Rot-Blau im Burgenland angelobt. Ex-Landtagspräsident Steier verabschiedet sich mit Parteiaustritt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eisenstadt. Während vor dem burgenländischen Landtag die erwarteten Proteste gegen die Angelobung der neuen rot-blauen Regierung ausblieben, sorgte der scheidende Landtagspräsident Gerhard Steier (SPÖ) drinnen für eine kleine Revolution. "Früher war die Sozialdemokratie eine Wertegemeinschaft für Gerechtigkeit und ein Leitbild für mich", sagte er, kurz bevor er das Amt des Landtagspräsidenten an den Parteikollegen und bisherigen SPÖ-Klubobmann Christian Illedits übergab. "Der Wähler hat entschieden, der Niessl wird’s schon biegen. Das kann ich mit meinen Werten nicht vereinbaren."
ußerdem sagte er, "dass ich aus der Partei austrete, alle Funktionen niederlege, den SPÖ-Klub verlasse und ab sofort als freier Abgeordneter mein Mandat ausüben werde. Es ist dies nicht ein Akt der Selbstdarstellung." Und er nahm seine Glocke mit, die ihm von seinem Vorgänger Walter Prior bei seinem Amtsantritt 2010 überreicht worden war. Mit dem Abgang Steiers verliert die SPÖ eines von 15 Mandaten im Landtag.
In den Reihen der SPÖ-Abgeordneten herrschte betretenes Schweigen bis Entsetzen. Applaus gab es fast nur von ÖVP-Abgeordneten. Und von einer einzigen SPÖ-Abgeordneten mit einer Nelke am Revers, die alle SPÖ-Abgeordneten am Donnerstag trugen.
Einsame Proteste
Von der Aufregung im Landesparlament ist in Eisenstadt keine Spur. Angekündigte Proteste gegen den "Tabubruch" und die erste rot-blaue Koalition im Burgenland blieben aus. Nur ein Mann protestiert still mit einem Schild vor dem Landtag. "Keine Grundwerte, keine Ideologie, nur MACHTpolitik" ist darauf zu lesen. Später gesellen sich eine Frau mit einem "Nein"-Zettel und drei junge Männer in Schweinemasken zu ihm. "Um gegen die Schweinerei zu protestieren", sagt einer von ihnen. Ansonsten scheint Verdrossenheit zu herrschen. "Das ist mir egal, wer angelobt wird. Die machen sowieso nur, was sie wollen", sagt eine ältere Dame, "und meinen Namen sage ich Ihnen sicher nicht!" "Ich habe sie nicht gewählt. Die packeln doch alle, egal welche Farbe", sagt Christian König, der vor einem Bekleidungsgeschäft auf seine Tochter wartet. Der Unternehmer Josef A. findet: "Die Situation ist schwierig. Eine große Koalition mit neuen Köpfen wäre besser gewesen. Alles ist besser als Rechts oder andere Extreme."
Zurück in den Landtag. Steier war schon vor seinem polternden Abgang in die Schlagzeilen geraten. Der Noch-Landtagspräsident hatte sich nach der Wahl am 31. Mai sechs Wochen mit der Einberufung des Landtags und damit der Angelobung der neue Regierung Zeit gelassen. Er musste sich zuvor wegen Scheinanmeldungen von Schülern als Bürgermeister vor Gericht verantworten, wurde beim Prozess aber im Zweifel freigesprochen (nicht rechtskräftig, Anm.). Das dürfte ihm - so heißt es - wohl auch den Posten als Landtagspräsident gekostet haben. Ihm wurde in Medienberichten unterstellt, er sei beleidigt und würde deshalb die konstituierende Sitzung verzögern.
"Blaue Lady" kommt
Neben Illedits wurde Rudolf Strommer, bisher ÖVP-Klubobmann, als zweiter Landtagspräsident angelobt. Dritte Landtagspräsidentin ist Ilse Benkö, die vor allem durch den Youtube-Klickhit "Blaue Lady" bekannt wurde. Dieses Mandat hat die SPÖ freiwillig an die FPÖ abgegeben. Benkö wurde mit 13 Ja-Stimmen, einer Gegenstimme und einer ungültigen Stimme von den SPÖ-Mandataren in diese Position gewählt.
Die rot-blaue Regierung wurde schließlich mit 22 von 36 Abgeordnetenstimmen bestätigt und Niessl zum vierten Mal als Landeshauptmann angelobt. Neben ihm befinden sich für die SPÖ die bisherigen Landesräte Helmut Bieler und Verena Dunst in der Regierung. Neu sind Norbert Darabos und Astrid Eisenkopf. Landeshauptmann-Stellvertreter ist der Freiheitliche Johann Tschürtz. FPÖ-Klubdirektor Alexander Petschnig übernimmt die Agenden Wirtschaft und Tourismus.
Niessl selbst verteidigte abermals seine Koalitionsentscheidung gegen den Protest aus den ÖVP-Reihen, die regierungstechnisch leer ausgehen. Und gegen den Protest der Parteigenossen aus Wien und anderen Bundesländern. "Ich bin nicht Everybody’s Darling", sagte er vor Journalisten. Er sei vom Parteiaustritt Steiers nicht überrascht gewesen.
Aber: "Es ist demokratiepolitisch nachvollziehbar, dass es zu dieser Koalition gekommen ist", sagt er. Während die FPÖ sechs Prozent zulegte, mussten SPÖ und ÖVP Verluste von sechs beziehungsweise fünf Prozent schlucken. Niessl erinnerte die Genossen und anwesenden Journalisten mehrmals daran, dass schon Parteigrande Bruno Kreisky 1970 für seine Minderheitenregierung auf die Unterstützung der FPÖ zurückgegriffen habe.
"Ab heute beginnt die Arbeit und an ihrer Leistung wird die neue Landesregierung zu messen sein", sagte der neue und alte Landeshauptmann. Diese Arbeit trägt eine ziemlich blaue Handschrift. Tschürtz - der Polizist ist künftig für die Sicherheit zuständig - versprach in seiner Antrittsrede noch mehr Sicherheit für das Burgenland. Dabei ist das östlichste Bundesland schon das sicherste. Dort wird laut Bundeskriminalamt nur 1,8 Prozent der bundesweiten Kriminalität verzeichnet, Tendenz sinkend.
Niessl versprach eine Bildungsoffensive, diesem Ressort nimmt er sich persönlich an, und "1000 neue Nettojobs jährlich". In welchen Bereichen und wie genau die Jobs entstehen werden, ließ er auf Nachfrage offen. Von diesen neuen Jobs sollen jedenfalls hauptsächlich Burgenländer profitieren. Abermals plädierte er für ein Best-Bieter- statt einem Billigst-Bieter-Prinzip bei öffentlichen Vergabeverfahren und Boni für Unternehmer, die regionale oder ältere Arbeitskräfte beschäftigen. Ein detailliertes Arbeitsprogramm der neuen Regierung wollen Niessl und Tschürtz kommende Woche vorstellen.
Die rot-blaue Regierung hat sich den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping auf die Kappe geheftet. Deshalb forderte Niessl in Richtung Innenministerium verstärkte Grenzkontrollen, auch mit der Finanzpolizei, um Lohn- und Sozialbetrüger aufzuspüren. In den vergangenen zehn Jahren seien rund 13.000 neue Jobs im Burgenland entstanden, so Niessl. Rund die Hälfte davon ging laut AMS an Ungarn und Slowaken aus den Grenzregionen. Das aber nicht nur, weil die Arbeitskräfte aus dem Osten billiger sind, sondern zum Teil auch, weil sich keine Burgenländer für die Stellen finden.
"Wir brauchen diese Menschen. Sehen Sie sich um, in jedem Kaffeehaus oder Geschäft sind Menschen aus Ungarn. Oft sind nur die Chefs Burgenländer, weil die Burgenländer diese Arbeit nicht machen wollen", sagte der Unternehmer Josef A. Trotz allem leidet vor allem die Baubranche unter der billigen Konkurrenz aus Ungarn oder der Slowakei. Dass die neue "Tabubruch"-Regierung viel ausrichten kann, bezweifelte der Eisenstädter Christian König: "Es wird sich kaum etwas ändern, weder zum Positiven, noch zum Negativen."