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"Ich bin ein besserer Mensch"

Von Petra Tempfer

Politik

Bei der Radikalisierung geht es vor allem um das Gefühl der Zugehörigkeit - und die fehlende Bereitschaft, sich selbst anzustrengen.


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Wien. Jung, männlich und voller Erlebnishunger: Das sind meist die, "die mit Hurragebrüll in den Krieg ziehen würden", sagt Psychiaterin Adelheid Kastner. Die, die empfänglich für das Heldentum seien - das ihnen in ihren Augen der radikalisierte Terrorismus eröffne. Damit ende eine etwaige Verallgemeinerung jener Personen, die für Radikalisierung anfällig seien, so Kastner im Interview mit der "Wiener Zeitung". Familiäre Hintergründe ins Treffen zu führen, sei eine einbahnartige Suche nach den Schuldigen, die meist die Terroristen selbst seien.

"Wiener Zeitung":Sie kämpfen für terroristische Vereinigungen wie den Islamischen Staat (IS) und schrecken auch nicht davor zurück, Selbstmordattentäter zu werden: Was passiert in den Köpfen radikalisierter Terroristen?Adelheid Kastner: Eines gleich vorweg: Die Wege dorthin sind unterschiedlich. Man kann aber schon sagen, dass sich ein Teil vom System nicht ausreichend beachtet und schlechtgestellt fühlt. Bei einigen wird auch das Gefühl da sein, dass sie nie die Chance erhalten haben, eine für sie erstrebenswerte Lebenssituation zu erreichen.

Ist also die Gesellschaft schuld?

Über die Gesellschaft zu schimpfen, ist ja fein, aber zu der gehört man selbst auch. Es geht auch weniger darum, zu sagen, "die Gesellschaft hat versagt", vielmehr setzt das Erreichen seiner Ziele auch eigene Investitionen voraus. Und diese Anstrengungsbereitschaft mag manchen fehlen. Gibt es nun ein Radikalisierungsangebot mit dem Alternativprogramm für Zugehörigkeit, das noch dazu den Benefit der Überhöhung bietet, nehmen das viele gerne an. Das setzt auch relativ wenig Eigenleistung voraus, sie plappern halt Vorgegebenes nach, schreien mit. Es gibt ihnen das Gefühl: "Ich bin ein besserer Mensch."

Kann das auch über das Internet funktionieren?

Das Internet kann die Wahrnehmungsblase höchstens ausweiten, eine Radikalisierung passiert aber über den direkten Kontakt. Weil es ja darum geht, zu erleben, dass der andere einen schätzt.

Das Gefühl der Zugehörigkeit ist ja in vielen Bereichen essenziell.

Das gibt es prinzipiell auch in anderen Religionsgemeinschaften, in esoterischen Gruppen oder in der Politik und der Wirtschaft. Zentral ist immer die Botschaft, etwas Besseres zu sein, wenn man dazugehört.

Dennoch heben sich radikalisierte Terroristen von den anderen Gruppen ab, indem sie einen Punkt überschreiten, der sie für ihre Gesinnung töten lässt. Was passiert an diesem Punkt?

Wenn man einmal drinnen ist, geht es weiter: Man entwertet alle anderen. Das passiert bei allen Radikalisierungsprozessen. Im NS-Regime zum Beispiel waren die Unerwünschten "Volksschädlinge", im Fall des IS sind es die "Ungläubigen". Im Kampf gegen diese zu sterben und dafür mit paradiesischen Freuden belohnt zu werden, ist eine unendliche Erhöhung, das kann nichts Weltliches toppen.

Kann man von Gehirnwäsche reden?

Nein, nicht zwingend, weil es ja die eigene Entscheidung ist, sich dorthin zu orientieren beziehungsweise die Kontakte der anderen abzuwerten, die Familie abzuwerten. Sie gehört dann oft auch zum Kreis der Ungläubigen. Das macht eine Resozialisierung so schwierig.

Wie könnte eine Resozialisierung dennoch funktionieren?

Indem Betroffene zum Beispiel in der Deradikalisierung mitarbeiten. Das kann ihnen auch das Gefühl geben, etwas Besonderes, etwas Wichtiges zu tun.

Zur Person

Adelheid

Kastner

ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Primarärztin der Klinik für Psychiatrie mit forensischem Schwerpunkt am Kepler Universitätsklinikum in Linz.