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Minderjährige Asylwerber lernen heimische Schüler oft nicht kennen.
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Wien. Ob Saualm oder Protestierende in der Wiener Votivkirche - Asylweber sind ein Politikum. Doch nur wenige kommen mit ihnen persönlich in Kontakt. Das Schulprojekt "Interkulturelles Forum" in Linz soll das ändern. Woche für Woche treffen Schüler des Georg von Peuerbach Gymnasiums jugendliche Asylwerber und unternehmen mit ihnen gemeinsame Projekte - Ausflüge oder Sport gehören dazu.
Jeden Montag ist es kurz nach zwölf Uhr so weit: In der 5C steht Ethikstunde auf den Plan - ab hier übernehmen Blaise Batatabo und Werner Windischbauer. Der gebürtige Kongolese Batatabo ist hauptberuflich Betreuer unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge bei der Linzer Volkshilfe, Werner Windischbauer unterrichtet am Gymnasium Sport und Geografie.
In den kommenden 50 Minuten sollen die Schüler gemeinsam zum Thema Asyl recherchieren, vorgegebene Fragen untereinander besprechen und beantworten. Mittendrin: die minderjährigen Flüchtlinge Hassan, Tokit, Mustafa und Rahman, die den Schülern etwas über ihr Leben in Österreich berichten.
Tokit, der seit sechs Monaten in Linz lebt, wirkt gelassen und angespannt zugleich, wenn die Schüler mit ihm über Asyl reden. Interessiert ist er vor allem an Sprachen und Mathematik, wie er erzählt. Die Zusammenkunft mit den österreichischen Schülern erlebt er als angenehmen Austausch. Allerdings muss er ihnen auch viele neugierige Fragen beantworten; manche davon gehen ihm emotional zu nahe - etwa wenn es um seine persönliche Geschichte geht oder seine Beweggründe, die Heimat zu verlassen. Dann spricht er nur "über Allgemeines", zum Beispiel über sein Herkunftsland Pakistan.
Links von ihm sitzt Rahman aus Afghanistan. Der 17-Jährige konnte durch seine besseren Sprachkenntnisse schon einiges erreichen: Mit manchen Schülern trifft er sich bereits zum Sport, mit anderen, um Deutsch und Mathematik zu lernen.
Kaum Kontakte nach außen
"Blaise", so nennen die Schüler Batatabo, arbeitet schon seit fünf Jahren gemeinsam mit Windischbauer an diesem Projekt, das sich "interkulturelles Forum" nennt. Der "Integrationsraum Schule" biete Asylsuchenden eine wichtige Möglichkeit, in der österreichischen Gesellschaft Fuß zu fassen, betonen beide. Die jungen Asylwerber würden sich ansonsten nämlich weitgehend in "migrantischen Schulen" aufhalten. "Viele Flüchtlinge haben so gut wie keine Kontakte oder Freundschaften außerhalb ihres Heims", unterstreicht Windischbauer. Das Projekt solle vor allem eines bewirken: dass Flüchtlinge und Schüler eine gemeinsame Zeit verbringen.
Für Hassan, der aus dem Libanon geflohen ist und in Österreich seine "neue Heimat" - wie er sagt - gefunden hat, freut sich besonders über die gemeinsamen Sportsstunden am Freitag. Denn im Mannschaftssport Fußball müssen alle gemeinsam funktionieren, betont der 17-Jährige. Zusammen mit den beiden 5C-Schülern Sebastian und Johannes spielt er in den Sporthallen des Gymnasiums. Dass Sport oftmals Anknüpfungspunkte bieten kann, weiß auch Sportlehrer Windischbauer. 2007 habe alles gerade mit dem Sport begonnen - zuerst mit Fußball, dann kam Volleyball und Radfahren. Nach und nach wurde das Projekt bekannter und die Möglichkeiten des Austauschs facettenreicher. Neue Unterstützer, wie Eltern, Lehrer und auch Schüler kamen hinzu.
"Sichtweisen ändern sich"
Durch den Kontakt zu den ausländischen Jugendlichen können "Schüler etwaige Vorurteile abbauen", sagt Batatabo, der durch seine Arbeit beide Seiten kennengelernt hat. Das bekräftigt auch Lisa, die unter der Koordination von Batatabo gerade ihr soziales Jahr bei der Volkshilfe Linz verbringt: "Man merkt, dass sich die Sichtweisen verändern - auf beiden Seiten."
Tatsächlich scheint ein erster Schritt in diese Richtung unternommen worden zu sein. Eine Schülerin, Sonja, betont: "Ich dachte, dass die gut leben - bis wir sie alle im Asylantenheim besucht haben. Dann merkte ich, dass wir mehr Geld haben." Ihre Sitznachbarin Simona stimmt zu: "Im Vergleich zu uns sind ihre Möglichkeiten sehr begrenzt." Während Flüchtlinge unter den erschwerten Umständen und ihrer oftmals traumatisierten Vorgeschichte litten, hätten es die Menschen hierzulande viel einfacher. "Das wissen sie oftmals nicht zu schätzen", fügt die 16-jährige Schülerin Lisa hinzu, die in einem Sesselkreis ihren beiden Kolleginnen gegenüber sitzt.
Gegen Ende beginnen sich die Grüppchen aufzulösen. Es geht ins Plenum. Die gesammelten Informationen werden als Frage und Antwort vorgetragen: "Welche Lebensperspektiven wird den Flüchtlingen geboten?", lautet eine, "Wie werden Fluchtgründe beurteilt?", eine andere. Doch die Stunde neigt sich bereits ihrem Ende zu. Bevor es nach Hause geht, plant Windischbauer die nächste Einheit: "Wer hat am nächsten Freitag Zeit, gemeinsam mit uns Fußball oder Volleyball spielen zu gehen?"
Je nach Jahreszeit unterscheiden sich die Konzepte: "Wir organisieren gemeinsame Skitage, spielen Fußball oder Volleyball, musizieren in Workshops, kochen gemeinsam oder besuchen Film- und Theateraufführungen", erzählt Windischbauer. Besonders wichtig sei dabei, der Austausch zwischen den jungen Flüchtlingen und ihren österreichischen Altersgenossen.
Nicht immer verlaufe alles so reibungslos wie diesmal, erzählt Batatabo: "Am Anfang war kein großes Interesse vorhanden." Das kam erst mit der Zeit. In den letzten Jahren fand die Arbeit aber Anerkennung: 2009 gewann das Projekt gleich drei Preise: den "Vielfalter Projektförderpreis" und die von der Stadt Linz vergebenen Preise "Stadt der Kulturen" und "Youmi Jugendpreis."