Der Schauspieler über falsches Künstlergehabe, die mangelnde Qualität der meisten Fernsehfilme, seine Liebe zum jüdischen Witz und zum "Jüdeln".
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"Wiener Zeitung":Herr Herz-Kestranek, Sie haben der "Wiener Zeitung" Ihre Stimme für den Radio- und TV-Spot zur Verfügung gestellt. War dies schlicht ein kommerzieller Auftrag oder verbindet Sie darüber hinaus etwas mit der "Wiener Zeitung"?Miguel Herz-Kestranek: Nein, ich arbeite für Geld. Vor 20 Jahren habe ich auch Werbung gesprochen und wurde dafür oft gescholten. Dabei waren es meist wenige Spots und so habe ich aufgehört, weil ich ohnehin wenig dabei verdient hatte.
Nun hat es sich aber wieder ergeben.
Ja, ich wurde gefragt, und da die "Wiener Zeitung" eine gute Zeitung ist, habe ich es gemacht.
Das ist eine gute Gelegenheit zu erfahren, wie lange es schlussendlich dauert, bis ein wenige Sekunden dauernder Werbespot aufgenommen ist?
Wenn man es kann, vielleicht eine Stunde, aber die eigentliche Arbeit dauert Jahrzehnte, nämlich: Können aufzubauen. Wenn man es nicht kann, dauert es Stunden und zuletzt wird wer anderer genommen. Es ist ein Können-Beruf wie Schauspielerei überhaupt, und können kann man nie genug.
Hier in Ihrer Wohnung im 8. Bezirk sieht man sich buchstäblich umringt von Büchern. Sie haben mittlerweile 13 Bücher veröffentlicht, zuletzt den Titel "Die Frau von Pollak oder Wie mein Vater jüdische Witze erzählte". Würden Sie sagen, dass es sich bei diesem Werk um eine Spurensuche in Ihre eigene Vergangenheit handelt oder ist es eher eine Spurensicherung von alten jüdischen sprachlichen Traditionen?
Beides. Über kleine Notizen, die mein Vater hinterlassen hat, habe ich versucht, mich an all die Geschichten und Witze zu erinnern, die in meiner Familie erzählt wurden. Ich habe ja die Gnade der Frühverkalkung, das heißt, ich erinnere mich für Gage gerade noch an Texte, die ich gerade können muss, aber sonst an kaum etwas.
Anhand der stichwortartigen Aufzeichnungen Ihres Vaters wurde Ihr Erinnerungsvermögen somit wieder wachgerufen?
Teilweise. In meinen Büchern fließt oft Biographisches ein, auch Teilerfundenes, wenn es literarisch nützt. Insofern ist es eine erweiterte Spurensicherung. Es ging mir aber zuerst einmal darum, zu bewahren, was es in literarischer Form kaum mehr gibt. So habe ich aus sogenannten jüdischen Witzen kleine Geschichten gemacht. Die lassen sich zwar nicht so gut erzählen, aber umso schöner lesen. Man gleitet von einer Geschichte in die nächste und taucht dazu ein in Erinnerungen an meinen Vater und andere Familienmitglieder, an Erlebtes und Erlachtes.
Mitunter sind es auch längere Geschichten.
Ja, solche, die nicht mit knalligen Pointen enden. So wie bei jüdischen Witzen überhaupt die Pointe immer mehr ist. Ich beginne mein Buch auch mit dem Satz: "Der jüdische Witz ist kein Witz", und schreibe später: "Jüdische Witze sind immer weise und wenn sie nicht weise sind, sind es keine jüdischen Witze, sondern nur Witze. So sagte es jedenfalls mein Vater und von ihm habe ich gelernt, jüdische Witze ernst zu nehmen."
Gibt es in Ihrem Sprachgebrauch noch jüdische Redewendungen, die Sie gebrauchen?
Jüdisch stimmt in diesem Zusammenhang nicht ganz. Mir ging es auch um ein bestimmtes Denken und vor allem ums Bewahren des sogenannten "Jüdelns". Eine Sprechvariante, eine Melodie, eine Wort- und Satzwahl, die auch eine ganz eigene Dialektik bedingt. Erinnern wir uns etwa an das verlorengegangene Kabarett eines Grünbaum, Farkas & Co, da war jede Pointe gejüdelt. Aber speziell in Wien konnte man diesen Ton auch von Nicht-Juden hören. Genauso aber wurde er angewendet, um den angeblichen Typus Jude zu verspotten und verächtlich zu machen - bis zum tödlichen Ende. Darum habe ich mich natürlich gefragt: Darf man ein Buch so schreiben? Und ich sage: Ja, man darf, wenn es aus lauteren Gründen erfolgt und wenn man umfassend weiß, was man tut, und ob das Herz dabei in Achtung schlägt, oder ob man verspotten will. Und das erkennt man beim Hören wie auch beim Lesen sofort. Aber, um Ihre Eingangsfrage zu beantworten, ja, es gibt eine Menge Redewendungen, die ich verwende.
Dass Sie derzeit den Milchmann Tevje im Musical "Anatevka" am Tiroler Landestheater spielen, dürfte gut zu Ihrer Beschäftigung mit dieser Thematik passen?
Ja, die Hälfte der Dialoge beruht auf jüdischen Witzen. Ich konnte die Beschäftigung mit meinem letzten Buch gut in die Rolle einbringen.
Wie kommt das Musical beim Publikum an?
Sehr gut, weil wir es sowohl entsprechend leicht, als auch sehr ernst genommen haben. Ohne Regiefirlefanz weiß am Ende jeder Zuschauer, dass 38 Jahre später - das Musical spielt 1905 im ostjüdischen Schtettl - alle, die er auf der Bühne gesehen hat, todgeweiht sind. Für mich persönlich war es, neben dem Prof. Higgins in "My fair Lady", der bisher größte Erfolg auf einer Bühne.
Tatsächlich?
Ich habe das vorher selbst nicht geglaubt. Überhaupt ist diese Intensität und Energie, die aus Musik, Gesang, Tanz und Spielen entsteht, mit Sprechtheater gar nicht zu erreichen. Es wird nicht Stunden lang überlegt, was der Dichter eventuell mit einem Satz gemeint haben könnte. Das ist für mich immer mehr quälende Hirnwichserei. Überhaupt fällt es mir angesichts der Welt immer schwerer, bei allem meinem Tun nicht die Sinnfrage zu stellen. Nach dem Tevje bin ich fürs Sprechtheater eh eine geraume Zeit "verdorben". Aber das bin ich wahrscheinlich ohnehin für die ganze Schauspielerei.
Wie darf man das verstehen?
Ein kluger Kollege hat einmal gesagt, wer therapiert ist, ist für den Beruf verloren. Ich bin therapiert und arbeite vorwiegend fürs Brot.
Egal, ob für Theater oder für den Film?
Eigentlich ja. Theater ist Marathon, Film ist Hundertmeterlauf. Ich bin ein guter Sprinter, aber inzwischen fällt mir auch Theater recht leicht. Ich kann es mittlerweile ganz gut, auch wenn ich in den letzten 30 Jahren wenig Theater gespielt habe. Aber es gab hunderte Soloabende, von Kabarett bis Rezitation. Für mich ist das alles ein Job, den man können muss, und das ist nach oben unendlich offen. Das ganze Künstlergetue geht mir immer schon auf die Nerven. Damit trösten sich Schauspieler über die Erniedrigungen, Verletzungen und Erbärmlichkeiten, die der Beruf für fast alle und über weiteste Strecken mit sich bringt. Und für die anderen ist es die gute Ausrede: Künstler sollen gefälligst der Kunst dienen und keine Ansprüche stellen, wie "normal" arbeitende Menschen. Österreich etwa ist mit dieser geheuchelten Künstlermasche ein extrem Künstler-feindliches Land.
Ab 4. Juli werden Sie bei den Festspielen in Reichenau in Schnitzlers "Der einsame Weg" zu sehen sein. Wenn man im Internet zu Ihrer Person recherchiert, werden Sie immer wieder mit Schnitzler in Verbindung gebracht.
Blödsinn, ich habe ganz wenig Schnitzler gespielt. Das kommt vielleicht aus einer Zeit, als ich ein elegischer Jüngling mit Haarschopf war. Und der bin ich in der Wahrnehmung offenbar geblieben, wie sich das hierzulande und in der heutigen "Schubladenzeit" gehört. Seit damals habe ich auch im ORF so gut wie nichts mehr gemacht. Ich habe ja dort quasi Auftrittsverbot.
Sie meinen damit, es kommt seitens des ORF kein Angebot?
In den 1980er Jahren habe ich fast nur und sehr vielfältig in österreichischen Produktionen gespielt und war damit hierzulande recht bekannt. In den 1990er Jahren nur mehr selten und seit langem drehe ich nur mehr international und für deutsche Sender. Ich habe mich österreichischer Proporzschranzerei immer verweigert, schon beim Wort "Partei" krieg ich Brechdurchfall.
Mittlerweile sind es rund 170 TV- und Spielfilme, in denen Sie mitgewirkt haben, die, wie Sie selbst sagen, niveaumäßig von unterschiedlichem Anspruch sind. Zuletzt ließen Sie mit der Äußerung aufhorchen, dass Sie als Fernsehschauspieler ein Doppelleben führen. Sie sagten: "Am Tag drehe ich fürs Fernsehen, am Abend bin ich intelligent".
Fernsehen hat zwei Funktionen: Es ist ein Geschäft wie Waschmittel oder Hosenknöpfe und es hat eine politische Funktion. Die Information dient zur Manipulation der Massen, die Unterhaltung zu ihrer Ruhigstellung und Verblödung, damit die Manipulation besser funktioniert. Und mit der Quote steigen die Werbeeinschaltungen und somit das Geschäft.
Man findet auch gute Filme im Fernsehen.
Qualität kann passieren, sogar Kunst. Aber es ist nicht vorgesehen. Aber ich bin überhaupt nicht gegen Fernsehen, im Gegenteil, ich stelle nur keinen Anspruch. Den allergrößten Mist versuche ich halt, wenn ich es mir irgendwie leisten kann, abzusagen.
Es sind also rein geschäftliche Erwägungen?
Ich bin ein Stück Ware, und dazu ihr Fabrikant und Verkäufer. Ich habe kein Problem damit, aber Ware, die es nur im Bahnhofsviertel gibt, kommt halt schwer in die gute Einkaufstraße. Das ist immer ein Balanceakt.
Andererseits sind es gerade die Schauspieler, die vom Publikum geschätzt und verehrt werden.
No nebbich. Auch das nützt unterm Strich nur dem Geschäft, sonst kann man sich davon nichts abschneiden. Jeder Schauspieler ist in zehn Sekunden ersetzt, Hollywoodstars in zwanzig. Und von Produzenten und den meisten Theaterdirektoren werden Schauspieler gehasst. Sie kosten Geld, wollen menschliche Arbeitsbedingungen, möchten mitreden usw. - das ist alles lästig. Überhaupt wird es zum Beispiel Fernsehfilme, wie es sie heute gibt, bald nicht mehr geben. Wer von den Jungen schaut sich das noch an? Die zappen in youtube.
Sehen Sie sich die Filme im Fernsehen an, in denen Sie mitwirken?
Ja, um aus meinen Fehlern zu lernen, und für mögliche Ausschnitte für die Demo-DVD für phantasielose Redakteure, Produzenten und andere Bestimmer. Ich bin überzeugt von Professionalität. Das kommt zwar im Land, in dem Dilettantismus Staatsdoktrin ist, gleich nach Terrorismus, aber wenn ich unterschrieben habe, dann mache ich es so gut ich es überhaupt kann und setze dafür alles ein. Nur würde ich 80 Prozent von dem, was ich mache, nicht machen, wenn ich das nicht für meine Miete müsste. Insofern bin ich kein Schauspieler, weil der ist ja meist von der Wichtigkeit der Rolle, des Stückes, der Aufführung und seiner Person überzeugt. Gerne würde ich allerdings einmal den "Jedermann" spielen.
Sie ließen zuvor anklingen, dass Ihnen das Künstlergetue auf die Nerven geht. In Ihren Augen ist also ein Schauspieler kein Künstler? Wie sehen Sie sich dann?
Ist ein Maler, dem man vom Bildsujet bis zu den Farben, von der Bildgröße bis zur Pinselbreite, von seiner Handstellung bis zum Bildpreis und zum Fertigstellungstermin alles vorschreibt, ein Künstler? Er ist maximal ein guter oder schlechter Auftragsmaler. Mit Kunst hat das nichts zu tun. Richard Burton, mit dem ich u.a. in den 1980er Jahren eine 10-teilige Richard Wagner-Serie gedreht habe, in der ich neben ihm und Vanessa Redgrave eine der Hauptrollen spiele und die zuletzt auf ORF III verkürzt ausgestrahlt wurde, hat in seiner Biographie geschrieben: "Kunst ist in meinem Leben eine halbe Stunde vorgekommen." Und Burton war einer der größten Theaterschauspieler und Shakespeare-Darsteller des 20. Jahrhunderts.
Was zeichnet dann in Ihren Augen einen Künstler aus?
Ein Künstler schöpft, nimmt vorweg, ahnt voraus. Er kann auch sein Werk vernichten, das kann ich nicht. Ich sage Texte auf und schneide Gesichter dazu, ich äffe nach, was man mir voräfft. Was wie Kunst wirkt, ist Aura, Persönlichkeit, manchmal geniale Könnerschaft. Das klingt, als würde ich diesen Beruf hinuntermachen. Gar nicht. Ich finde nur, wie gesagt, das Kunst- und Künstlergetue läppisch und habe immer das Gefühl, wahre Künstler damit zu beleidigen.
Sie sind seit mehr als 30 Jahren freiberuflich tätig. Von den vielen Dingen, die Sie machen, gibt es wohl sicher auch welche, die Ihrem Herzen näher sind als wirtschaftliche Überlegungen?
Etwa meine Lesereise im vergangenen Mai nach Israel zu alten österreichischen Exilanten. Oder meine Gastrede unlängst beim Europaforum Wachau. So etwas mache ich mit viel Herzblut, weil die Vision Europa für mich viel Herzblut bedeutet.
Sie sind ein glühender Befürworter der europäischen Einigung?
Und ein leidenschaftlicher Kämpfer für diese Vision. Visionen funktionieren nur naiv. Visionäre, die verlacht und verspottet wurden, deren Visionen sich aber irgendwann erfüllt haben, waren - im guten Sinn - meist reine Toren, Parsifale - und als der sage ich: Man muss diese 500 Millionen Menschen begeistern und mitnehmen und das gelingt nur über Herz und Emotion. Nicht über den Verstand, nicht über Wirtschaft allein. Wenn die kracht, sind die Menschen wieder weg. Leopold Figl hat 1945 in seiner Weihnachtsansprache gesagt: "Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben" und er hat geendet: "Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich!" Auch das vereinte Europa ist im Aufbau, ist ein work in progress und das ist nichts, woran man sich festhalten kann. Dazu geht es derzeit drunter und drüber, es stimmt noch nicht an allen Ecken und Enden, aber man muss an dieses Europa glauben!
Sie plädieren also für eine Argumentationslinie, die eher auf die emotionale Ebene der Menschen abzielt?
Die PR in der Firma Europa wird fahrlässigerweise vom Vorstand gemacht, und das kopflastig und abgehoben. So erreicht man aber nicht die Herzen von 500 Millionen! Wären die im Herzen überzeugt, würden sie die Krisen durchtragen und blieben bei der Stange. Die Gründungsväter hatten diese innere Haltung, weil sie noch den Krieg im Bauch hatten. Marc Aurel - eigentlich ein großer Europäer - hat gesagt: Wer selbst nicht brennt, kann bei anderen kein Feuer entfachen. Und so sind wir wieder bei Ihrer zuvor gestellten Frage, was ich bin: Ich bin ein Nachdenker, manchmal ein Für-etwas-Brenner und immer ein Aussprecher und Hinschreiber - das ist kein Beruf, aber das bin ich.
Zur Person
Miguel Herz-Kestranek, geboren 1948, war als Autor und Herausgeber zehn Jahre lang Vizepräsident des Österreichischen PEN-Clubs, ist Kommentator in Tages- und Kulturzeitungen sowie Redner, Moderator und Diskussionsleiter. Zur Zeit ist er Vizepräsident der Öst. Gesellschaft für Exilforschung und Kuratoriumsmitglied im Dokumentationsarchiv des Öst. Widerstandes sowie Gründer und ehemaliger Leiter des Öst. Filmschauspielerverbandes.
Nach Theaterjahren, u.a. an Burgtheater und Theater in der Josefstadt, ist Herz-Kestranek seit 1980 freischaffend, hat bisher über 170 TV- und Filmrollen gespielt. Zahllose Rezitations- und kabarettistische Soloprogramme im In- und Ausland, sowie etliche CD’s ergänzen sein Schaffen als Kabarettist, Chansonnier und Entertainer.
Herz-Kestranek betreibt die weltweit größte Website für Schüttelreime (www.schuettelreime.at), ist Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst und wurde für seine Verdienste um Volkskultur und Tracht "Botschafter der Tracht" und mit dem "Konrad Mautner-Preis" ausgezeichnet. Er hat eine Tochter und lebt in Wien und St. Gilgen am Wolfgangsee.
Literaturhinweis: Miguel Herz-Kestranek: "Die Frau von Pollak oder Wie mein Vater jüdische Witze erzählte", Ibera Verlag, 368 Seiten, 24,90 Euro.
www.herz-kestranek.com
Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, ist freie Journalistin, Autorin und Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur Lineaart.