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"Ich bin Realist und kein Prophet"

Von Walter Hämmerle

Politik
Wenn es die Wähler wollen, will auch Prokop nach den Wahlen im Herbst Innenministerin bleiben. strasser

Zuwanderung darf die Bevölkerung nicht überfordern. | Terrorgefahr für Österreich nur bei Integrationsversagen. | Einheitliche Asyl-Standards in EU bis 2010. | "Wiener Zeitung": Sie sind nun seit etwas mehr als einem Jahr Innenministerin: Was war Ihre unerfreulichste Entscheidung?


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Liese Prokop: Notwendige Entscheidungen sind zu treffen, egal ob erfreulich oder unerfreulich.

Und auf welche Entscheidung sind Sie besonders stolz?

Auf den breiten Konsens beim Beschluss des Fremdenpakets, auf 620 Neueinstellungen bei der Exekutive und auf den Umstand, dass die Kriminalität sinkt.

Das Innenministerium steht häufig im Zentrum heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen. An Ihren Vorgängern wie Löschnak, Einem, Schlögl oder Strasser rieben sich Medien wie Parteien. Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle?

Ich versuche, einen klaren Weg zu gehen. Bei der Asylfrage geht es darum, denen rasch zu helfen, die Hilfe brauchen, Missbrauch aber ebenso konsequent zu verhindern. Ob das Rechten zu wenig und Linken viel zu streng ist, ist mir egal. Östereich war stets ein offenes Land für Ausländer. An der Einwohnerzahl gemessen liegen wir weltweit an vierter, und auch in absoluten Zahlen an fünfter Stelle bei der Gewährung von Asyl. Aber man darf die Österreicher auch nicht überfordern.

Experten prognostizieren den Zusammenbruch der Sozialsysteme, wenn wir nicht mehr Zuwanderer holen. Warum fällt es den Parteien dennoch so schwer, dies den Menschen zu vermitteln?

Weil Politik in jeder Zeit das machen muss, was notwendig und den Menschen zumutbar ist.

Notwendig wäre aber eben mehr Zuwanderung und nicht weniger.

In zehn, 15 Jahren werde ich mir anschauen, ob die Prognosen auch stimmen. In den 90er Jahren wurde ein Mangel an Lehrlingen vorhergesagt. Heute wissen wir, dass das nicht eingetreten ist: Wir haben noch immer zu wenig Lehrstellen. Die Menschen, die zu uns gekommen sind, müssen zuerst integriert werden. Und wenn Zuzug notwendig ist - das wird in einigen EU-Staaten sicher der Fall sein -, dann muss er strukturiert und verträglich erfolgen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Nach Branchen und nachdem eine innerstaatliche Klärung des Bedarfs erfolgt ist. Wir brauchen zum Beispiel für den Tourismus mehr Arbeitnehmer - die kommen aus Deutschland; die Deutschen brauchen wiederum Ärzte - bei uns muss man jahrelang auf einen Turnusplatz warten. Es gibt so viele unterschiedliche Bedürfnisse. Mit der Quotenregelung für Schlüsselarbeitskräfte haben wir eine gute Regelung. Das kann aber für bestimmte Bedarfsbereiche durchaus noch verbessert werden.

Und das lässt sich trotz Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU national regeln?

Ich bin Realist und kein Prophet. Wir müssen aber bedenken, dass wir derzeit eine hohe Arbeitslosigkeit haben.

In London wurde bekannt, dass in den vergangenen Monaten Terroranschläge verhindert wurden. Ist auch Österreich im Fokus von Terroristen?

Gott sei Dank nein. Österreich ist ein sicheres Land, wir haben diese Probleme derzeit nicht und ich hoffe, dass wir sie auch niemals haben werden. Nach Lageeinschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ist eine kurzfristige Gefährdung nicht gegeben, langfristig sind wir nur dann gefährdet, wenn sich Parallelgesellschaften bilden und wir es nicht schaffen, erfolgreich zu integrieren.

Im Sommer wurde bekannt, dass auch hier extremistische islamische Prediger aktiv sind. Wie hat sich diese Gefahr seitdem entwickelt?

Die Situation ist so wie es war. Es gibt eine gewisse Radikalisierung von islamischen Predigern. Das ist eine Tatsache, in Österreich allerdings in einem relativ geringen Ausmaß. Aber auch wir leben nicht auf einer Insel der Seligen. Die Situation ist dennoch eine völlig andere als in Großbritannien: Der Islam ist hier seit 1912 eine anerkannte Religionsgemeinschaft - das gibt es in keinem anderen Staat in Europa. Österreich ist in dieser Hinsicht Vorbild und wir wollen während unserer EU-Präsidentschaft den Dialog der Kulturen weiterführen, um einer Radikalisierung und Rekrutierung entgegenzuwirken.

Leistet die Neutralität bei der Terrorgefährdung einen positiven Beitrag?

Bei der Neutralität geht es um Krieg und Frieden, Terror hat andere Ursachen. Die Neutralität spielt hier sicherlich keine Rolle.

Welche Schwerpunkte setzt Ihr Ministerium für die EU-Präsidentschaft?

*Im Haager-Programm, das im Sommer beschlossen wurde, gibt es viele Punkte, die jetzt umgesetzt werden. An erster Stelle steht die Schengen-Evaluation, die mit 1. Jänner begonnen hat. Bis 2010 soll es auch ein gemeinsames Asyl-System geben. Zwar gibt es hier bisher noch kein konkretes Papier, doch müssen einmal die gemeinsamen Grundstandards wie das Dublin-Abkommen evaluiert werden, die Herkunftsländer-Information muss ausgebaut und vernetzt werden. Weitere Schwerpunkte sind Fortschritte beim Austausch von Daten wie Fingerabdrücken, DNA oder Kfz-Kennzeichen unter Berücksichtung von Datenschutz-Bedenken.

Apropos gemeinsame Asyl-Grundstandards: Wie ist es möglich, dass etwa die Slowakei prinzipiell Flüchtlinge aus Tschetschenien nicht anerkennt und diese deshalb nach Österreich kommen?

Tschetschenen haben auch in der Slowakei die Möglichkeit, zum Europäischen Gerichtshof zu gehen. Nur müssen sie das auch tun. Es ist aber sicherlich so, dass es große Unterschiede bei der Betrachtung Tschetscheniens gibt: Nicht nur die Slowakei, auch die Niederlande haben etwa eine weit geringere Anerkennungsrate als Österreich. Es ist nicht ganz verständlich, warum Tschetschenen in Österreich als weit gefährdeter gelten sollen als in den Niederlanden. Deshalb muss es bei der Einschätzung der Herkunftsländer einheitliche Standards geben.

Werden Sie bei den Nationalratswahlen kandidieren?

Ja.

Stehen Sie auch als Ministerin zur Verfügung?

Wenn es die Wähler wollen, ja.

Ihre Wunschkoalition?

Die gibt es nicht. Wichtig ist eine solide Mehrheit und die Einhaltung bestimmter Grundsätze im Menschenrechts- und Sozialbereich.

Das gilt gemeinhin als verklausulierte Präferenz für eine große Koalition.

Das können Sie interpretieren wie Sie wollen. Es muss aber nicht unbedingt eine große Koalition sein. Alles deutlich über 50 Prozent ist in meinen Augen eine solide Mehrheit.