sind wiederholt seine 2005 verstorbene Lebensgefährtin Annamirl Bierbichler und eine ganze Reihe von Freunden zu sehen.

Die Filme sind immer auch Autobiographie und haben einen Zug ins Dokumentarische. Besonders eindringlich in "Bierkampf" (1977), als sich Achternbusch dabei filmen lässt, wie er als Polizist verkleidet durch die Bierzelte des Münchner Oktoberfests geht, um Zigaretten zu verkaufen (ein Job, den er bereits als Student ausgeübt hatte). Durch gezielte Unverschämtheiten provoziert er dabei körperliche Angriffe, um die Gewalt zu demaskieren, die hinter dem Frohsinn der bierseligen Volksseele lauert.

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Wenig Scheu vor Tabus zeigt Achternbusch in anderen Filmen, wenn er beispielsweise den schwer AIDS-kranken Fassbinder-Darsteller Kurt Raab in "Wohin?" (1987) in einem Biergarten über seinen bevorstehenden Tod sprechen lässt, oder seinen Intimfeind, den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, in der Schlussszene von "Der Depp" (1982) im Münchner Hofbräuhaus vergiftet.

Vom Schreiben der Filmdrehbücher war es dann nicht mehr allzu weit, sich auch als Bühnenautor zu betätigen. Seine über 25 Theaterstücke sind der unterschätzteste Teil des wildwüchsigen "Gesamtschriftwerks". Vor allem solche Stücke wie "Ella" (1978), "Susn" (1980), "Plattling" (1981) oder "Linz" (1988) gehören zu den außergewöhnlichsten Dramentexten, die das deutschsprachige Theater der achtziger Jahre hervorgebracht hat. Es handelt sich fast durchweg um Einpersonenstücke, in denen im niederbayerischen Heimatdialekt Achternbuschs monologisiert wird.

Hervorzuheben darunter ist insbesondere "Gust" (1979), das mit Josef Bierbichler, dem Bruder von Annamirl Bierbichler, in den Münchner Kammerspielen gezeigt wurde: Während seine todkranke Frau im Sterben liegt und nur noch ein gelegentliches Röcheln von sich gibt, erzählt Gust die traurige Geschichte seines verpfuschten Lebens und seiner qualvollen Ehe.

Achternbusch hat sie nahezu wortwörtlich einem Onkel abgelauscht, doch was er auf die Bühne bringt ist kein Voyeurismus, der es Großstadtintellektuellen und Bildungsbürgern erlaubt, sich über den Irrglauben eines Provinzlers und seine unzureichende Sprachbeherrschung amüsieren zu können. Vielmehr begegnet uns hier eine anrührende Botschaft aus einem in der Moderne überwunden geglaubten Provinzleben, dessen Fortexistenz sonst in vergleichbarer Weise nur in den frühen Büchern von Franz Innerhofer oder Josef Winkler zugänglich wurde.

"Wildes Denken"

Überhaupt ist die provinzielle Herkunft der Schlüssel zum Verständnis der Kunst von Herbert Achternbusch. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als uneheliches Kind eines Zahnarztes und einer Sportlehrerin in München zur Welt gekommen, die sich später mit einer Pistole erschoss, wuchs er bei seiner im Bayerischen Wald lebenden Großmutter auf. Damit ist seine Kindheit und Jugend bestimmt von fast schon prä-zivilisatorischen Bedingungen, ein Leben ohne Strom, elektrisches Licht und fließendes Wasser mitten in der Natur. Seine dabei erworbene "Verwilderung" hat sich Achternbusch bis ins hohe Alter bewahrt.

Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss hat anhand sogenannter Primitiver die Vorzüge einer "pensée sauvage", eines "wilden Denkens" also, gegenüber dem an Vernunft und Logik ausgerichteten technologischen Denken dargestellt. Achternbusch ist dementsprechend ein wilder Künstler, der keine Eingrenzung auf bestimmte Bereiche oder Genres kennt, sondern sich ganz allein von seinen persönlichen Impulsen geleitet eines bastlerischen Verfahrens bedient, das in dezidiertem Gegensatz zum sozusagen ingenieursmäßigen Vorgehen der anerkannten Filmemacher, Schriftsteller, Theaterautoren und Maler steht.

Bedenkenlos wird bei Achternbusch bereits bestehendes Textmaterial in anderen Medien recycelt, einen Unterschied zwischen Leben und Kunst kennt er nicht. Seine Bibliografie ist ein einziges Chaos sich über mehrere Verlage erstreckender und jeweils Fragment gebliebener Werk- und Gesamtausgaben. Das Tiefsinnige trifft auf das Triviale, das Tragische kollidiert mit dem Absurden, etwa wenn im Film "Das letzte Loch"(1981) die von Achternbusch gespielte Hauptfigur Nil die sechs Millionen im Holocaust getöteten Juden vergessen will, indem er für jeden Ermordeten einen Schnaps trinkt, was ihm aber natürlich nicht gelingt, sodass er sich ertränkt.

Widerspenstig jung

Wie nahe Achternbusch einem "wilden" Kunstbegriff steht, zeigen seine Bilder und Skulpturen schon auf den ersten Blick. Er bevorzugt für seine oftmals großformatigen Bilder insbesondere Aquarell- und Mischtechniken, wobei er mit der Farbe ausgeprägt impulsiv umgeht. Die poetisch sensiblen, kraftvollen und phantastischen Arbeiten, denen zumeist mythologische Motive zugrunde liegen, weisen eine unverkennbare Nähe zu jener Außenseiterkunst sogenannter Naiver auf, die als "art brut" in der Kunstwissenschaft ein Obdach gefunden haben.

Achternbusch sieht einen solchen Vergleich sicher als eine Auszeichnung an, da er in den Interviews immer gerne betont, in erster Linie ein Depp zu sein. Denn er weiß: Narren und Kinder sprechen immer die Wahrheit. Achternbusch hat es geschafft, ein genialer Depp zu werden, indem er sich seine Kindheit nicht nehmen ließ. Heute hat er sich als einer der bemerkenswertesten deutschsprachigen Außenseiterkünstler erwiesen, der in Würde gealtert und zugleich im unverändert widerspenstigen Geiste jung geblieben ist.

Manfred Loimeier (Hrsg.):
Sommernachtsträume. Essays zu Büchern, Filmen und Theaterstücken von Herbert Achternbusch. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2018, 390 Seiten, 30,- Euro.

Uwe Schütte ist Dozent für Deutsche Literatur an der Aston University, Birmingham.